Großes Hirn und Babysprech

Friedhelm Rathjen bezwingt James Joyce: Drei „Geschichten von Shem und Shaun“ aus dem Zyklus „Finnegan’s Wake“

Von Andreas ThammRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Thamm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wie Ollüber Krumwall sagte als er over seine Granndijomutter schlüffte. Känguränsefedern. Wer in Donners Namen hätte jähmals gekracht dass du ein solcher unerzückerlicher Blitzmerker bist?“

James Joyce hatte zwischen 1923 und 1939 einiges zu tun. Er befand sich im Schaffen eines eigenen Spachkosmos‘. Der Ire vermengte, was er kannte, schichtete Wort über Wort, wie Sprache über Sprache, integrierte die Redewendungen seiner Zeit, Jargon, Mundart und Latein und schuf ein Konzentrat, in dem die Sinnebenen miteinander tanzen und schließlich heftig kopulieren.

Erschließbar oder in irgendeiner Form linear verständlich ist das Ergebnis, soviel zumindest wissen wir, nicht. „Finnegans Wake“ ist in unzähligen Versionen erschienen. Joyce selbst ließ immer wieder einzelne Kapitel im Voraus aus dem Gesamtkomplex veröffentlichen und beauftragte geschätzte Schriftsteller wie Samuel Beckett mit Übersetzungen. In Deutschland machte sich zuerst Georg Goyert an die Übersetzung des Kapitels „Anna Livia Plurabelle“.

Das war 1929. Seither wird der Versuch immer wieder einmal unternommen. Wolfgang Hildesheimer saß über dem „Wake“, genauso wie Arno Schmidt. „Wie jeder andere Leser“, schreibt Friedhelm Rathjen, „hat auch der Übersetzer größte Schwierigkeiten, überhaupt erst einmal zu sehen, was an einer beliebigen Stelle der Wake-Textur eigentlich passiert. Das, was er nicht sieht, kann er aber schwerlich mitübersetzen.“

Von Rathjen stammen die jüngsten Übersetzungen aus dem Zyklus, jetzt in der Bibliothek Suhrkamp erschienen. „Geschichten von Shem und Shaun“, das sind nur drei Kapitel aus dem Ganzen, drei gar nicht so lange Kapitel, nicht einmal hundert Seiten. Und dennoch fällt es schwer, sich die spezifische Sprache des „Wake“ überzustülpen, viel eher giert man weiterhin nach jeder klaren Zeile: „All ihre nubischen Gefährten entschliefen mit den Eichkätzchen.“

Die Sammlung von „The Mookse and The Gripes“ („Der Mauchs und der Traufen“), „The Muddest Thick That Was Ever Heard Dump“ („Die verdreckteste Sache die jemals hörbetrüben ward“) und „The Ondt and the Gracehoper“ („Der Aumvaise und der Gnadshoffer“) legt Übersetzung und Original nebeneinander. Rathjen möchte, wie er im Nachwort erklärt, auf das Original aufmerksam und neugierig machen. Und er legt seine Arbeitsweise offen, macht sich damit notwendigerweise angreifbar.

Bei aller Anstrengung und Verwirrung, über der der Leser geradezu zyklisch in Abschweifung gerät, ist das der große Gewinn des Buches. Ein ständiger Abgleich ist möglich. Der ein oder andere Blick auf die rechte Seite, in Joyces Werk, offenbart einen raffinierten Kniff Rathjens, einen nicht nachvollziehbaren Unfug oder lässt die Stelle auf einmal glasklar erscheinen. Oft geschieht von all dem ein wenig.

Die eigentliche Frage, die „Geschichten von Shem und Shaun“ am Ende aufwirft, ist nicht die der Literaturwissenschaft – worum geht’s? – sondern die nach einer Arbeitsweise, einer Poetologie des Übersetzers.

Wer „Finnegans Wake“ beziehungsweise diese Auszüge nicht mit dem Anspruch betritt, die Maschine zu zerlegen und irgendwann zu verstehen, für den wird es immer ein Stolpern sein. Der Text hat eine Grundsprache, sie ist unterfüttert mit schätzungsweise 40 anderen, zwischendurch zeugen Latein und Französisch, wie losgelassen, einige Bastardsöhne. Die Leseerfahrung ist immer dann im intensivsten, wenn sie die Selbstbeobachtung miteinschließt. Man lernt etwas, über die eigene Gewohnheit in der Konfrontation mit der Literatur dieser Art und lacht, wenn man sich wie panisch an ein „Als nun“ am Satzanfang klammert, als ob es hier so etwas wie Kohärenz zu erhaschen gäbe.

Das alles hört sich schlimmer, beziehungsweise ernster an, als es ist. James Joyce hat mit dem „Wake“ vor allem Humor bewiesen. Er wird selbst am erträglichsten, wenn man ihm zugesteht, sich einen 16 Jahre andauernden ebenso hochkomplexen wie albernen Spaß erlaubt zu haben. Von Albernheiten sind die drei Geschichten von Shem und Shaun nämlich getränkt: „Du hast tatserdienlich eines entderdeckt. Quok!“

Arno Schmidt hat versucht, den ganzen Wake auf einen Sinn herunterzubrechen, für ihn ist es eine Schmähschrift Joyces auf seinen Bruder Stanislaus. Sicher hat Rathjen recht, wenn er im Nachwort sagt, Schmidts Übersetzung habe demzufolge nicht mehr viel mit dem Original zu tun, in dem schließlich viel mehr stecke als nur das. Andererseits ist der Gedanke an die Schmähschrift manchmal ein Anker, nach dem man gerne greift. Es funktioniert über weite Passagen sehr gut, die Texte so zu lesen.

Vor allem dann, wenn Shem und Shaun, die von der Literaturwissenschaft als streitende Zwillingsbrüder entlarvt worden sind, ihren eigenen Raum in der Textur bekommen. „Die verdreckteste Sache die jemals hörbetrüben ward“, im vorliegenden Band zentral, arbeitet mit Anmerkungen links und rechts (die Stimmen Shems und Shauns), sowie Fußnoten (hier kommt die Schwester zur Sprache). Joyce steigert sich hier, Schelm der er ist, selbst. Das ganze wirkt akribisch durchironisiert und dennoch verspielt. Vor allem dann, wenn am rechten Rand nichts anderes steht als: „Ba be bi bo bum“. Großes Hirn trifft Babysprech.

Der Weg durch die „Tales of Shem and Shaun“ ist einsam und verzweigt, aber er geht ständig bergauf. Die Übersetzungen von Friedhelm Rathjen schenken dem Leser zusätzlich das Gefühl, sich ab und an über ihn ärgern zu können. Manchmal freut man sich aber genauso über seine Neuschöpfungen. „Finnegans Wake“ konfrontiert mit dem persönlichen Anspruch an Literatur und wirft wie nebenbei die größten aller Fragen auf: „Warum haben diese puerilen Blonden diese großen biegsamen Ohren?“

Titelbild

James Joyce: Geschichten von Shem und Shaun Tales Told of Shem and Shaun.
Übersetzt aus dem Englischen von Friedhlm Rathjen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
100 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783518224687

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