Mysteriösitäten

Carsten Stroud legt alles darauf an, als Mysterythriller-Autor berühmt zu werden, und wahrscheinlich wird ihm das auch gelingen. Das macht „Niceville“ jedoch nicht zu einem guten Buch

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem Ort, in dem seit Jahren Leute einfach so verschwinden und nicht die direkten Verwandten, Partner oder Nachbarn dafür verantwortlich sind, kann etwas nicht stimmen. Und natürlich hapert es in diesem Ort nicht an der Aufklärungsrate der Polizei oder an der Gutmütigkeit der Bewohner, es muss wohl oder übel etwas Unerklärbares sein, das dahinter steckt, eben etwas Mysteriöses. Und das Mysteriöse zeigt sich, wie wir gelernt haben, gern als Schwarm oder so ähnlich. Und natürlich ist dieses Mysteriöse in so etwas wie einem See – dunkel und still und verrufen – verborgen, woraus es gelegentlich hervorsteigt und sich nimmt, was es will. Sogar die Indianer haben den See nicht gemocht, und wenn schon Indianer einen See nicht mögen, muss er ja wohl mysteriös sein.

Das Schöne am Mysteriösen ist, dass man so wunderbar darüber fachsimpeln kann und damit dann am Ende – wenn man einmal soweit ist – auch alles erklärt, auch weil es so einfach ist, damit alles zu erklären: Ein paar Knochennägel bleiben von einem Verschwundenen zurück? Kann nur gefressen worden sein. Siehste! Ein Mann, der einen Jungen aus dem Koma erweckt, obwohl er anscheinend zur selben Zeit schon ein paar Tage tot ist. Kann nur ein Wiedergänger sein oder irgendwas zwischen hier und der Realität.

Naheliegend kann das Mysteriöse das Böse selbst, manchmal der Teufel, gelegentlich aber auch ein gekränktes Weib sein, das seit annähernd hundert Jahren umherschweift, um sich an dem Mann zu rächen, der sie – trotz Versprechen und weiterem – nicht ehelichen will. Kein gebrochenes Herz in diesem Fall, sondern Rache auf ewig, die dann über mehrere Generationen hinweg immer dieselbe Familie (die Nachkommen des treulosen Mannes) heimsucht. Ein Wunder, dass es immer wieder noch jemanden gibt, der heimgesucht werden kann. Irgendwann muss das Mysteriöse doch mal alle weggefressen haben. Denn so schnell vermehren sich die Leute dann nun doch wieder nicht.

Aber mit solchen Profanitäten gibt sich das Mysteriöse nicht ab. Es will unheimlich sein und es wird sich keinesfalls auf eine Ebene begeben, wo es nur noch albern ist. Immerhin geht es hier um Leben und Tod, und da gibt es keine Albernheiten.

In einem amerikanischen Ort namens Niceville verschwindet ein kleiner Junge und wird wenige Tage in einem Grab wiederentdeckt, lebend zwar, aber komatös. Die Mutter verschwindet zur selben Zeit, möglicherweise in erwähntem See, der Vater erschießt sich standesgemäß. Ungefähr zur selben Zeit überfallen drei (Ex-) Polizisten eine Bank und erschießen kaltblütig all jene Kollegen, die sich an die Verfolgung der Bankräuber machen. Nur geraten zwei von ihnen hinterher in Streit, schießen aufeinander, so dass einer von ihnen zum Wiedergänger werden kann. Eine ältere Frau verschwindet aus ihrem Haus, vom Vater einer Anwältin bleiben nur die Knochennägel, die Orte, an denen diese Leute zuletzt gesehen werden, sind allesamt unheimlich. Sogar eine kreischende Katze lässt sich dort finden, was ohne Zweifel auf höhere Mächte deutet.

Ein Angestellter der Stadtwerke wird dazu verurteilt, sich fern von Frau und Kind zu halten, nachdem er sie jahrelang misshandelt hat. Aus Rache beginnt er, beliebige Leute der Stadt, über die er belastendes Material gesammelt hat, bloßzustellen, was dann irgendwem auffällt. Der Chef eines Sicherheitsunternehmens ist zur selben Zeit genervt, weil aus dem Schließfach der beraubten Bank ein Gegenstand geklaut wurde, den er selber auf nicht ganz anständige Weise erworben hat. Nun wird er erpresst und findet das nicht gut.

Haufenweise Handlungsgänge also, die meist irgendwie miteinander verknüpft werden, um daraus ein loses und immer wieder vor allem dräuendes Handlungsgeflecht zu entwerfen. All das hängt irgendwie zusammen oder läuft aufeinander zu – und wenn man sich vor Augen hält, dass zwei Fortsetzungen bereits angekündigt sind, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat: mysteriöse Serienproduktion, um den doch eigentlich nicht sehr mysteriöseren Erfolg damit zu haben.

Kultautor. Na, wenn das nicht ein ziemlich aufreibendes Leben ist, das Herrn Stroud da bevorsteht. Das kann unangenehm werden, zumal es dabei nicht nur um Geld geht, sondern auch um den Ruhm, der dabei abfällt. Und das heißt: keine ruhige Minute mehr, ein Leben auf dem Präsentierteller, der aber mindestens silbern ist.

Titelbild

Carsten Stroud: Niceville. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
DuMont Buchverlag, Köln 2012.
506 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783832196462

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