BOING, BUMM, TSCHACK!

Warum sich die Juni-Ausgabe unserer Zeitschrift dem Thema „Comics“ widmet

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

„WUUUSCH! BOING! BOOOOM!“ Wie eindrucksvoll doch solche ,Klangwörter’ und ihre typografische Darstellung in den Comics auf ihre Leser wirken können! An manche davon erinnert man sich sogar dann noch besonders gut, wenn es bereits viele Jahre her ist, dass man die Comics, in denen sie vorkommen, wahrgenommen, gelesen oder auch ‚verschlungen‘ hat. Bei „Clever & Smart“, die in ihrem Herkunftsland Spanien eigentlich „Mortadelo y Filemon“ heißen, ist das bei mir zum Beispiel „RAS!“ gewesen. Das Geräusch tauchte meiner Erinnerung nach immer dann auf, wenn irgend etwas zerrissen wurde, vor allem teuere oder wichtige Kleidungsstücke oder unverzichtbare Landkarten der stets spektakulär scheiternden Agenten Fred Clever und Jeff Smart. Es gab aber auch noch andere Geräuschdarstellungen, die sich tief ins Gedächtnis ,einbrannten’. Eine ordentliche Ohrfeige klang bei „Clever & Smart“ zum Beispiel ganz klar so: „PTAF!“

Dies waren onomatopoetische Signalwörter, die wir als Schüler mitunter sogar in unseren eigenen Wortschatz aufnahmen und die dort dazu dienen konnten, gewöhnliche oder auch dramatische Alltagserlebnisse in einer treffenden, emotionalisierenden Intensität wiederzugeben, wie sie etwa in Goethes Werther im 18. Jahrhundert höchstens mit dem Ausruf „Klopstock!“ einen vergleichbaren Rang zu erlangen vermochte.

Man gerät unwillkürlich ins Schwärmen: Wenn etwa René Goscinnys und Albert Uderzos Figur Obelix in Gallien die Römer verdrischt, was meist mit einem von unten angesetzten Kinnhaken geschieht, der die vollkommen wehrlos erscheinenden Besatzer wie Raketen steil nach oben aus ihren Sandalen fliegen lässt, so ist das dazu passende Wort natürlich: „ZACK!“ Es kann bei „Asterix und Obelix“ andererseits auch schon einmal zu einem „PAF!“ kommen. Aber nicht nur Geräusche, sondern auch Entsetzen, Verstörung oder Verblüffung können mit wenigen, effektiven Zeichen dargestellt werden – also etwa durch die Zeichenfolge: „?!?!“ Der passende Ausruf bei „Tim und Struppi“, also „Tintin“, käme dazu in dem Fall wahrscheinlich von Kapitän Haddock: „Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!“

Diese besonders einprägsamen Formen von Sprach-, Fluch- und Lautbildern stellen indes nur einen von vielen Aspekten dar, die Comics zu so faszinierenden Kunstwerken machen. Comics haben seit dem 20. Jahrhundert stets eine spezifische Schnittstelle zwischen der Welt des Films und der Literatur eingenommen. Sie werden, wie etwa „Tim und Struppi“ kürzlich durch Steven Spielberg, verfilmt oder wirken ihrerseits stilbildend auf Kinofilme. Sie haben innovative Formen des Humors entstehen lassen – und nicht zuletzt solche des Erzählens und der Vermittlung literarischer und historischer Stoffe, die ganz neue Leserkreise erreichten. Comics wirkten gleichzeitig aber auch in die Welt der Literatur zurück und begannen, deren Darstellungsweisen zu transformieren – man denke etwa an die hochgradig ausgefeilte typografische Andeutungs- und Chiffrier-Kunst in den Texten Arno Schmidts, die vor allem in ihrem speziellen Einsatz von Satzzeichen-Reihungen auf frappierende Weise an Konventionen aus der Comic-Welt erinnern, wenn auch Schmidt sich selbst wohl kaum als Comic-Fan bezeichnet hätte. Als Beispiele aus der Gegenwartsliteratur wären hier unter anderem auch die typografisch überaus aufwendig gestalteten Romane Mark Z. Danielewskis zu nennen: „House of Leaves“ und, als aktuellstes Werk, „Only Revolutions“. Last but not least beeinflusste die Comic-Ästhetik auch die Welt des Pop: Der Titel des vorliegenden Editorials zum Beispiel ist ein Zitat aus dem gleichnamigen „Kraftwerk“-Song.

Die kulturgeschichtliche Signifikanz und der Einfluss des Mediums Comic wurden insbesondere in Deutschland lange unterschätzt und missachtet. Dies scheint nun endgültig vorbei zu sein: Die meisten Verlage haben mittlerweile Graphic Novels in ihre Programme aufgenommen, und selbst die Literaturwissenschaft hat auf einmal begonnen, sich brennend für Comics zu interessieren. Höchste Zeit also auch für unsere Zeitschrift, in der vorliegenden Juni-Ausgabe einmal das Thema in den Fokus zu rücken, mit vielen Artikeln und Rezensionen über Comics und deren kultur- und literaturwissenschaftliche Erschließung.

Herzliche Grüße
Ihr
Jan Süselbeck