Die NS-Vergangenheit deutscher Autoren und Verlage

Ein nützliches Lexikon zur Literatur in Nazi - Deutschland

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 10. Mai 1933 tobte auf dem Berliner Opernplatz wie in vielen anderen deutschen Universitätsstädten der braune Mob. Die nationalsozialistische Studentenführung hatte zur "Verbrennung undeutschen Schrifttums" aufgerufen, Professoren wie Studenten waren in großer Zahl diesem Ruf gefolgt. Rund 20.000 Bücher, u. a. von Heinrich Mann, Sigmund Freud und Kurt Tucholsky, wurden zu Scheiterhaufen aufgeschichtet und verbrannt, stellvertretend gewissermaßen für ihre Autoren, deren man aus verschiedenerlei Gründen nicht habhaft werden konnte. Der reichen und fruchtbaren Entfaltung aller geistigen und künstlerischen Kräfte, die die Weimarer Demokratie garantiert hatte, war damit ein jähes Ende gesetzt. Buchhandlungen und Bibliotheken erhielten eine Liste verbotener Bücher, zu denen schon bald die Werke von Thomas Mann, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer, schließlich etwa 12.400 Titel sowie das Gesamtwerk von 149 Autoren zählten. Jedem, der sich durch Emigration dem Zugriff durch die Exekutivorgane des totalitären Staates entzog, wurde durch ein besonderes Gesetz die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Auf der anderen Seite schuf ein Gesetz vom September 1933 die "Reichskulturkammer", der alle frei schaffenden Künstler angehören mussten. Wer in Deutschland blieb, sah sich vor die Wahl gestellt, entweder innerlich zu emigrieren oder als Mitläufer das geistfeindliche Tun der neuen Machthaber zu tolerieren. Erstaunlich viele Schriftsteller blieben, manche machten sich freiwillig zu Erfüllungsgehilfen von Goebbels' Kulturpolitik.

Hans Sarkowicz und Alf Mentzer haben nun das erste Lexikon aller relevanten deutschsprachigen Schriftsteller vorgelegt, die während des Dritten Reiches debütierten oder avancierten, teils geehrt, teils verfemt, und dann nach dem Zweiten Weltkrieg anerkannt, vergessen oder verdrängt wurden. Mit Kurzbiographien und bibliographischen Hinweisen, Porträts und Abbildungen vieler Buchumschläge werden mehr als 150 Autoren der NS-Zeit vorgestellt. Eröffnet wird das Lexikon mit einem ausführlichen Essay über das System der Literaturüberwachung und die Verlagspolitik unter Hitler. Die Beiträge des Bandes lassen erschreckend deutlich werden, warum die Literatur des Dritten Reiches nicht als Sonderfall innerhalb der deutschen Literaturgeschichte gelten darf. Der Preisgesang auf Blut und Boden und die hymnische Feier des Fronterlebnisses als Stadium des männlichen Reifeprozesses waren schon vor 1933 virulent und reichen über das Jahr 1945 hinaus, zuweilen sogar bis in die jüngste Gegenwart. Letzteres zeigt sich vor allem am Beispiel Ernst Jüngers, des selbsterklärten und fremdgeadelten Jahrhundertzeugen, dem hohe Repräsentanten der Bonner Republik Jahr für Jahr anlässlich seines Geburtstags ihre Aufwartung machten und als "großen Europäer" huldigten. Auch wenn sich Jünger, wie die Autoren des Lexikons treffend bemerken, keiner der nationalistischen Bewegungen der zwanziger Jahre zuordnen lässt, so zählt er mit seinen zuweilen deutlich von antisemitischen Tendenzen bestimmten Schriften doch zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus und leistete nicht zuletzt wegen seiner Unfähigkeit, sich entschieden von autoritären Ideen loszusagen, auch der Neuen Rechten Vorschub. Trotz gelegentlicher systemkritischer Äußerungen genoss Jünger bis 1942 uneingeschränkte Publikationsfreiheit und wurde als Kriegsteilnehmer geehrt. Seine Bücher aus den zwanziger Jahren gehörten von Anfang an zum Literaturkanon des Dritten Reiches.

Sarkowicz und Mentzer haben ausschließlich mit Originalausgaben gearbeitet und etwa 50 Akten des Bundesarchivs ausgewertet, eine Leistung, die der stereotype Aufbau der einzelnen Artikel und die nicht immer plausible Auswahl von Sekundärliteratur nur unerheblich beeinträchtigen. Manch ein Skandal, wie etwa die Verleihung des Mecklenburgischen Literaturpreises an Friedrich Griese (1964), gegen die seinerzeit der Germanist Karl Otto Conrady vehement aufbegehrte, ist heutzutage kaum mehr gegenwärtig. Dank des Lexikons aber wird er wie so vieles andere noch einmal ins Bewusstsein zurückgerufen.

Titelbild

Hans Sarkowicz / Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon.
Europa Verlag, Hamburg 2000.
383 Seiten, 19,70 EUR.
ISBN-10: 3203820250

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