Wie das Leben so spielt

Georg Meiers neuer Roman „Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der neue Roman von Georg Meier spielt im Jahr 1977, dem Jahr der „wundersamen Elvis-Vermehrung“. Am 16. August dieses Jahres stirbt Elvis Presley, der King. Ungefähr eine Woche nach seinem Tod setzt die Handlung ein. Es ist ein warmer Sommer und der Protagonist Hans Lubkowitz hat gerade nach einer längeren Haftstrafe in Folge eines missglückten Banküberfalls die Vollzugsanstalt verlassen dürfen. Mit 1000 Mark in der Tasche soll die Welt erobert werden. Dass dies leichter gedacht als getan ist, vermittelt sich dem Protagonisten umgehend. Trotzdem ist die Stimmung noch gut: „August 1977, Wetter teils-teils, also zwar sommerlich warm, aber feucht, um nicht zu sagen nass, weil vorhin das letzte Stück Himmel mit Finsterwolken zugepflastert worden war“. Den gesellschaftlichen Rahmen liefert dabei der Herbst des Jahres 1977, der geprägt ist von Begriffen wie RAF, Rasterfandung, Sympathisanten, Polizeikontrollen mit entsicherten Maschinenpistolen und einer allgemeinen Terrorismushysterie.

Georg Meier vereinigt in Hans Lubkowitz kriminelle Energie und einen positiven, freundlichen Charakter. Seine Entwicklung wird durch Anspielungen auf die Lebensgeschichte verständlich. Identitätsbildung fand bei ihm vor allem in Abgrenzung zum Vater statt: „Als mir, mit, weiß nicht genau, etwa sechzehn oder siebzehn, die Substanzlosigkeit dieser Ratschläge [seines Vaters, A.d.V.] bewusst geworden war, hatte ich den Kontakt zu ihm verloren“. Ebenso wichtig wird die Musik. Dies teilt er mit seinem Kumpel Fred Fink, der ihm hilft, nachdem er auf seiner ersten Sauftour nach dem Knastaufenthalt ausgeraubt wird. Das musikalische Feld in dem man sich bewegt, ist die Musik vom King. Der etwas dickliche Elvis-Imitator Fred Fink meint dazu: „Ich hab die 50er Jahre und den Rock’n’Roll als ein sicheres Rückzugsgebiet angesehen, glaube ich. Die 50er waren für mich eher ein Ort als eine bestimmte Zeit“.

Der Protagonist durchläuft verschiedene Lebensstationen – die an einen Entwicklungsroman erinnern – verschiedene Jobs, ein paar halblegale Aktionen und der Betrug von ein paar Kriminellen runden seinen „Erfahrungsaustausch“ ab. Dabei wird die kriminelle Grundenergie des Protagonisten immer wieder auf die Probe gestellt. Und so ist es denn auch seine Sentimentalität, die ihn auf bessere Zeiten hoffen lässt: „Wohlige Schauer, als Berti Drossel seinen Arm auf meine Schultern legte, blubbernde Emotionen, ein Gemisch aus befriedigtem Bedürfnis nach Anerkennung, spontaner Selbstverliebtheit und plötzlicher Zuneigung zu allen Anwesenden“. Aber Berti wird von Hans gelinkt und man haut mit 100.000 Dollar in die Provinz ab. Verbindendes Element ist dabei immer Elvis, der in verschiedenen Inkarnationen auftritt. „Jetzt kam er schon wieder mit Elvis. Echt merkwürdig. Ich hatte kaum noch an den King gedacht, obwohl er zu den wichtigsten Personen meiner Kindheit gehört hatte. Dann gab er den Löffel ab, ich traf auf Fred Fink und seitdem überall auf das Thema Elvis. Kein Wunder, dass selbst mein Kater Elvis hieß“.

Dabei sind die Elvis-Performer, ob in Gestalt einer Katze oder eine Klofrau letztendlich Stufen der Erkenntnis, die der Autor auf interessante, skurrile und unterhaltsame Weise beschreibt. „Aber irgendwann erreichten wir dann doch, schon leicht erschöpft, das Hier und Jetzt. Eddy widmete sich, den Oberkörper vorbeugend, Bülent und mir. ‚So, so‘, sagte er schmunzelnd, ‚ein weiterer Elvis also. Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung, wie’s scheint. Überall laufen jetzt Elvis-Imitatoren rum. Allerdings durch die Bank solche dicken, älteren Typen im Las-Vegas-Outfit. In Wandsbek soll es sogar eine Toilettenfrau geben, die sich auf Elvis trimmt, und wie ich höre, ähnelt sie dem King mehr als alle männlichen Konkurrenten‘.“

Georg Maier hat mit seinem neuen Roman ein seltsames und gleichzeitig irritierendes Gesellschaftsbild aus dem politisch brisanten Jahr 1977 geliefert, das es lohnt, einmal genauer angeschaut zu werden. Politik und Elvis, das geht hier zusammen und schreibt eine ganz besondere Art der Zeitgeschichte. Und diese Form der Gesellschaftschronik sagt über das Jahr 1977 und seine Protagonisten mehr aus, als man in den meisten historischen Abhandlungen finden kann. Aber vielleicht kann man das nur verstehen, wenn man 1977 miterlebt hat. Aber noch einmal erleben kann man es mit Georg Meiers „wundersamer Elvis-Vermehrung“.

Titelbild

Georg Meier: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2012.
520 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717722

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