Geschlossene Gesellschaft?

Ein anregender Sammelband zur „Interferenz von Hoch- und Populärkultur in der Gegenwartsliteratur“

Von Judith BergesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Berges

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die ersten drei von dreizehn Beiträgen in diesem von Thomas Wegmann und Norbert Christian herausgegebenen Band erschließen das Thema, die Interferenz von Hoch- und Populärkultur in der Gegenwartsliteratur, allgemein theoretisch-historisch, gefolgt von neun sowohl thematisch als auch methodisch unterschiedlichen Fallstudien. Diese analysieren je ein literarisches Werk im Hinblick auf dessen Pop-Elemente. Gegenstand der Analyse sind Texte unter anderem von Dietmar Dath, Rolf Dieter Brinkmann, Wolf Haas, Marcel Beyer, Peter Handke oder Leanne Shapton. Das Theater wird mit einem Aufsatz über René Pollesch berücksichtigt. Der Band schließt mit einer Motivanalyse, einem Text über die Liste in der Literatur und ihre Funktion als Kippfigur zwischen Kunst und Nichtkunst. Für alle Beiträge gilt die Feststellung von Natalie Binczek in ihrem Text über Rolf Dieter Brinkmann, „dass Popliteratur […] selbst nicht an Populärkultur partizipiert, sondern ausschließlich über Signifikationsprozesse auf diese Bezug nimmt. Populäres wird lediglich als Thema oder Motiv von ihr behandelt.“ Noch am weitesten ins Feld des Populären hinein begibt sich Heinz Drügh mit seinem Text über Wolf Haas’ Privatdetektiv-Brenner-Romane. Zugrunde gelegt wird insgesamt ein Begriff von Popliteratur (wie auch von Gegenwartsliteratur), der diese von populärer oder gar Trivialliteratur abgrenzt.

Ein Band über dieses Thema muss eine Reihe von Definitions- und Abgrenzungsproblemen berücksichtigen, worauf auch die Herausgeber in ihrem einleitenden Text hinweisen. Sie gehen von den künstlerischen Avantgarden aus, mit denen „alle Materialien und Verfahren kunstfähig [werden] und […] die Grenze zwischen Kunst und Leben [verschwimmt]“. Es zeigt sich, dass dies zwar auch auf die zitierte Popliteratur etwa von Thomas Meinecke, Dietmar Dath oder Rainald Goetz zutrifft, doch stellt sich auch gleich die Frage, wie sich diese Popliteratur zu einer „sogenannten Populärkultur“ verhält, mit der sie nämlich einen „hoch reflektieren Umgang“ pflegt. Popliteratur wäre dann einfach eine literarische Spielart innerhalb der Hochkultur, ließe sich demzufolge im Wesentlichen ästhetisch bestimmen und stünde in keinem subversiven Verhältnis zum kulturellen Kanon und seinen Institutionen.

Die Subversivität von Pop ist überhaupt sehr fraglich, wie an mehreren Stellen gezeigt wird. Zumal auch die Institutionen der Hochkultur mit den historischen Avantgarden gelernt haben, jede ästhetische oder inhaltliche Provokation zu inkorporieren. Dennoch bleibt der Wunsch nach Subversivität, die Identifizierung von Pop- mit Gegenkultur, latent vorhanden.

Drei Fragen stellen sich bei der Lektüre immer wieder: Welche Erkenntnispotentiale birgt die Beschäftigung mit Pop- und Populärkultur, und für wen sind diese nützlich? Welche Erwartungen richtet insbesondere das akademische Feld an eine solche Beschäftigung? Welche Abgrenzungen werden vorgenommen, von wem und warum? Zum einen sind da die traditionellen Abgrenzungen seitens der etablierten Hochkultur, zum anderen die der verschiedenen popkulturellen Fraktionen gegenüber dem Establishment oder der kommerziellen Unterhaltungskultur. Es wird deutlich: zwischen Populärkultur und Popkultur muss unterschieden werden. Zur Populärkultur gehört auch das wirklich Andere der akademisch anerkannnten Hochkultur; die Vertreter der Popkultur stehen wiederum häufig dem akademischen Feld nahe, auch wenn sie sich (vielleicht gerade aufgrund der Nähe) in verschiedenste Richtungen abzugrenzen suchen. Allen Texten ist gemein, dass sie sich mit einer klaren Definition von ‚Populärkultur‘ schwertun. Nicht von ungefähr wird der Begriff immer wieder durch verwandte Begriffe ersetzt oder ergänzt: Popkultur, Unterhaltungskultur, Subkultur, Trashkultur, wobei nicht immer herausgearbeitet wird, was diesen Unterschied ausmacht. Als kleinster gemeinsamer Nenner scheint sich schließlich die Ambivalenz als essentielle Eigenschaft der unter den verschiedenen Begriffen subsumierten Kulturprodukte herauszukristallisieren. Diese Ambivalenz zeigt sich als erstes an dem Umstand, dass diesen Gegenständen aus Sicht einer hochkulturellen Hegemonie sowohl subversive als auch affirmative Eigenschaften zugeschrieben werden (können). Dass die akademische Beschäftigung mit Populär- und Popkultur ihrerseits zum Distinktionsmittel werden kann, zeigt Thomas Becker in einem recht angriffslustigen Text unter der Überschrift „Wo steht die Gegenkultur?“. Becker geht das Verhältnis high/low zum einen von den Produktionsbedingungen, zum anderen von der Position der Rezipienten her an. Er diagnostiziert unter anderem einen in seinen Augen zweifelhaften Gebrauch trivialkultureller Produktionen zu Distinktionszwecken unter bürgerlichen Akademikern, denen die Themen ausgehen. So entsteht laut Becker das Missverständnis, „die Demokratisierung im Feld der Macht für Demokratie schlechthin zu halten. […] Diese genuin intellektuelle Verleugnung der eigenen privilegierten Stellung im Feld der Macht ist immer noch eine Strategie der Legitimierung. […] Wer das Spiel von high und low adäquat beschreiben will, muss auch seine eigenen Positionierungsstrategien in den Blick nehmen.“

Daran fehlt es in diesem Band bisweilen. So schreibt Uta Degner am Schluss ihres Beitrags über Dietmar Daths „Die salzweißen Augen“ noch einmal die Grenze zwischen Hochkultur und „Trash“ fest, indem sie die akademische Beschäftigung mit letzterer als Verrat an derselben darstellt („infiziert vom ‚Gift‘ der hohen Kultur“). Pierre Bourdieus Konzept des „Virtuosen“, auf das Degner sich hier bezieht, meinte Akteure, die wesentlich eine soziale Aufwertung ihrer bevorzugten ästhetischen Gegenstände beziehungsweise Praxis anstreben. Es ist aber fraglich, ob Daths Text diese Lesart privilegiert. Vor allem versucht Dath, den Blick eines der Trashkultur herkömmlicherweise abgeneigten Publikums – personifiziert in der fiktiven Adressatin von Daths Text – direkt auf diese Gegenstände zu lenken. Dass die fraglichen Gegenstände auch aufgewertet werden, indem ihnen nun zusätzlich zu ihrer Schockwirkung ein aufklärerischer Gehalt zugesprochen wird, ist etwas anderes. Dass sie damit unter bürgerlichen Akademikern salonfähig werden (können), ist eher ein Sekundäreffekt. Dennoch zeigt dieser Effekt ein notorisch zwangsläufiges Moment der oben genannten Ambivalenz an, wenn es um kulturindustrielle Aneignung subversiver Ausdrucksformen durch etablierte Institutionen geht. Interessant ist aber, wie gerade dieser Beitrag unbeabsichtigt den Antagonismus von high und low reinszeniert wie in einem Fallbeispiel zu „Die feinen Unterschiede“: Während der behandelte (Pop-)Autor sich nach Kräften als Underdog von niederer sozialer Herkunft darstellt und gegen das akademische Establishment abgrenzt, konstatiert die Wissenschaftlerin, deren Text ganz im streng akademischen Duktus gehalten ist, eben dieses Autors literarisch-theoretischen Fehlschlag und kommentiert gönnerhaft: „Dies stellt kein persönliches Versagen dar […].“

Insgesamt eröffnet dieser Band vielfältige Perspektiven auf ein komplexes Thema, gibt eine Vielzahl von Anregungen und beansprucht dabei ausdrücklich nicht, der Fragestellung abschließend gerecht zu werden. Vielmehr möchten die Herausgeber durchaus auch das Augenmerk auf weitere offene Fragen richten. So möchte man dem Band nicht vorwerfen, dass die Einzelanalysen, so unterschiedlich sie auch sind, nicht das Problemspektrum wiedergeben, das in den allgemein theoretischen Beiträgen angerissen wird. Man kann aber dennoch bedauern, dass der Blick sich hier etwas einseitig auf solche Texte richtet, die selbst hochkulturfähig sind. Es wäre eine Untersuchung wert gewesen, ob – und wenn ja, warum – Popliteratur und Populärkultur tatsächlich immer nur über Signifikationsprozesse miteinander in Beziehung treten, wie oben behauptet. Das gleiche gilt für die Frage, wo und wie die titelgebenden „Interferenzen“ auch umgekehrt in Texten der Populärkultur wirksam sind – und zwar jenseits der berüchtigten Nobilitierungsbestrebungen. So bleibt trotz der ausnahmslos lesenswerten und zum Teil regelrecht vergnüglichen Beiträge ein wenig der Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft unter Beteiligung der üblichen Verdächtigen zurück.

Titelbild

Thomas Wegmann / Norbert Christian Wolf (Hg.): "High" und "Low". Zur Interferenz von Hoch- und Populärkultur in der Gegenwartsliteratur.
De Gruyter, Berlin 2011.
238 Seiten, 89,95 EUR.
ISBN-13: 9783110255607

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