Der rückwärtsgewandte Prophet

Botho Strauß in Studien und Stücken

Von Watzlaff CapsugelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Watzlaff Capsugel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schriftsteller Botho Strauß hat eine große Zukunft hinter sich. Seit er 1993 im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" seinen Essay "Anschwellender Bocksgesang" publizierte und sich mit demselben Text an die Spitze der Reaktion stellte, der "selbstbewussten Nation" (so der bekannteste Buchtitel jener Sammlungsbewegung junger Rechtsintellektueller), sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass wir es hier mit einem rückwärtsgewandten Propheten zu tun haben. Seither ist nichts mehr so, wie es war, seither muss auch sein früheres Werk einer Reinterpretation unterzogen werden. Sprach Strauß doch schon in "Paare, Passanten" (1981) vom "herunterdemokratisierten, formlosen Gesellschaftsbewusstsein". Und über das vierteilige amerikanische Melodram "Holocaust", das die Deutschen aufrüttelte wie kein anderes Filmereignis jemals zuvor, sagte er lakonisch: "Selbst seine geschichtlichen Schuldgefühle verarbeitet unser Volk im Psycho-Labor einer TV-Serie."

Provokativ und bewusst unsensibel greift Botho Strauß die heiklen Themen der Bonner und jetzt auch der Berliner Republik auf; sein dunkler Stil, seine Thesen und deren Implikationen sind so skandalös, dass Willi Winkler in der "tageszeitung" fragte: "Ist Botho Strauß ein Faschist?"

Die Frage hat sich bislang vor allem an den Prosa-Autor gerichtet, der Dramatiker Botho Strauß kam dagegen weitgehend ungeschoren davon. Der dritte Band seiner gesammelten Stücke, erschienen im Carl Hanser Verlag, enthält denn auch - zumindest auf den ersten Blick - wenig Anstößiges: "Das Gleichgewicht. Stück in drei Akten", "Ithaka. Schauspiel", "Jeffers Akt. Stück in zwei Akten", "Die Ähnlichen", "Der Kuss des Vergessens" und "Lotphantasie". Doch jedes dieser Stücke ist ein Zeitstück, und auch der Titel "Ithaka" darf nicht dazu verführen, die dargestellte Welt in einem räumlich und zeitlich fernen Griechenland zu wähnen. Ein Beispiel: "Jetzt regiert uns Genusssucht, Sport, Prahlerei. [...] Jetzt murrt das Volk und drängt zur Entscheidung. Es will endlich regiert sein, egal auch von wem, nur dass Ordnung herrsche über Haus und Arbeit."

Wenn Strauß seine Figuren so sprechen lässt, so wird die deutsche Geschichte gegenwärtig, wie schon in seinem Roman "Der junge Mann" (1984). Dort wird Hitler mit Belsazar identifiziert. Belsazar ist nach dem Alten Testament der letzte König Babyloniens; er vergreift sich am Tempelschatz der Juden und trinkt aus Gottes goldenen Bechern. Da lässt Gott dem Frevler das Ende seines Reiches verkünden. Noch in derselben Nacht wird Belsazar getötet. Der Vergleich mit Hitler ist schief, aber aufschlussreich: Belsazar war ein sakraler Frevler, Hitler ein Mörder; Belsazar wurde durch eine metaphysische Größe bestraft, Hitler entzog sich der Strafe durch Selbstmord; Belsazar starb nach einem Fest, Hitler am Ende des schlimmsten aller Kriege und Verbrechen; Belsazar ist in mythische Ferne gerückt, Hitler ist für das Selbstverständnis der Deutschen noch immer folgenreich. Auch dafür wählt Botho Strauß Formulierungen, die kein gutes Licht auf sein Demokratieverständnis werfen:

"Noch immer hält uns sein Tod umschlungen und flößt uns Furcht und Atem ein. Wohl sind wir alle ebenbürtig Benommene und haben uns daher auch gleiche Rechte bewilligt, eine freie Verfassung gegeben; doch wie mag es um unsere wahre Freiheit bestellt sein?"

Unsere Demokratie ist mit anderen Worten nicht der Ort "wahrer Freiheit". Nicht bei klarem Verstand haben wir uns eine Verfassung gegeben, sondern als "Benommene". Benommen vom Rausch des Faschismus, der noch immer in unseren Köpfen herumspukt. Unsere Fixierung auf Hitler hat, Strauß zufolge, zur Wahl der Demokratie geführt - und nicht etwa unsere Überzeugung, dass dies die beste Staatsform wäre. An anderer Stelle schildert Botho Strauß einen allegorischen Leichenzug durch die deutsche Geschichte, der endgültig klarmacht, dass die Demokratie keine positiv belegte Gesellschaftsform für ihn darstellt:

"Die Stunde war also gekommen, der Großmächtige wurde hoheitlich zu Grabe getragen. [...] - der Sarg enthielt [...] den Kadaver des größten Frevlers und schlimmsten Deutschen. [...] hinter dem letzten Schergen des alten Regimes strömte nun gleich die schlichte Nachwelt hinterdrein, quoll jene herrenlose Gesellschaft durch das Portal, welche vom bittersten Erbe des Frevlers belastet, nämlich die unsere war, die ungefüge, die mutlose und unverschämte, die reiche und ausgezehrte, offene und heimtückische, verrückte und biedere, tatenlose und überbeschäftigte, freie und durch und durch befangene Gesellschaft. [...] Nach den Wappen und Standeszeichen kamen nun gleich die Transparente und Plakate, wurden die Mahnbänder und Schimpfbanner hochgehalten, und die schnell sich wandelnde Gesellschaft ersetzte die Treue durch den Protest."

Eine Gesellschaft der "Gewissensmacher", "Musterdemokraten", "Berufsantifaschisten" wird hier dargestellt - und jedes dieser Wörter denunziert die demokratischen Kräfte in Deutschland, vor allem die "Protest"-Generation von 1968, die eine kritische Aufarbeitung unserer Geschichte erst erzwungen hat. Mit dieser Deutlichkeit spricht der Theatermann Botho Strauß nicht, aber auch nicht in den opaken "Wortgemälden" (Heisenberg) seiner kosmologischen Essays. Erst die "Subkonversation" (Heinrich Vormweg), jenes System der mimischen und gestischen Reaktionen und der nur "gemurmelten" Widerreden oder Gespräche lässt erahnen, worauf der Autor hinaus will. Gleichwohl lässt sich auch sein theatrales Werk auf die Kurzformel bringen: Gesellschafts- und Sozialwissenschaften sind out, Mythisierungen und abstruse politische Diskurse sowie alchemistische, okkultistische und naturwissenschaftliche Theoriebildungen sind in. Strauß betreibt folglich eine vehemente "Remythisierung unserer Lebenswelt" (Klaus Dermutz) und lässt seine Figuren an einer sinnentleerten Welt zugrunde gehen. "Die Ähnlichen" sind dafür ebenso ein Beispiel wie "Ithaka" oder "Das Gleichgewicht".

Bemerkenswert ist, dass die Theaterkritik, die eine Form der Spontankritik ist, die politische Brisanz dieses Œuvres eher gesehen hat als die Literaturwissenschaft, die dazu tendiert, sie zu negieren oder zu relativieren. Zwei Arbeiten von Stefan Willer und Jan Eckhoff sind dafür beredte Beispiele. Eckhoff untersucht die "literarische Sprache im Zeitalter der Medien" beim jungen Botho Strauß, Willer bietet eine Einführung in sein Gesamtwerk. Eckhoff beschreibt Botho Strauß als "metaphysischen Gegenspieler" der literarischen Moderne, Willer als "Verrätselungsstrategen", dessen Autorschaft aufgrund der publizistischen Pragmatik seiner Essays zur "nicht hintergehbaren Kategorie der Lektüre" geworden sei. Doch die Revision der Strauß-Rezeption und die Reinterpretation seines früheren Werkes bleibt in beiden Arbeiten weitgehend aus, auch wenn Eckhoff Grundsätze eines biographischen Ansatzes formuliert, die es zulassen würden, den Dramaturgen Strauß und die ästhetischen und politischen Positionsbestimmungen seiner theaterkritischen Arbeiten, Stücke, Romane und Essays zusammenzudenken.

Die Literaturwissenschaft möchte die Augen vor den politisch-ideologischen Implikationen der Strauß-Lektüre verschließen. Weshalb eigentlich? So behauptet Willer: "In ihrer forcierten Selbstbezüglichkeit verweigern sich die Texte von Botho Strauß den Anschließbarkeiten an lebensweltliche Erfahrung und alltägliche oder öffentliche Kommunikation. Sie kommunizieren gleichwohl: in der Literatur selbst. Stücke wie 'Ithaka' oder 'Der Park', ein Roman wie 'Der junge Mann' sind geradezu Musterbeispiele für Verfahren der Intertextualität, der literarischen Musterbeispiele für Verfahren der Intertextualität, der literarischen Rezeption und der ästhetischen Traditionsbildung." Doch gerade diese drei Texte bieten hervorragende "Anschließmöglichkeiten" , und es ist nur symptomatisch, dass der allegorische Zug durch die deutsche Geschichte, wie er im "Jungen Mann" gestaltet wird, bei Willer uninterpretiert bleibt. Selbstverständlich sind auch die späten Prosabücher "Beginnlosigkeit" (1992), "Die Fehler des Kopisten" (1997) und "Das Partikular" (2000) Sammelsurien kulturkritischer Erwägungen, die Strauß eindeutig im rechtsintellektuellen Raum der Gegenwart situieren. Willer weicht jedoch den Strauß-kritischen Befunden weitgehend aus. Seine Erkenntnisse sind im wesentlichen journalistische Phrasierungen und Relativierungen, die das von Strauß Behauptete halb wieder zurücknehmen. Mit welchem Recht eigentlich? Spricht Strauß in geschichtsphilosophisch-biowissenschaftlicher Metaphorik davon, dass von Erneuerung im Zeitalter des Recycling nicht mehr die Rede sein könne, so nimmt Willer den Autor vor solchen "Generalisierungen" in Schutz: Die "Möglichkeit des Neuen" sei angelegt in der "Figur des sich absondernden Dichters als Inbegriff des Besonderen, des Anderen, gegenüber dem Allgemeinen." Heilige Einfalt. Was Willer hier eine "Alteritäts-Ästhetik" nennt, ist die uralte Knallcharge des Dichter-Sehers, der die Wirklichkeit auf verzerrte Reflexe reduziert.

Beide Autoren, Willer wie Eckhoff, interpretieren auch oder vor allem den frühen Botho Strauß, doch nur bei Eckhoff ist das Bemühen spürbar, das "Kommunikationsuniversum" der theaterkritischen Schriften und der Stücke, also das sprachliche Handeln und den Stilbegriff des Verfassers, die Gesprächs- bzw. Sprechsituationen in den ersten Dramen und Prosatexten, in seiner/ihrer politisch-weltanschaulich funktionalisierten System-, Medien- und Gesellschaftskritik zu erfassen. Wo Willer ein Netz unverbindlicher Bezüge und Referenzen entwirft, nimmt Eckhoff jeden Hinweis auf Kontextualisierungen ernst, wie sie durch Motti und Zitate erfolgen. Er nimmt sich Zeit, Strauß ausführlich zu zitieren und vorzuführen und aktiviert das "geschichtliche Gedächtnis" des Lesers, wo Strauß Gleichgültigkeit und Indifferenz zur Schau trägt.

Titelbild

Jan Eckhoff: Der junge Botho Strauß. Literarische Sprache im Zeitalter der Medien.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999.
300 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3484312068

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Titelbild

Botho Strauß: Theaterstücke III.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
373 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3446163603

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Titelbild

Stefan Willer: Botho Strauß zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2000.
184 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3885063174

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