Profanierung eines Revolutionsärs

Laurence Maurel und Christian Straboni haben eine Graphic Novel über Arthur Rimbaud und die Commune de Paris publiziert

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Plus leger qu’on bouchon j’ai danse sur les flots“ heißt es in Arthur Rimbauds wohl bekanntesten Gedichte „Le bateau ivre“, das Paul Celan 1958 übersetzt hatte: „Ein leichter Korken, tanzt ich dahin auf steiler Welle.“ So wie im „trunkenen Schiff“, tanzte auch der Dichter gleich an verschiedenen Orten beinahe gleichzeitig, und einer davon wird in der vorliegenden Graphic Novel vorgestellt: Abessinien, wo Arthur Rimbaud (1854-1891) im Jahre 1866 einen Waffenschmuggel zu organisieren versucht, aber zuletzt von König Menelik – dem lokalen Usurpator – hereingelegt wird. Arthur Rimbaud selbst hätte darauf wohl geantwortet: „L’impression n’est pas conforme à l’originale“: die Vorstellung entspricht niemals dem Original. Und natürlich ist weder Celans Version dasselbe Gedicht wie das Rimbauds, noch ist der Versuch der beiden Autoren von „Chapeau, Herr Rimbaud“ mit dem wirklichen Leben des selbsternannten „Sehers“ zu vergleichen.

Anders als Celan haben die beiden Autoren Laurence Maurel und Christian Straboni in ihrer Graphic Novel aber nicht nur ein Gedicht Rimbauds, sondern sogar die letzten Lebensjahre Rimbauds interpretiert und in die heutige Zeit transferiert, um nicht zu sagen „übersetzt“: Der Dichter, der zu seinem 19. Geburtstag beschloss, nicht mehr zu schreiben, sondern fortan nur mehr zu leben, gilt nämlich gerade aufgrund dieser Weigerung – und Feigheit vor seinem eigenen Talent – als Projektionsfläche der wichtigsten französischen und europäischen Literaturwissenschaftler des 21. Jahrhunderts.

Man wolle wieder mehr über Rimbauds direkte Inspirationsquellen wissen, und so heißt es etwa in einem Artikel im „Figaro Littéraire, dass Rimbauds berühmtes Gedicht „Bateau ivre“ direkt von Jules Vernes „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ inspiriert sei. Außerdem solle schon seit langem bekannt sein, dass Arthur Rimbauds Sonett „Voyelles“, in welchem die fünf Vokale verschiedene Tönungen aufweisen, auf ein koloriertes ABC-Buch zurückgehe. Eine Profanisierung des Revolutionärs der Sprache also auf allen Ebenen, nicht nur im Comic, sondern auch in der Literaturwissenschaft.

Ein Dichter als Comicfigur?

Mit „Chapeau, Herr Rimbaud“ bewegt sich aber auch der Verlag Matthes & Seitz auf Neuland, denn es ist die erste Graphic Novel, die in diesem Verlag erschienen ist. Die Schwarz/Weiß-Zeichnungen, wohl mit Tusche gewischt, zeigen einen Rimbaud, der sich nach einigen Abenteuern in Paris, London, Brüssel, Stuttgart und Wien schließlich in den Jemen, Somalia, und Abessinien begibt, um dort einen Waffentransport mit Gewinn abzuschließen. In der deutschen Übersetzung von Marie Luise Knott betritt ein begnadeter Dichter die Comicszene, der zwar mit dem Dichten abgeschlossen hat – und sich nunmehr als Waffenhändler verdingt, nachdem er sich schon als Kaffee- und Sklavenhändler bewährt hatte – aber nicht mit dem Leben. Denn natürlich gilt auch sein ganzes Streben der Profitmaximierung und nicht mehr dem Verdichten von Versen. Die Texter Maurel/Straboni (Straboni ist auch der Zeichner) lassen Rimbaud folgerichtig erst in der zweiten Szene auftreten, denn die erzählte Geschichte gehört eigentlich dem sardischen Ex-Kommunarden Jean Roch Folelli, der sich mit einem Esel namens Monsieur Thiers auf der Flucht und „auf einer Durchreise“ in Afrika befindet, zumindest stellt er sich selbst mit diesen Worten dem verdutzten Dichter vor.

Störrische Esel und andere Anspielungen

Rimbaud erkennt den Verbündeten und Geistesbruder zunächst nicht, denn seinen Esel nach dem Schlächter der Pariser Kommune – Monsieur Thiers – zu benennen, macht noch keinen Sympathieträger aus Folelli. Erst als dieser erwidert, dass es ihm so leichter falle, den Esel zu schlagen, wenn das Vieh wieder einmal störrisch reagiert, wird für Rimbaud klar, dass auch Folelli auf der Flucht sein muss, denn genauso wie Rimbaud selbst konnte auch dieser nicht unsympathische Sarde die herrschenden Verhältnisse in Europa nicht mehr ertragen und ist seither auf der Flucht. Doch anders als Rimbaud macht Folelli auch Bekanntschaft mit einem Shakespeare-zitierenden blinden Schakal und Makeda, der sagenhaften Königin von Saba. Aber ob es nur eine Fata Morgana ist, ein Fiebertraum, oder ob das Schweizerhaus in der Wüste und das Luftschiff über Abu Simbel tatsächlich existieren, das bleibt auch dem aufmerksamsten Leser verborgen. Schließlich sind auch noch ein paar Anspielungen zu Cervantes’ Werk (Don Quijote und Sancho Pansa), die diese Graphic Novel gegen Ende immer absurder machen. Die Moral: „Wenn ein blinder Schakal das Wort an Dich richtet, tu so, als hörtest du ihn nicht“.

Hommage an die ,Commune de Paris‘

„Chapeau, Herr Rimbaud“ hat eigentlich nur sehr entfernt etwas mit dem Dichter der „Zeit in der Hölle“ oder den „Illuminations“ zu tun, auch wenn sich im Anhang ein paar Gedichte von Rimbaud befinden und sogar das unlängst aufgetauchte Foto erwähnt wird, das Rimbaud auf der Terrasse des „Hotel de L’Univers“ in Aden zeigt, ist die vorliegende Graphic Novel mehr als eine Hommage an die ,Commune de Paris‘ zu verstehen, denn als Hommage an Rimbaud. Aber vielleicht wurde mit Jean Roch Folelli, dem am Ende des Comics zwar sein Kopf, nicht aber sein Mundwerk abhanden kommt, ja doch noch ein Protagonist einer neuen Comicserie aus der Taufe gehoben. Mit Spannung darf man jedenfalls die vollständige Korrespondenz Arthur Rimbauds 2012 im Matthes & Seitz Verlag in der Übersetzung von Tim Trzaskalik erwarten. Bis zum Erscheinen sei auf „Die Zukunft der Dichtung“ vom selben Autor im selben Verlag verwiesen.

Titelbild

Christian Straboni / Laurence Maurel: Chapeau, Herr Rimbaud.
Übersetzt aus dem Französischen von Marie Luis Knott.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011.
78 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783882215564

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