Nach der Befreiung

Mike Nicol über die Mühen der Ebenen in Südafrika und die Folgen des Aufstiegs: „Payback“ ist ein Schaustück über den Übergang zur Zivilgesellschaft

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kriminalromane haben ihren Ort im Zwischenraum, in den zerfallenden Diktaturen ebenso wie in den zermürbten Zivilgesellschaften, in den Übergängen zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsformen, in denen zum Beispiel ehemalige Kämpfer Zivilisten werden sollen, und das obwohl sie damit zweifelsohne an direkter Macht verlieren werden. Wer töten darf und soll, hat Macht, wer es nicht mehr darf, muss sich mit seiner neuen Machtlosigkeit überhaupt ersteinmal abfinden.

Waren die USA für den Hard-boiled-Krimi paradigmatisch, ist Südafrika das für den zivilisationskritischen Kriminalroman der Gegenwart: Hier haben die Autoren eine Aufgabe und ein Spielfeld vor sich, mit denen sie eine Menge anfangen können: Sie können Botschaften platzieren, sie können Entwicklungen durchspielen, Bedingungen formulieren und die Alternativen diskutieren, die sich einer Gesellschaft wie die in Südafrika anbieten.

Daher stammt denn wohl auch die Gemengelage von Leidenschaft und Gewalt, Politik und Verbrechen, Moral und Gewissenlosigkeit, die die Kriminalromane aus Südafrika kennzeichnen. Darin unterscheiden sie sich nicht von den Texten, die noch im historischen Hauptareal des kriminellen Geschehens, den USA, spielen.

Während aber die Hard-boiled-Krimis der 1920er- und 1930er-Jahre keine Gesellschaftsutopie vor Augen hatten und ihre Nachfolger aus den 1980er- und 1990er-Jahren sich bereits in einem unlösbaren mythischen Gewirr verstrickten, haben die Südafrika-Krimis eine Idee von Gesellschaft vor Augen, die ihnen einen Ausweg anbietet, eine friedliche Zivilgesellschaft, die über alle Gruppengrenzen hinweg und trotz der gewalttätigen Geschichte des Landes funktioniert und allen ihren Bürgern Optionen bietet.

Bis dahin ist ein langer Weg, und die Krimis sind definitiv noch an die Aufgabe gebunden, den Übergang in eine andere Gesellschaft zu gestalten und die Vergangenheit, die auf dem Land lastet, aufzuarbeiten. Das reicht bis weit in jene Gruppen hinein, die mit dem Sieg über das Apartheid-Regime eng verbunden sind: alte Kämpfer, alte Kader und alte Verdienste. Aber eben auch alte Gewohnheiten, Verbrechen der Vergangenheit und die Notwendigkeit die Verbrechen der Vergangenheit zu sühnen. Dabei stehen das Problem der dysfunktionalen Gesellschaft, die Korruption und die alten Seilschaften, die jetzt profitieren wollen, dem allem im Wege. Die Arbeit hört also nicht auf, auch eben nicht die Arbeit, das alles erzählerisch umzusetzen.

Mike Nicol wählt in „Payback“ nicht unbedingt einen neuen Ansatz: Zwei ehemalige Anti-Apartheid-Kämpfer haben sich auf den Schutz vermögender Touristen spezialisiert, die nach Südafrika reisen. Das ist das Pendant zum Empfangschef deutscher Hotels, der – aus dem Kleinadel stammend – im Ersten Weltkrieg noch Offizier gewesen war und jetzt seine Fähigkeiten gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe besonders gut einsetzen kann. Wo die historischen Vorläufer noch Haltung haben und sich zu benehmen wissen, sind ihre südafrikanischen Nachfolger vor allem immer noch Kämpfer genug, um den gemeinen Straßenkriminellen in Südafrika davon abzuhalten, die vermögenden Klienten um Geld und Leben zu bringen.

Schwierig wird es allerdings, wenn sie sich in die Kampflinien zwischen ehemaligen Kampfgenossen wagen, zum Beispiel den Club eines alten Kollegen vor einer Straßengang beschützen, die Schutzgeld erpressen will. Oder wegen der alten Zeiten einen Waffendeal durchziehen, an dem sich schnell noch einmal Geld verdienen lässt, mit dem dann – oh Zeiten, oh Wunder – die Raten fürs Haus bezahlt werden können.

Denn aus den alten Kämpfern sind eben auch Väter und Ehemänner geworden, die die Vorteile eines zivilen Lebens zu schätzen gelernt haben. Was dem einem langweilig vorkommen mag, ist dem anderen gerade eben Erfüllung.

Dieses Leben in zwei Welten jedoch ist die Bruchstelle, die jene Akteure nutzen, die noch alte Rechnungen begleichen wollen: Die Tochter des einen wird bei einem Entführungsversuch niedergeschossen, eine Freundin aus alten Zeiten wird von ihrem Drogen dealenden Mann getötet, der Spider, der ein Jugendtraum ist, macht den Mann stadtweit überaus deutlich sichtbar.

Die Geschichte, die Nicol erzählt, visiert dabei jedoch vor allem jenes Problem an, das alle Übergangsgesellschaften prägt: Die ehemals einfachen Verhältnisse sind ungemein komplex geworden. Seitdem die klaren Kampflinien der Vergangenheit aufgelöst sind, ist alles derart verwickelt geworden, dass jede Aktion auf eine Vielzahl durchkreuzender anderer Aktionen stößt.

Eine der Figuren weiß das sehr genau: „Wir marschieren in die Pläne eines anderen, und Dinge passieren, die keinen Sinn ergeben.“ Tödlich kann das ausgehen, und es wird in Nicols Roman für viele der Figuren mit dem Tod enden.

Dabei löst Nicol zugleich die im Krimi so eng geschlossene Verbindung von Gerechtigkeit und Strafe auf: Es sterben auch die, die es nicht verdient haben. Und es überleben solche, die in jedem anderen Krimi den Tod finden würden. Und umgekehrt.

Titelbild

Mike Nicol: Payback. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Mechthild Barth.
btb Verlag, München 2011.
576 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783442742837

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