Kindheit und Jugend

Die Quelle von Hesses Schreiben

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hermann Hesse (1877-1962) hat seine Knaben- und Jugendjahre im Schwäbischen verbracht, unter anderem in seinem Geburtsort Calw, in Maulbronn und Tübingen. Unterbrochen wurde diese Zeit nur durch einen fünfjährigen Aufenthalt in Basel. Vom dritten bis zu seinem neunten Lebensjahr lebte Hermann Hesse in seiner Kindheit in der Schweiz. Prägend waren aber die schwäbischen Jahre.

Der spätere Nobelpreisträger hat seine Heimat immer wieder liebevoll geschildert und sie zum Schauplatz seiner Erzählungen und Romane gemacht. Nun ist im Tübinger Verlag Klöpfer und Meyer der Band „Jugendland“ mit frühen Erzählungen und Erinnerungen von Hermann Hesse erschienen. Der Auswahlband ist Band 20 der Reihe „Eine kleine Landesbibliothek“, die sich auf die großen Klassiker des deutschen Südwestens spezialisiert hat. Nach Schiller, Hebel, Mörike, Uhland, Hauff und anderen Autoren der „schwäbischen Kultur“ nun also Hermann Hesse.

Wie kaum ein anderer Dichter schrieb Hesse aus der Quelle und Inspiration der Kindheit und Jugend heraus. Das verdeutlichen die in diesem Band versammelten Erzählungen, Betrachtungen und Erinnerungen. Den Auftakt macht die Erinnerung „Kindheit des Zauberers“ (1921/23), der der Autor den verblüffenden Untertitel „Ein autobiographisches Märchen“ gab. Mit diesem scheinbar widersinnigen Genre gelang es ihm aber, seine geheimnisvolle Kindheitswelt zwischen Traum und Wirklichkeit zu beschreiben.

In „Kinderseele“ (1918/19) verarbeitete Hesse ein eigenes Kindheitserlebnis: aus der Sicht des Elfjährigen schildert er sein damaliges schwieriges Verhältnis zu seinem Vater und seine Bestrafung für einen nicht zugebenen Diebstahl. Mit erstaunlicher Präzision beschreibt Hesse die Gefühle und seelischen Qualen des kleinen Jungen. Die folgenden drei kurzen Erinnerungen „Floßfahrt“, „Der Kavalier auf dem Eise“ und „Erlebnis in der Knabenzeit“ erzählen vom Übergang von der Kindheit zur Jugend und zum Erwachsenwerden.

In den beiden Erzählungen „Unterbrochene Schulstunde“ (1948) und „Erwin“ (1899) verarbeitet Hesse Schulerinnerungen, wobei „Erwin“ als eine Vorstufe zu seinem Roman „Unterm Rad“ anzusehen ist. Die Tübinger Erinnerung „Die Novembernacht“ (1901) spielt dagegen im Studentenmilieu. Den Abschluss bildet die Sommeridylle „Schön ist die Jugend“ (1907), die der Autor von seinen frühen Erzählungen selbst am höchsten schätzte. Sie ist ein versöhnlicher Abschied von der Kindheit und der Jugend.

Das frühe erzählerische Werk von Hermann Hesse, wie es uns auf diesen 230 Seiten begegnet, zeichnet sich durch die Reflektion innerster Gedanken und Gefühle aus. Es ist Ausdruck des Suchens und der jugendlichen Rebellion. Dabei betritt der heutigen Leser eine relativ festgefügte, fast noch ständische Welt, die kaum Veränderungen unterworfen ist.

Titelbild

Hermann Hesse: Jugendland. Erzählungen und Erinnerungen.
Hrsg. von Herbert Schnierle-Lutz.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2011.
229 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783940086716

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