Die Saiten des Lebens

Über Igal Shamirs Thriller „Hitlers Violine“

Von Peter MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gal Knobel ist ein erfolgreicher Konzertvirtuose. Seine Bekanntheit verdankt er aber nicht nur seinem außerordentlichen Talent, sondern auch dem werbewirksamen Titel „Der Spion mit der Geige“ – eine Erinnerung an seine Zeit als Nazijäger im Einsatz für den israelischen Geheimdienst. Gerade scheint sich Knobel von diesem früheren Leben lösen zu können, als er bei einem Auftritt in Venedig unerwartet von der Vergangenheit eingeholt wird.

Kardinal de Morillon bittet ihn um Hilfe bei der Aufklärung eines fast 50 Jahre zurückliegenden Verbrechens: Gustav Schultz, ein deutscher Soldat und Violinist, besiegelte im Jahre 1940 sein Schicksal, als er auf einem französischen Schloss in Anwesenheit Adolf Hitlers ein Werk von Salomone Rossi vorführte und damit sein Leben verspielte. War allein die jüdische Herkunft des Komponisten der Auslöser für Hitlers Zornesausbruch, der vielleicht sogar den Kriegsausgang maßgeblich beeinflusste?

Es stellt sich heraus, dass Schultz bei seinem Studium an der Schola Cantorum in Paris auf Hinweise stieß, die den bislang nahezu unbekannten Rossi in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen. Wie genau stellte sich die Kooperation zwischen Rossi und seinem ,christlichen‘ Kollegen Claudio Monteverdi dar? Was hat es mit Rossis plötzlichem und mysteriösem Verschwinden in Venedig auf sich? Und was wusste Vincent d’Indy, bekennender Wagnerianer und Gründer der Schola Cantorum, über Rossis Leben und seine Verbindung zu Monteverdi? Die Suche nach Antworten führt Knobel quer durch Europa bis in die geheimen Archive des Vatikans, denn auch die katholische Kirche scheint ein Interesse daran zu haben, gewisse Informationen unter Verschluss zu halten.

Shamir gelingt es, durch ein geschicktes Verweben von Realität und Fiktion eine mehr als plausible Geschichte zu entwickeln, weshalb es auch nicht weiter stört, dass die Handlung bisweilen an eine Mixtur aus Dan Brown und den seit Delia Bacons „The Philosophy of Shakespeare’s Plays“ geführten Urheberschaftsdiskussionen um die Werke des englischen Dramatikers erinnert. Dies liegt vor allem an der glaubhaften und gelungenen Darstellung der Protagonisten. Überraschend menschlich fällt dabei die Charakterzeichnung des Alt-Nazis Franz Becher aus, der hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zum ehemaligen NS-Regime und seiner Schuld am Tod seines Freundes Gustav Schultz bis zu seinem Lebensabend von eigenen Dämonen verfolgt wird. Stimmig auch die Entwicklung Knobels, der im Laufe der Suche immer mehr verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen Schultz, Rossi und sich selbst entdeckt, weshalb die Aufklärung des Mysteriums nach und nach zu einem persönlichen Anliegen wird.

Der Roman profitiert nicht zuletzt auch von einer gewissen Authentizität, da das Leben des Autors ebenfalls einige Parallelen zu dem seines Protagonisten aufweist: Shamir war selbst Kampfpilot der israelischen Armee, bevor sein musikalisches Talent von Yehudi Menuhin entdeckt wurde, was ihm nicht nur zu einer Violinistenkarriere, sondern auch zu einer Professur für den Fachbereich Violine und Kammermusik an der Schola Cantorum in Paris verhalf. Dass er auch die Saiten eines Thrillers virtuos zu stimmen weiß, beweist er in „Hitlers Violine“ nachhaltig und auch wenn der Roman nicht gerade einem allegro furioso gleicht, so hält er den Takt doch hoch und verdient zudem die Anerkennung, einen fast vergessenen Komponisten einem breiteren Publikum zugänglich gemacht zu haben.

Titelbild

Igal Shamir: Hitlers Violine. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Anja Lazarowicz.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010.
350 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055209

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