Afrika, mon amour?

„Apokalypse Afrika“ von Hans Christoph Buch

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Christoph Buch übertreibt nicht. Es geht in seiner „Apokalypse Afrika“ tatsächlich um eine Apokalypse. Aber es ist keine überraschende, keine unerwartet auftretende Katastrophe, die er beschreibt, sondern eine durch systematisches Handeln herbeigeführte Situation, die, wenn man es genau betrachtet, das Ergebnis einer „Zusammenarbeit“ unter gleichen moralischen Wertvorstellungen aller Beteiligten ist. Seit der kolonialen „Erschließung“ beziehungsweise. „Aufteilung“ Afrikas geht es um die Ausbeutung beziehungsweise. Kommerzialisierung des Kontinents. Hans Christoph Buch erzählt diese Geschichte der Zerlegung des Kontinents anhand seines literarischen Alter Egos Bachmaier. Dieser ist Journalist mit einem etwas unzeitgemäßen moralischen Ethos und einem überdurchschnittlichen Interesse für den Kontinent Afrika: „Er kam von der schreibenden Zunft, wie man früher sagte, und anders als die meisten seiner Kollegen hatte er sich einen Rest sprachlicher Sensibilität bewahrt. Es bereitete ihm physischen Schmerz, wenn jemand das Genitiv-s wegließ oder Dschurnalist statt Journalist sagte (nur Bayern war das erlaubt), und bei Formulierungen wie ‚die Hausaufgaben machen‘, ‚ein Paket schnüren‘ oder etwas ‚in trockne Tücher‘ schlagen wurde ihm schlecht, während der Satz ‚Nicht überall wo XY draufsteht, ist auch XY drin‘ Brechreiz bei ihm auslöste.“ Und so lässt Buch sein Alter Ego mit auf die Afrikareise des Bundespräsidenten Horst Köhler gehen, reiht ihn in eine Karawane ein, die sich wie ein merkwürdiger Fremdkörper durch ein Afrika kurz vor der Jahrtausendwende bewegt.

Aber um die Person Bachmaiers nicht als eine Moralinstanz einzuführen, wird auch dieser Charakter beschädigt und gebrochen, seine Glaubwürdigkeit zumindest in Zweifel gezogen: „Bachmaier log: In Nairobi hatte er mit einer Kenianerin zusammengelebt und später, nach der Scheidung von seiner Frau, deren Freundin geheiratet. Aber das waren alte Geschichten, und er hatte keine Lust, von Buchmeyer durch den Fleischwolf gedreht und in einem seiner Bücher verwurstet zu werden.“ Diesen Erzählstrang aus der Gegenwart kontrastiert der Autor mit Erzählminiaturen der Vergangenheit und der näheren Gegenwart. Gemeinsam ist den Geschichten, dass sie Afrika und das irrationale Gefühl diesem Kontinent gegenüber thematisieren.

Die Berichte von der Kongo-Konferenz aus dem 1880er-Jahren werden collageartig in die Chronologie des Bandes eingefügt. Diesen werden Nachrichten aus dem Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Tutsi und Hutu im Jahr 1994 gegenübergestellt. Ebenso wird die Problematik aufgegriffen, dass man eigentlich von mehreren Völkermorden reden sollte. Eindeutige Informationen über Afrika verschwimmen im Laufe der Lektüre. Und dann tritt ein seltsamer, aber wohl auch beabsichtigter Effekt ein. Die „Verwertbarkeit“ des Kontinents springt dem Leser in fast allen Texten entgegen. In den Protokollen zu der Kongo-Konferenz aus dem Jahr 1884 heißt es: „Die Vorstellung vom Reichthum der Produkte des äquatorialen Afrika ist im Allgemeinen richtig, da Elfenbein, Kautschuk, Palmöl etc. bedeutende Faktoren sind. Indessen schon jetzt kann man sagen, daß der Handel seine höchste Phase erreicht hat, und daß Concurrenz den alten, ansässigen Häusern gegenüber wenig Aussicht auf Erfolg haben wird. Denn so gering die Zahl der Handelsniederlassungen ist im Verhältniß zur großen Zone, die sie beherrschen, so erzielen sie doch nur einen Gewinn, der nicht den Kapitalien, der Mühe und Arbeit entspricht, die zur Gründung und Erhaltung der Factoreien aufgewandt werden müssen.“

Hans Christoph Buch geht auf den widersprüchlichen und problematischen Umgang mit dem Genozid an Tutsi und Hutu ein, auf die Problematik, dass es keinen Schuldigen gibt, dass es auch nicht um die Frage der Schuld geht, sondern um die Verknüpfungen zwischen unserer und der „anderen“ Welt, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zwischen Wahrnehmung und Wissen-Wollen, zwischen Verantwortung und Gleichgültigkeit liegen heute nicht mehr tausende von Kilometern – aber die Verantwortlichkeiten werden in der Gegenwart besser kaschiert, um den Schrecken nicht in unsere Wohnzimmer zu lassen. So schreibt Buch, der tatsächlich Horst Köhler auf einer Afrikareise begleiten durfte, im April 2008 einen kritischen offenen Brief an den Bundespräsidenten, der ebenso wie ein ergänzendes Postskriptum dem vorliegenden Buch beigegeben sind. Den abschließenden Bemerkungen ist nichts hinzuzufügen, außer einer unbedingten Leseempfehlung: „So besehen, hat sich nicht allzu viel verändert seit den Tagen der Berliner Kongo-Konferenz, und die Kluft zwischen den Sonntagsreden unserer Politiker und der grimmigen Realität vor Ort ist nicht schmaler, sondern breiter und tiefer geworden. […] Die Frage stellt sich, wer oder was zynischer war: Bismarck, der die Zivilisierung Afrikas versprach und gleichzeitig den Kontinent mit billigem Fusel aus seiner Schnapsfabrik überschwemmte, oder das salbungsvolle Gerede von Menschenrechten und Demokratie, während Bootsflüchtlinge aus Afrika in Sichtweite Europas ertrinken. Im Vergleich zur Doppelzüngigkeit heutiger Politiker hatte Bismarcks Doppelmoral den Vorzug der Deutlichkeit, und das Schicksal afrikanischer Boat People steht den eingangs geschilderten Leiden der Schiffbrüchigen der Medusa nicht nach.“

Titelbild

Hans Christoph Buch: Apokalypse Afrika oder Schiffbruch mit Zuschauern. Romanessay.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
256 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783821862361

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