Lebenslust und Altersglück

Dorothea Razumovsky erzählt in ihrem zweiten Roman „Babuljas Glück“ von der nächsten Station einer altersweisen Emanzipationsgeschichte

Von Monika RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maria Schmückle heißt die rüstige Professorenwitwe, die es zunächst von der Mutter, dann vom Mann bevormundet, „nur“ zur Fremdsprachensekretärin gebracht hat. Kinderlos, aber mit einer geldgierigen Stieftochter gesegnet, entschied sie sich freiwillig für einen Lebensabend in einem Altersheim. Finanziell abgesichert und lediglich von kleinen körperlichen Gebrechen geplagt, könnte für sie im Seniorenstift ein sorgloses Dasein beginnen. Doch danach strebt sie nicht: Neugier hält bekanntlich geistig fit, eine gut gewählte Aufgabe gibt wiederum Lebenssinn. So nimmt sie sich des sechzehnjährigen Russlanddeutschen Waldemar Wagner an, der – zugegeben – Hilfe bitter nötig hat. Während Dorothea Razumovskys Debüt „Letzte Liebe“ (2009) mit viel Ironie den steinigen Weg der eigensinnigen Seniorin zur Ersatz-Großmutter schilderte, bietet „Babuljas Glück“ als lose Fortsetzung eine weitere heitere Episode der ungewöhnlichen Emanzipationsgeschichte.

Im zweiten Buch setzt Razumovsky die Abenteuer ihrer greisen Heldin in Slawgorod in der Region Altai fort. Als ihr Schützling aus Deutschland verschwindet, weil er sich nach seiner Großmutter, „[a]ber auch nach den Tieren, nach echten Freunden, nach dem riesigen Himmel, nach der Weite, nach Freiheit“ sehnt, bricht die alte Dame kurzentschlossen nach Sibirien auf. Waldemars Großmutter ist mittlerweile tot und der Junge nach wie vor orientierungslos. Zumindest aus der Sicht der etwas versnobten Ich-Erzählerin, die mit den im rückständigen Deutsch-Nationalen Rayon herrschenden Verhältnissen und der Lebensart mental nicht klarkommt, erscheint seine auf die Bewältigung des Alltags gerichtete Existenz nicht zielstrebig und zukunftsorientiert genug. Es überrascht kaum, dass sie plötzlich wieder Pläne schmiedet und sogar zur Mafia Kontakt aufnimmt, um ihm reale Chancen für ein Leben in seiner Heimat zu bieten.

Sowohl mit ihrem späten Debüt als auch mit ihrer betagten Figur liegt die Licher Autorin, Jahrgang 1935, die auf eine erfolgreiche Karriere als Journalistin und Sachbuchautorin zurückblicken kann, voll im Trend. Und doch nimmt Dorothea Razumovsky unter den späten Debüts etwa eines Eugen Ruge und Josef Bierbichler, die in ihren Romanen das Gemächliche der Familiengeschichten und das distinguierte Erzählen wählten, oder ihre Romane unter den Texten, die das Alter, wie Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“ und Péter Farkas’ „Acht Minuten“, als für alle Beteiligte schmerzvolles Dahinsiechen schildern, eine Sonderstellung ein.

Die charmant-witzige Geschichte speist sich weder aus der Vergangenheit, deren Betrachtung und Wertung zum Pflichtprogramm des letzten Lebensabschnitt zu gehören scheint, noch schöpft sie aus einer einsamen, schrumpfenden Gegenwart. Sie richtet den Blick auf eine Zukunft, der man erst dann das für den letzten Lebensabschnitt Nötige abgewinnen kann, wenn man an sie glaubt. Mag der Vergleich des dramaturgisch ausgefeilten 155-Seiten-schmalen Romans in Großdruck mit den großen und noch größeren literarischen Würfen der letzten Jahre wegen der erdrückenden Fülle an nebenbei aufgeworfenen und dozierend abgehandelten Themen und der nuancenarmen Sprache zu viel der Ehre zu sein, der eigenwillige Erzählton und die originelle Figur bereichern mit ihrer Perspektive die herkömmlichen Schreibweisen zum Thema Alter und berechtigen zumindest zu einer Lektüreempfehlung.

Titelbild

Dorothea Razumovsky: Babuljas Glück. Roman.
Weissbooks, Frankfurt a.M. 2011.
155 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783863370107

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