Denkwege, nachgeschlagen

Wolfgang Heuer, Bernd Heiter und Stefanie Rosenmüller haben das Arendt Handbuch herausgegeben

Von Esther SchröterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Esther Schröter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Tradition anderer philosophischer Handbücher, ebenfalls bei Metzler erschienen, gibt auch das „Arendt Handbuch“ (2011) einen umfassenden Einblick in Leben, Werk und Wirkung der Autorin, im Aufbau und in den Überschriften orientiert es sich an den von Hannah Arendt autorisierten Publikationen und nicht streng chronologisch am Veröffentlichungsdatum. So wird der anzutreffenden Diskrepanz zwischen Zeitpunkt des Verfassens und einer sehr viel späteren Veröffentlichung begegnet, die politischen Gründen oder der Mehrsprachigkeit geschuldet ist. Unveröffentlichte Schriften und Briefwechsel werden demnach nicht berücksichtigt, während der Zweisprachigkeit des Werks systematisch Rechnung getragen wird. Die Titel von Arendts Werken erscheinen auf Englisch und Deutsch, „und in der Darstellung der Werke The Human Condition/Vita activa oder vom tätigen Leben und On Revolution/Über die Revolution wird beispielhaft auf die weitreichenden Unterschiede eingegangen“.

Der erste Abschnitt des Handbuchs „I. Leben“, von Elisabeth Young-Bruehl, der Biografin und ehemaligen Schülerin Arendts verfasst, zeichnet die wichtigsten Stationen von Arendts Leben nach: 1906 in Hannover geboren, Studium bei Martin Heidegger, Promotion bei Karl Jaspers, Flucht ins Pariser Exil, Leben in New York und setzt sie in Beziehung zur intellektuellen Beschäftigung der Denkerin mit Themen wie Totalitarismus, Denken, Urteilen und Wollen.

Es folgen die Abschnitte „II. Werk und Werkgruppen“ und „III. Konstellationen“. Hier wird die arendtsche Auseinandersetzung mit historischen und zeitgenössischen Referenzautoren besprochen, die nicht wortgetreu rezipiert werden und derer sich Arendt im Sinne Walter Benjamins als Perlentaucherin bediente. Zu den antiken Autoren zählen Sokrates, Platon und Aristoteles (in Anknüpfung an Heideggers Rezeption), aber auch Cicero und Augustinus, über dessen Liebesbegriff Arendt promovierte. Zu den neuzeitlichen Referenzautoren zählen Niccolo Machiavelli, Charles de Montesquieu, Thomas Hobbes und Jean-Jacque Rousseau. Nicht zu vergessen sind die Autoren Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Nietzsche.

Eine Lücke in der Arendt-Forschung ist immer noch, ihrer Methode, die sie als „Denken ohne Geländer“ beschrieb, nachzugehen und die Bedeutung der Dichtung in ihrem Werk herauszustellen. „In der Geschichte des Denkens bleibt ein großes Kapitel noch zu schreiben, das dieses Gespräch zwischen Dichtung, Philosophie und Politischer Theorie rekonstruiert.“ So wird der Bezug zu anderen literarischen wie philosophischen Autoren, so zum Beispiel zu Søren Kierkegaard, Edmund Husserl, Carl Schmitt oder Tania Blixen, bloß angedeutet.

Unter „IV. Begriffe und Konzepte“ werden entscheidende Auffassungen von Denken, Freiheit, oder Natalität erläutert: „Natalität (engl. natality) von Arendt ins Deutsche übertragen als Gebürtlichkeit ist jene existenziale Bedingung bzw. „Tatsache“, die es dem Menschen ermöglicht, Neues zu beginnen: Der Mensch ist „der Anfang des Anfangens selbst“, weil er selbst als Neuankömmling in die Welt kam.“

Ebenfalls enthält der Band eine Zeittafel und eine umfassende Bibliografie. Nach dem Band „Ich will verstehen“ von Ursula Ludz, der Selbstauskünfte Arendts zu ihrem Leben und Werk sowie eine vollständige Bibliografie beinhaltet, ist dies eine wichtige Ergänzung, gerade weil einige Arendt-Dokumente immer noch unveröffentlicht sind und es keine Gesamtausgabe all ihrer Schriften gibt. Das Handbuch benennt außerdem einschlägige Archive und Forschungsinstitute, sowie Ton- und Filmdokumente.

Die einzelnen Beiträge wurden von rund 50 internationalen sachkundigen Autoren verfasst, was den Nachvollzug der Arendt’schen Denkwege leicht und verständlich macht. Das „Arendt Handbuch“ überzeugt in Form und Inhalt und ist eine sehr wichtige Ergänzung der deutschen Arendt-Forschung.

Titelbild

Wolfgang Heuer / Bernd Heiter / Stefanie Rosenmüller (Hg.): Arendt Handbuch. Leben - Werk - Wirkung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2009.
407 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783476022554

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