Im Rammelland

Nicholson Baker lässt es in seinem Roman „Haus der Löcher“ wieder mal krachen

Von Daniel Tobias SegerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Tobias Seger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Paar geht am Sonntag in den Waschsalon. Und während beide auf orangenen Stühlen sitzen, steigt ein blondes Mädchen in den Trockner, macht die Tür zu – und ist verschwunden. Im Trockner findet das verdutzte Paar, Polly und Jeff, einen Zettel, auf dem steht „HdL“. Was das wohl heißt, fragt Polly. Hab dich lieb, sagt Jeff. Und beide steigen auch in den Trockner und purzeln im nächsten Augenblick auf eine Wiese, sehen halbnackte Frauen und hören „gemurmelte Sexgeräusche“.

Jeff und Polly sind verwirrt: Wo sind wir denn? Jeff bleibt erst mal blöd grinsend auf der Wiese sitzen und sieht einer Frau in einem „Ich-will-mit-dir-einen-Wildblumenspaziergang-machen-und-dich-anschließend-ficken-Rock“ nach, während Polly die Gegend erkundet und schwuppdiwupp im „Penissaal“ landet. Dort hängen aus Löchern in der Wand „viele kleine, krötenartige Dinger“, die sich beim Song „Rise up, little sisters!“, den Polly zusammen mit Saucie und Donna zu Besten geben, erheben. „Ich glaube, sie mögen uns!“, sagt Polly und es folgt, was folgen muss: Die jetzt gar nicht mehr krötenartigen Penisse machen „boing, boing“ und lassen, animiert durch die aktiven Damen, bald den „Eierlikör“ raus. Hier bin ich richtig, denkt Polly – und die Lusche Jeff ist natürlich Vergangenheit.

Das ist nur eine Episode aus Nicholson Bakers neuem Roman „House of Holes“, „Haus der Löcher“, dessen Untertitel, „A Book of Raunch“, zu übersetzen etwa mit „Ein Schmuddelbuch“, die deutsche Ausgabe nicht kennt. Es kommt überhaupt sehr soft daher, das deutsche Produkt: ein weißer Umschlag mit violetten Kreisen, eine Frauenhand, die sich an einem weißen, fast durchsichtigen Stoff festhält – und beflissene Informationen, die uns Lesern das Gefühl geben sollen: Raffinesse erwartet uns, ein „Ferienresort“ der besonderen Art, wir (Kulturbürger) werden uns an Hieronymus Bosch und „Alice im Wunderland“ erinnert fühlen und die unvermeidliche ‚prickelnde Erotik‘ gibt’s natürlich auch. Demgegenüber ist die Originalausgabe des ‚Schmuddelbuches‘ anders gestaltet: Grellgelber Umschlag, darauf eine nachkolorierte nackte Frauengestalt, auf dem Boden sitzend, lila, blau, rote Backen, pinker Lidschatten, auf dem Kopf eine Art Pickelhaube, die Beine gespreizt – vor ihrem Schritt ein Zirkuszelt, mit weit geöffneter Pforte.

Diese Einladung ist die richtige! Der clowneske Zirkusdirektor Nicholson Baker bittet in die Manege, führt sein Personal am Nasenring durch das Rund, lässt es tänzeln, springen, sich verrenken, wobei immer irgendwie masturbiert oder kopuliert werden muss! Und eines gibt es in Bakers Zirkus ganz sicher nicht: Weiße Satinvorhänge für sich anklammernde Frauenhände. Dafür aber Masturboote, Penissäle und Peniswaschanlagen, ein Pornomonster und eine Klitdiebin. In Nicholson Bakers Welt gibt es herumvagabundierende Männerarme, die dafür sorgen, dass sich die Frauen bald sehr wohlfühlen („Ham, ham, uh, uh, uh, uh, uh, uh, ham, ham, HAA“), wenn sie nicht gerade goldene Eier legen, denen dann kopulierende Paare entsteigen. In Nicholson Bakers Welt gibt es Lustrutschen („Muschiboarden“) und ein merkwürdiges Gerät aus Seide, den sogenannten „Seidiges-Fleisch-Kommunikator“, der bei der Auswahl des richtigen BH’s helfen soll. Und es funktioniert: „Deine Brüste haben kommuniziert“, sagt Experte Daggett zu seiner Klientin Rhumpa begeistert, aber nicht ohne Wehmut. Denn Daggett ist ein Deprivo, also ein Mann, der „drei Wochen lang keinen nackten Busen in jeglicher Form“ sehen darf. Bei Zuwiderhandlung folgt die „reversible Orchidektomie“. „Was ist das denn?“, fragt Rhumpa. Antwort: „Sie entfernen mir die Eier und lagern sie für zwei Wochen ein.“ Darf’s noch etwas genauer sein? Behütet von „Eierhüterinnen“ lagern die Hoden dann in „einem kleinen Maschenbeutel in einem speziellen Hummerbecken mit einer konzentrierten Nährbrühe“. Aha, interessant! Und was würde Daggett tun, so ohne Eier? Klar: Herumlaufen, in Museen gehen, Reisezeitschriften lesen, Chormusik hören und sich bedauern.

So geht’s zu in Nicholson Bakers Resort, in das die Gäste hineinpurzeln, indem sie etwa in Wäschetrockner steigen, von einem Trinkhalm, von einem Loch auf dem Golfplatz oder von einem schwarzen Kreis unter einer anzüglichen Zeitungsannonce eingesaugt und etwa auf einer Lustwiese wieder ausgespuckt werden.

Dem lüsternen Erwachen im Rammelland folgt aber oft Ernüchterung: Denn das Haus der Löcher ist reichen Leuten vorbehalten. Die Habenichtse haben schlechte Karten und werden, wenn’s hoch kommt, als Praktikanten angestellt oder dürfen in der Peniswaschanlage aushelfen, in der es tatsächlich zugeht wie in einer Autowaschanlage, aber, so stellt die Auszubildende Lila befriedigt fest, eine Waschanlage nur für Luxussportwagen, Ferrari, Miata et cetera. Aber irgendwie hat am Ende jeder seinen Spaß, der (ganz wichtig in Bakers Universum) gesund ist und mehr mit den Genitalien denkt als mit dem Kopf. Und so hoppelt Bakers Personal munter rammelnd durch die Manege, endlos, in unserem Fall über 300 Seiten lang, Episode für Episode.

„Haus der Löcher“ ist Nicholson Bakers drittes ‚Sexbuch‘, kulturbeflissen feuilletonistisch formuliert: sein drittes Buch, das sich mit dem sexuellen Verhalten moderner Großstadtmenschen beschäftigt. In „Vox“ (1992) ging es um Telefonsex, in „Die Fermate“ (1994) um die merkwürdige Fähigkeit des Mitdreißigers Arno, durch einen Griff an seine Brille oder durch ein Fingerschnippen die Welt erstarren zu lassen, um sich dann seinen voyeuristischen Studien an wehrlosen Frauen zu widmen.

Bakers Strategie in diesen Romanen ist das exzessive ‚Ausschreiben‘ einer Idee, wobei wir Leser schon jetzt gespannt sein dürfen auf des Autors nächsten Furor, der sicher irgendwann über uns hereinbrechen – und das Feuilleton mit Sicherheit wieder in die Knie zwingen wird. Baker wird es mit Gelächter zur Kenntnis nehmen, wenn er erneut mit Hieronymus Bosch, Boccaccio, Lewis Carroll oder John Updike verglichen wird! So einfach geht das: eine Sexidee, die Magie der Wiederholung, ein Feuerwerk aus Genitalneologismen und schon legen sich die Kulturlöwen ihrem Dompteur in seiner Manege zu Füßen.

Der Aufwand, den Baker dafür treibt, nimmt dabei von Roman zu Roman kontinuierlich ab. In „Vox“ ist das sexuelle Verlangen noch eingebunden in ein fast raffiniertes kommunikatives Spiel aus Nähe und Distanz, Anwesenheit und Abwesenheit. In „Die Fermate“ macht die Idee des jederzeit verfügbaren Körpers die Rede über diesen aber bereits zum ziemlich einsamen Geschäft des Ich-Erzählers Arno, wobei der Traum von einem (in der Lust) antwortenden Gegenüber aber immerhin noch aufscheint und bisweilen zur Sprache gebracht wird. In „House of Holes“ sind solche Traumbilder nicht zu finden. Hier geht es schlicht um die nicht enden wollende institutionelle und verhaltenstechnische Bestückung einer Phantasiewelt, auf die sich die bürgerlich-rammeligen Gäste einzustellen haben. Und dem Dompteur Nicholson Baker fällt unentwegt etwas Neues ein. In jeder Episode ein anderes Stöckchen, über das er seine schrittzentrierten Figuren springen lässt. Aber irgendwie ist es immer das gleiche Stöckchen. Auch wenn die Episoden miteinander verbunden und ineinander verwoben sind: Spannung, gar eine erotische Spannung entsteht dadurch nicht. Da nützt es auch wenig, wenn die immer gleiche Nummer vom Geschlechtsakt begleitet wird von einem Feuerwerk genitaler Neologismen, die Ernst Bornemann sicher sogleich in sein berühmtes Lexikon aufgenommen hätte. Eike Schönfeld hat hier, wie gewohnt, genial übersetzt.

Doch Nicholson Bakers Wortwitz und Wortblödsinn ist letztlich nicht mehr als ein knalliger Konfettiregen, der den Leerlauf des Geschehens je länger, desto nervender untermalt. Dennoch: Der Dompteur lässt schon wieder die Peitsche knallen und alle hoppeln wieder munter durch die Manege, neuen Nummern entgegen: Backenpumpe, Penisbaum, freiwillige Kopfabtrennung! Hereinspaziert, meine Herrschaften! So etwas haben Sie noch nicht gesehen!

Titelbild

Nicholson Baker: Haus der Löcher. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498006716

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