Die unerträgliche Puspigkeit des Seins

Jetzt auch auf Deutsch: Graham Chapmans pythoneske Autobiografie

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Graham Chapman war, muss man nicht erst erklären – oder doch? Auch wer Monty Python nur im Vorbeigehen kennen gelernt hat, wird sich an den Schauspieler und Autor erinnern, dem völlig durchgedrehte Rollen ebenso lagen wie der vergeblich um Würde ringende König Arthur in „Die Ritter der Kokosnuss“ (1975) oder der Messias wider Willen in „Das Leben des Brian“ (1979), der zwischen absurden religiösen und politischen Fanatismen als einziger einen klaren Kopf behält – und trotzdem gekreuzigt wird. Chapman starb bereits 1989, mit gerade einmal 48 Jahren. Lange Zeit war er Schwerstalkoholiker gewesen – eine Tatsache, von der sein Körper sich nie wieder richtig erholte, auch wenn Krebs die unmittelbare Todesursache war.

Auch wenn Monty Python seit Jahrzehnten nicht mehr auftreten und keine Filme mehr drehen, haben sie sich gerade im deutschsprachigen Raum einen treuen Stamm von Fans bewahrt, die für neue Verwertungen des alten Materials ebenso aufgeschlossen sind wie für Soloprojekte der einzelnen Mitglieder. Umso erstaunlicher, dass Chapmans Autobiografie, im Original bereits 1980 publiziert, nie auf Deutsch erschienen war. Dies holt der Berliner Verlag Haffmans & Tolkemitt nun nach.

Wer in der „Autobiographie eines Lügners“ allerdings nichts als die Wahrheit erwartet, wird enttäuscht werden. Der Titel ist Programm. Zwar hangelt sich der Text über weite Strecken an den erwartbaren Stationen entlang (als da wären: Geburt – Kindheit – Studium – künstlerische Anfänge – Welterfolg), was aber nicht heißt, dass sie im ruhigen, bedächtigen Ton erzählt würden. Vielmehr sind sie Anlass für die überbordende Fantasie und Schreibfreude eines Autorenkollektivs, zu dem neben Chapman auch sein Lebenspartner David Sherlock und der junge Douglas Adams gehörten, der gerade das BBC-Skript für den unsterblichen „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ verfasst hatte. Die Erzählung springt wild zwischen Orten und Zeiten, Wahrem, klar Erfundenem und vielen Ereignissen, von denen man als Leser nicht so recht weiß, wo auf der Skala zwischen diesen Polen sie eigentlich stattgefunden haben. Manchmal liefern sich die Autoren einfach wilde Streitereien in den Fußnoten, lassen Kapitel im Nichts enden, oder erfinden mal eben das Adjektiv „pauntly“ (auf Deutsch „puspig“, daher die Überschrift). Wer mit dem anarchischen Humor der Pythons nie recht warm geworden ist, sollte also tunlichst die Finger von diesem Buch lassen.

Andererseits ist die „Autobiographie eines Lügners“ ein ungewohnt offenes und ehrliches Buch. Chapman schreibt von den wunden und dunklen Punkten seines Lebens. Das Eröffnungskapitel schildert seinen Alkoholentzug ohne jede Beschönigung (aber mit jeder denkbaren Pointe), aber ebenso die gemeinsamen Partyexzesse mit The–Who–Schlagzeuger Keith Moon. Vor allem geht Chapman offensiv mit seinem Schwulsein um, und dies zu einem Zeitpunkt, als die offene wie die verdeckte Diskriminierung noch erheblich stärker war als heute. Das Buch, das er und seine Ko-Autoren geschrieben haben, läuft so letztlich doch auf eine Mischung zwischen Bekenntnis, Spiel mit der Form und wüster Anarchie hinaus, die in ihrer Art einzigartig ist.

Dass die Lektüre so viel Spaß macht, liegt auch an der Übersetzung von Harry Rowohlt. Der Star unter den Übersetzern, als Performer seinerseits „der Paganini der Abschweifung“, schafft es, die wilde Fabulierfreude der Autoren so ins Deutsche zu retten, dass die Pointen schnurren und schnarren statt zu stolpern und zu haken. Ob es ihm Freude gemacht, oder eher eine Folter war, wird man hoffentlich eines Tages in einem dritten Band „nicht weggeschmissener Briefe“ lesen können. Für den Leser ist Rowohlts Feinarbeit, auch dokumentiert durch einen „unauffälligen Anmerkungsapparat“ am Ende des Buches, jedenfalls ein großer Gewinn.

Ach ja, im Anhang bekommt man noch ein Nachwort von Eric Idle, sowie die Grabrede von John Cleese, der für seinen Freund Chapman den von beiden geschriebenen „Papageiensketch“ adaptiert: „Graham Chapman, Ko-Autor des Papageiensketches, ist nicht mehr. Er hat aufgehört zu sein, ging des Lebens verlustig, er ruht in Frieden, er hat den Löffel abgegeben, den letzten Schnaufer getan, ist zum Großen Abteilungsleiter ‚Leichte Unterhaltung‘ im Himmel berufen worden…“ Nur nach den Fjorden Norwegens sehnt er sich nicht mehr, anders als der Papagei.

Titelbild

Graham Chapman: Autobiographie eines Lügners.
Übersetzt aus dem Englischen von Harry Rowohlt.
Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012.
334 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783942989114

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