Wahngebilde und Angstzustände

Johannes Weinbergers Roman „Schwarz und voller Vögel“ ist ein Fest der Ekelhaftigkeiten und bietet wenig Neues

Von Antonia FéretRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antonia Féret

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zugegeben, eine Krankheitsgeschichte aufzuschreiben, ist immer mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Dies gilt ganz besonders für Krankheiten, die einen autobiografischen Anstrich haben, denn hier gerät der Autor/Erzähler besonders schnell in Verdacht, sich selbst und das eigene Leid zu überhöhen und selbstmitleidig um Anerkennung und Mitgefühl zu buhlen, was meist den gegenteiligen Effekt erzielt. Man sollte sich also gut überlegen, ob man seinen Lesern Wahnvorstellungen und Weltekel zumuten will und ob man das darüber hinaus auch noch in Ich-Form und mit einer Figur tut, die den eigenen Namen trägt.

Johannes Weinberger jedenfalls hat sich davon nicht abschrecken lassen und er tappt damit prompt in die Autobiografie-Falle. Sein Protagonist ist ein Ich-Erzähler namens „Herr Weinberger“ – näher kann man die Identifizierung des Autors mit dem Erzähler nicht legen. Folglich muss der Autor Weinberger damit rechnen, dass auch seine Leser ihn mit seiner Kunstfigur gleichsetzen – und damit steht er auch schon mitten im nächsten Fettnäpfchen, welches da lautet: Selbstmitleid. Denn obwohl die Figur Weinberger immer wieder betont, sie habe kein Mitleid mit sich selbst, wird durch die ausschweifenden und redundanten Beschreibungen der Wahngebilde und Angstzustände, unter der sie leidet, ein Bild der Hilflosigkeit geschaffen, der Kranke als Opfer seiner Krankheit dargestellt. Zwar wollte der Autor Weinberger offensichtlich einen Leidenden, dem Wahnsinn nahen Protagonisten vorstellen, doch lässt er seine Figur ununterbrochen und sehr distanziert über den eigenen Zustand der Zerrüttung reflektieren, was der Glaubwürdigkeit nicht zuträglich ist. Denn wie verrückt ist schon jemand, der seine Verrücktheit genau sezieren kann? Erst gegen Ende des Buches wird es besser, als der Patient sich innerhalb seiner Krankheit eine eigene Logik erschafft. Dann stehen die auftretenden Trugbilder endlich in einem Zusammenhang und wirken nicht mehr wie ziellos eingeworfene Textfetzen, die irgendeinen Sinn haben sollen, doch welchen, lässt sich nicht erschließen.

Überhaupt scheint das Buch vielfach nach dem Prinzip funktionieren zu wollen, eine x-beliebige Alltagssituation mit möglichst ungewöhnlichen, das heißt im Wortgebrauch nicht üblichen, Wörtern zu beschreiben und so neue Metaphern zu kreieren, die möglichst wenig Sinn ergeben, was dann schon irgendwie wahnsinnig und krank wirken müsste.

Man sollte aber gerecht bleiben: Es gibt sie auch, die angepriesenen (hoch-)poetischen Bilder, und hin und wieder gelingt dem Autor ein schöner Vergleich, eine treffende Beobachtung, ein überraschender Scherz, der zum Schmunzeln bewegt. Er kann das Niveau aber nicht lange halten – zum Ende verdichten sich die besseren Passagen, doch das kann den zuvor entstandenen Eindruck der Überforderung des Autors durch das Thema auch nicht revidieren. Selbst der schöne Titel, ein Zitat aus dem Text, erweist sich bei genauerem Hinsehen als verfälschend gewählt: An der entsprechenden Textstelle heißt es: „Meine Persönlichkeit war grün und schwarz und voller Vögel, Rehe und Spaziergänger.“ Eine ganz andere Atmosphäre also, als sie durch den Titel suggeriert wird.

Hätte man die gelungenen oder inhaltlich wertvollen Ausdrücke des Buches zusammengefasst, hätte man einen wesentlich besseren und erheblich kürzeren Text gehabt, den zu lesen es aber mehr Freude bereitet hätte. Dann müsste man sich auch nicht durch die Berge von Exkrementen und Erbrochenem graben, mit denen der Protagonist bevorzugt um sich wirft und schmiert.

Eine Handlung, die diesen Namen verdient, gibt es eigentlich nicht. Zu Beginn ist „Herr Weinberger“ noch Insasse einer Klinik, später gibt es nur noch eine ambulante Therapie, in der er absurde Gespräche mit seinem Arzt führt, die in ihrer Abstrusität hin und wieder amüsant, aber auch reichlich übertrieben wirken. Bedeutende neue Erkenntnisse über den Patienten bringen sie im Großen und Ganzen jedoch nicht.

Dann gibt es noch die Briefe an Anna, Herrn Weinbergers Beziehung, die ihn seiner Krankheit wegen verlassen hat und der er nun nachtrauert. Auch Mutter und Vater sind keine Stütze, sondern Teil des Wahns. Nur sein kleiner Sohn spendet Liebe und Trost, obgleich auch er in die auftretenden Trugbilder eingebunden wird.

Die Therapie, die Frau, das Kind sind die Säulen des Romans, der aber vollständig von den Wahnerscheinungen des Protagonisten ausgefüllt wird. Da gibt es keine Abwechslung in Thema oder Stil. Und nach einiger Zeit werden die unsinnigen Metaphern, die immer gleich effektheischenden Fäkalienschlachten, die ziemlich banalen menschlichen Probleme wie Einsamkeit und Liebeskummer, die recht pubertär beklagt werden („Dasein tut weh.“), insgesamt sehr eintönig.

Möchte man eine echte Leistung des Buches resümieren, könnte man sagen, dass es wirklich in der Lage ist, heftige körperliche Abneigung beim Leser zu erzeugen. Weinberger hat ein ganzes Gruselkabinett menschlicher und animalischer Widerlichkeiten zusammengetragen, und wenn er mal wieder Schnecken oder Küchenschaben isst und seinen Auswurf über dem ganzen Körper verteilt, möchte man es ihm gern gleichtun und sich in sein Mittagessen übergeben. Als literarisches Mittel ist diese Absicht legitim und anerkennbar, schön ist es aber nicht.

Wenn man fremden Menschen schon eine (eigene?) Krankheitsgeschichte auftischt, und wenn ein ganzes Buch keine andere Aussage haben will, als der Ausdruck einer gequälten kranken Seele zu sein, dann erwartet man doch, dass dabei irgendetwas Besonderes herauskommt. Vielleicht etwas, das über starke Visualität, Obszönität und eine sich immer wiederholende Sprache hinausgeht.

Aber das ist nur ein Gedanke.

Titelbild

Johannes Weinberger: Schwarz und voller Vögel. Roman.
Luftschacht Verlag, Wien 2011.
172 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-13: 9783902373700

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