Lebenslauf im Wellengang

Thomas Fuchs, Titanic-Autor, schreibt eine Biografie: „Mark Twain: Ein Mann von Welt“ ist eine lesbare wie lesenswerte Huldigung

Von Andreas ThammRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Thamm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Personen, die in dieser Biografie nach Fußnoten suchen, werden gerichtlich verfolgt; Personen, die diese Biografie als akademischen Aufsatz missverstehen, werden verbannt; Personen, die nicht begreifen, dass diese Biografie eine literarische Liebeserklärung ist, werden erschossen“, heißt es im Klappentext.

Thomas Fuchs verweist mit dieser Ankündigung zunächst auf „Huckleberry Finns Abenteuer“, den großen Erfolg Twains, der ähnlich beginnt. Andererseits könnte man auch sagen, er macht es sich leicht, von vornherein. Oder: Er ermöglicht es sich selbst, eine Biografie zu schreiben, die er selbst gern lesen möchte, die Spaß macht.

Dass Fuchs diese Biografie eine Herzensangelegenheit ist, wird schon in den ersten Zeilen des Vorworts deutlich. Sein Ich drängt mit in den Text, beansprucht einen Platz neben Twain, dem Weltliteraten. Dabei reiht sich Fuchs ein in die Liste der biografischen Veröffentlichungen, deren Anfang in Twains Lebzeiten zurückreicht. Auf dem deutschen Markt sei Brauchbares zum Thema jedoch einigermaßen rar, heißt es – der Autor schafft seinem Buch so eine Existenzberechtigung. Und macht sich am Ende dennoch klein: Er wolle vor allem unterhalten und neugierig machen. „Sollte sich hier und da doch eine nützliche Information oder gar ein tiefschürfender Gedanke in den Text verirrt haben, bedaure ich dies.“

Keine Sorge – „Mark Twain: Ein Mann von Welt“ beinhaltet eine ganze Menge nützlicher Informationen und auch die, zumindest teilweise tiefschürfenden Gedanken Mark Twains enthält Fuchs seinen Lesern nicht vor. Seinen eigentlichen Anspruch aber, den er so kokettierend frech ankündigt, den erfüllt er mit Bravour. Denn die Biografie kommt mit einer unerhörten Leichtigkeit daher, die man sich erst einmal trauen muss.

Dabei gelingt es ihm, durch kluge Auswahl ein erstaunlich dichtes Bild zu generieren. Auf etwas mehr als 200 Seiten entfaltet sich, rund um Twain, der Kern einer Epoche, die womöglich eine der spannendsten der Menschheitsgeschichte ist: Die Vereinigten Staaten, vor, während und nach dem Bürgerkrieg. Mittendrin, wenn auch manchmal etwas abseitig, der Mississippi-Lotse, der Reporter, der Kriegsdienstverweigerer und Nationalheld: Mark Twain.

Der dem Leser vor allem dann am Nahesten kommt, wenn Fuchs sich seinen eigenen Kommentar zur Situation erspart und den Meister selbst sprechen lässt. 1870 heiratet Mark Twain Olivia Langdon. Als er im Zuge der Trauung realisiert, dass die beiden vom Brautvater eine Villa geschenkt bekommen, packt er dessen Hand mit den Worten: „Mr. Langdon, wann immer Sie nach Buffalo kommen – es kann sogar zweimal im Jahr sein –, dann kommen Sie einfach mit Ihrem Koffer vorbei und übernachten bei uns. Sie brauchen auch keinen Cent dafür zu bezahlen.“

Ob jedes einzelne Zitat tatsächlich so gesagt worden ist, oder mehr Bestandteil des konstruierten Mythos ist, ist heute wohl kaum nachzuvollziehen, es spielt aber auch keine Rolle. Und das Versprechen macht Fuchs ohnehin wahr: Nach Quellen braucht hier niemand zu suchen.

Dennoch, obwohl sich diese Biografie jeglichem akademischem Anspruch verweigert, ist die Zusammensetzung einer Schriftstellerpersönlichkeit als Collage aus Erfahrungen und Stationen nicht nur nachvollziehbar, sondern auch als literaturwissenschaftliche Theorie tragbar, zumindest im Ansatz. Was zwischen den Zeilen steht: Ohne Jugendprägung in New York, ohne Abschaffung der Sklaverei, ohne Saufgelage in San Francisco, ohne Europareisen und, natürlich, ohne Mississippi kein Tom Sawyer, kein Huckleberry Finn.

Aus einem Lebenslauf im Wellengang – also immer wieder vom Höhepunkt zur nächsten großen Tragödie – kristallisiert sich so eine Autorenfigur, die sowohl historisch ist als auch zeitgenössisch. Mark Twain manifestierte sich im Herzen der USA als einer, der mit der Tradition brach, der sich nicht an den Europäern orientieren wollte und den großen amerikanischen Roman mitbegründete. „An Jane Austen“, schreibt Fuchs, „störten ihn vor allem zwei Dinge: dass sie so spät und eines natürlichen Todes gestorben war.“

Gleichzeitig steckt in „Mark Twain: Ein Mann von Welt“ der Diskurs aus den Feuilletons des 21. Jahrhunderts. Dass Mark Twain bis heute als Name in der Weltliteratur ist, liegt offenbar nicht nur an den vielen mittelmäßigen und zwei grandiosen Büchern, sondern auch an einem gewissen Marketinggeschick. Twain inszenierte sich, unabhängig vom Verlag, als Person des öffentlichen Interesses, wählte einen Look mit Wiedererkennungswert, hielt Vorträge rund um die Welt, provozierte, wurde zur so Marke. 1866 kehrt er aus Hawaii zurück und ist, dank seiner Reportagen von der Insel, berühmt. Dennoch bangt er um Zuhörer für einen anstehenden Vortrag: „Auf der Straße fiel ihm ein Mann mit einem ansteckenden Gelächter auf. Der Mann erhielt eine Freikarte.“ Diese Anekdote ist exemplarisch.

Für seine Biografie wählt sich Fuchs eine von sich aus schillernde Gestalt, die jegliche Höhen und Tiefen durchstehen musste und dabei nie um einen ironischen Spruch verlegen war. Man möchte meinen, das Ganze erzähle sich ohnehin von alleine. Man täte jedoch dem Autor unrecht. Thomas Fuchs hat die Zeitgeschichte sauber recherchiert, ist vor Ort gewesen – das heißt an vielen Orten – und kann es sich, dank seinem Fachwissen, immer wieder erlauben, ins Essayistische abzudriften. Er porträtiert nicht nur einen Autor, dessen Aufstieg zur Ikone, sondern auch eine Nation im Umbruch.

Manchmal, leider, bricht aber der Gagschreiber und Titanic-Autor durch. Dann versucht Fuchs, noch einen draufzusetzen und platziert am Ende eines Kapitels eine platte Pointe, wo der eigentliche Inhalt ausreichend unterhaltsam gewesen wäre. „1995 setzten Tierschützer durch, dass nur Frösche, die unter menschenwürdigen Bedingungen gehalten werden, am Wettkampf [Frosch-Wettspringen in Anlehnung an eine Story Twains] teilnehmen dürfen. Das ist natürlich eine schlechte Nachricht für Frösche aus Guantanamo…“

Das fällt alles in allem aber nicht ins Gewicht. Thomas Fuchs ist es gelungen, das richtige Maß zu finden. Er setzt dem Leser das Leben Mark Twains in einer gewählten Portionierung vor, hat an den richtigen Stellen ausgelassen, wo andere 200 Seiten weitergeschrieben hätten. Und obwohl er sich betont aus der Gerüchteküche fernhält und sich, ganz non-boulevardesk, auf die literarische Produktion dieses Autors konzentriert, die Schaffensgeschichte fast jeden Buches nachzeichnet, ist diese Biografie fesselnd. Sie wird nicht zum Standardwerk an Universitäten werden, aber ganz bestimmt viele neue Fans züchten.

Titelbild

Mark Twain: Ein Mann von Welt. Die Biografie von Thomas Fuchs.
Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012.
224 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783942990066

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch