Karriereträume und blutrünstige Kaffeefahrten

„Ritter. Der ultimative Karriereführer“ von Michael Prestwich

Von Peter SomogyiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Somogyi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welcher Junge träumte nicht einmal davon, Ritter zu sein? Sich in eine schimmernde Rüstung zu kleiden, ein Schwert zu schwingen und auf einem stolzen Streitross Abenteuer zu suchen – das klingt zunächst sehr verlockend. Doch dank Michael Prestwichs „ultimativem Karriereführer“ für angehende Ritter können wir inzwischen erwachsenen Männer uns bestätigt fühlen, dass es gar nicht so schlimm war, diesen Traum (vorerst) an den Nagel zu hängen. Denn der Autor, ein ausgewiesener Fachmann mittelalterlicher Militärgeschichte und ehemaliger Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Durham, weiß von allerlei Nachteilen zu berichten, die das Leben in Rüstung und zu Pferd mit sich brachte. Hygieneprobleme, Nahrungsabsonderlichkeiten und körperliche Beeinträchtigungen durch Rüstung, Kampf und Reiten sind dabei lediglich die Speerspitze der Schattenseiten ritterlicher Existenz.

Allerdings weiß der Kenner vorzügliche Tipps für diejenigen zu geben, die es trotzdem mit der Erfüllung ihrer Traumes, einmal als strahlender Ritter durch die Lande zu ziehen, aufnehmen wollen. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf vier berühmte historische Persönlichkeiten des 14. Jahrhunderts: Geoffroi de Charny, John Hawkwood, Boucicaut und Oswald von Wolkenstein dienen als „Gewährsmänner in allen praktischen Fragen und konkreten Lebenslagen“. Klug und detailliert, einfallsreich und unterhaltsam bietet Prestwich Einblicke in Themen der großen Welt eines Ritters, wie Erziehung und Ausbildung, Waffen und Rüstung, Turnier und Kampf sowie den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht.

Hierzu wurden zwar bereits Legionen wissenschaftlicher Arbeiten publiziert, doch der englische Forscher zeichnet sich mit seiner reich bebilderten Monografie gerade dadurch aus, dass er dem scheinbar übersättigten Markt an Ritterliteratur ein Werk entgegensetzt, welches das Thema von seinem Staub und überkommenen Habitus befreit. Dies gelingt ihm mit fundierten Sachkenntnissen, die er in das Gewand eines Anleitungsbuches zur ritterlichen Lebensführung eingekleidet hat, das vor humorvollen Anekdoten und pointierten Informationen nur so strotzt. Daher können herkömmliche Einführungswerke zum Rittertum im Bezug auf den Unterhaltungswert nicht mithalten. Damit könnte ihm vielleicht gelingen, was der sonstigen Forschungsliteratur eher verwehrt bleibt: sogar die ‚Generation Internet‘ anzusprechen und das Medium Buch wieder reizvoll zu machen – selbst wenn es nur die Ebook-Version ist.

Selbstverständlich arbeitet auch das Thema als solches für Prestwich. Die anhaltende Faszination für die eisernen Kämpfer ist in der Populärkultur nach wie vor ungetrübt. Der Autor spielt zugleich mit einigen der gängigen Klischees, wie etwa der Badeunlust, und zerschlägt dabei das von der Romantik verklärte Ritterbild des tugendhaften und unfehlbaren Gottesstreiters. Nur einem wirklichen Kenner kann es daher gelingen, die blutrünstigen und gewaltbehafteten Kreuz- und Preußenzüge im Stil von Werbeslogans wie eine Kaffeefahrt erscheinen zu lassen, ohne deren Brachialität zu nehmen.

Prestwich zeigt, wie Imaginationen historischer Männlichkeit im Schlamm des Niemandslandes zwischen elaborierter Fiktion und dunstbesetzter Wirklichkeit geformt wurden. Auch geht er auf die in der Forschung beliebte Opposition von Ideal und Realität, Schein und Sein ein, indem er sich auf die „Lebenserfahrungen von Rittern und Waffenknechten“ stützt, die nicht auf Ritterromanen beruhen. Zugleich weiß er von den Selbststilisierungstendenzen dieser Berichte. Demnach ist sein Werk durchaus mit jenem des Geoffrois de Charny, „Livre de chevalerie“, vergleichbar.

Der französische Ritter verfasste gegen Mitte des 14. Jahrhunderts sein Traktat als Anleitung zu einem rittergefälligen Dasein. Hierfür verwob dieser eigene Kriegserlebnisse mit den idealisierten Ideen tugendhaften Verhaltens aus höfischen Romanen und der Lyrik. Charny schrieb aus einer prekären Lage heraus: Als Mitglied des Sternordens musste er das französische Rittertum verteidigen und gleichzeitig die erheblichen Verluste seiner Kriegskameraden verkraften, die beispielsweise in der Schlacht von Crézy (1346) gefallen waren. Jene von Poitiers (1356) kostete ihm gar selbst das Leben. Der Glanz des französischen Rittertums wich allmählichen Korrosionserscheinungen. Die Einheit der Dreiheit, die Guillaume de Nangis, Archivar des Klosters von Saint-Denis, noch im späten 13. Jahrhundert in der dreiblättrigen Lilie des französischen Königswappens sah – die Werte Ritterschaft, Weisheit und Glauben – geriet durch die gehäuften Niederlagen der ritterlichen Kämpfer im 14. Jahrhundert in Gefahr, zu einer Zweiheit zu verkommen. Charny war sich dieser Tatsache bewusst. Seine reformerische Tätigkeit konnte er einzig in einem Rückgriff auf einen starken Voluntarismus, Rittertum als Wille zur Tat und damit die Befähigung zur Tapferkeit, umsetzen, die jedoch nie Wirklichkeit wurde.

Ebenso wie Charny literarischen Idealen die Realität entgegensetzte, stellt Prestwich den gängigen, aus Artusepen bekannten Idealen durch schnöde Pragmatik, wie beispielsweise Analfisteln nach langen Ritten auf endlosen Feldzügen, ein eisernes Bein – und dies so charmant, dass man(n) das Scheppern der Rüstungsteile kaum mehr vernimmt. Der Autor entlarvt in seiner ironischen Distanzierung implizit das Rittertum als maskuline, symbolische Herrschaft sowie als bestechendes Amalgam aus Ehre, Blut, Heimtücke und Galanterie. Indem Prestwich die Zeit von 1300 bis 1415 näher in den Blick nimmt, verdeutlicht er anhand dieser Umbruchsphase den Wandel der Ritterschaft. Der einstmalige Krieger, der fälschlicherweise oft zu einer bluttriefenden feudalen Bestie degradiert wird, wurde ein edler Ritter, der schließlich zum Karrieristen mutierte, worauf Richard W. Kaeuper im Vorwort der Edition von „Livre de chevalerie“ hinweist. Von dieser Entwicklung vom Idealisten zum kalkulierenden Ökonom legen zudem spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Werke wie Jean de Bueils „Le Jouvencel“ (1466) und Baldassare Castigliones „Il Libro del Cortegiano“ (1528) Zeugnis ab.

Treffend hat Prestwich das Rittertum als Karrieremöglichkeit veranschaulicht, die durchaus erneut das Kind im Manne wecken kann. Daher muss abschließend noch ein Rat des Autors erteilt werden, falls es einem seiner Leser doch einfallen sollte, wie William Thatcher in „Ritter aus Leidenschaft“ (Regie: Brian Helgeland, 2001), seine ‚Sterne neu zu ordnen’ und sich von einem unadligen Dachdeckersohn zu einem Ritter zu erheben. Sie dürfen gern wie er das Pseudonym Ulrich von Lichtenstein für Turnierteilnahmen verwenden, sollten aber zwingend darauf achten zu erwähnen, dass Sie aus Geldern kommen und nicht aus seiner wahren Heimat, der Steiermark.

Mit solchen Bezugnahmen verdeutlicht Prestwich, dass er sich nicht nur im Mittelalter bestens auskennt, sondern selbst noch in der Populärkultur bewandert ist, was seinen „Karriereführer“ umso sympathischer macht. Ihm ist ein äußerst unterhaltsames Sachbuch gelungen, das neben einem kurzweiligen Lesevergnügen auch fundierte Informationen bietet, die zum Weiterforschen (und Träumen) anregen.

Titelbild

Michael Prestwich: Ritter. Der ultimative Karriereführer.
Primus Verlag, Darmstadt 2011.
231 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783896788535

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