Und noch ein Barcelona-Krimi

Antonio Hills Debütroman „Der Sommer der toten Puppen“ ist in deutscher Sprache erschienen

Von Susanne HeimburgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Heimburger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den spanischen Krimi gibt es noch nicht sehr lange. Denn zur Zeit der Franco-Diktatur gab es offiziell keine Verbrechen, und jeder Krimi hätte damit per se etwas Subversives an sich gehabt. Seitdem das Land aber zur Demokratie wurde, schießen die Kriminalromane geradeso aus dem spanischen Boden heraus. Besonders Barcelona scheint, zumindest literarisch, ein besonders gefährliches Pflaster geworden zu sein. Denn viele Autoren, darunter bekannte Namen wie etwa Manuel Vázquez-Montalbán, Carlos Ruiz Zafón oder Alicia Giménez Bartlett, lassen seither ihre Protagonisten durch die Straßen Barcelonas streifen, immer auf der Suche nach der Wahrheit.

Was macht Barcelona als Tatort so beliebt? Vielleicht sind es die verwinkelten Gassen, mit ihrer gotischen, mystischen Stimmung, die für das Labyrinth der detektivischen Sucharbeit stehen? Oder für die oft schwer nachvollziehbaren Gedankengänge des menschlichen Gehirns, die jemanden dazu bewegen, einen Mord zu begehen?

Antonio Hill jedenfalls ist studierter Psychologe, kennt sich also mit den komplexen Irrwegen des menschlichen Geistes aus. Und auch er schickt seinen Helden in „Der Sommer der toten Puppen“ in die dunklen Gassen der katalonischen Großstadt.

Sein Name: Inspektor Hector Salgado. Er ist Argentinier mit dem typisch weichen argentinischen Akzent, was ihm an sich schon eine gewisse Exotik verleiht. Ein einsamer Großstadtcowboy ist er, der alleine lebt, denn seine Frau hat ihn erst kürzlich (für eine andere Frau) verlassen. Da er einen Voodoo-Arzt, der einem Menschenhändlerring angehört, aus Wut zusammengeschlagen hat, könnte man ihn fast der Hard-boiled-Variante des Krimis à la Hammett und Chandler zuordnen, doch sind Gewalt- und Wutausbrüche eigentlich nicht seine Art. Daher wurde ihm auch erst einmal von seinem Vorgesetzten Zwangsurlaub verordnet. Und hier setzt auch die Handlung des Romans ein.

Salgado kommt von seiner Erholungsreise aus Argentinien zurück. Kaum angekommen, hat er sich mit einem Fall auseinanderzusetzen, der auf den ersten Blick ganz einfach zu sein scheint. Aber natürlich ist er das nach näherem Hinsehen ganz und gar nicht. Ein Junge aus gutem Hause ist offenbar betrunken aus dem Dachfenster seines Zimmers gefallen und dabei umgekommen. Die Ermittlungen werden eigentlich nur aufgenommen, weil Salgados Vorgesetzter mit der Mutter des Jungen seit Jahren befreundet ist. Diese hatte schon vor einigen Jahren ihre Familie verlassen und sich nach Paris abgesetzt. Sie kennt ihren Sohn kaum, und dennoch sagt ihr irgendetwas, dass es sich hier nicht um einen Unfall handelt. Mit seiner neuen Kollegin Leire Castro macht sich Salgado also auf, um einer Routineermittlung nachzugehen. Dass er dabei ganz schön viel Dreck aufwirbeln und die gepflegte Fassade der bourgeoisen Familien Barcelonas mehr als nur ankratzen wird, versteht sich von selbst.

Nebenbei jedoch, und das scheint zunächst (aber wirklich nur zunächst) der spannendere Fall zu sein, verschwindet besagter Voodoo-Arzt. In seiner Praxis hat jemand einen abgetrennten Schweinekopf auf den Schreibtisch gelegt. Die Wände sind blutverschmiert. Und dummerweise deuten alle Zeichen darauf hin, dass Salgado mit dem Verschwinden des Arztes etwas zu tun hat. So kämpft Salgado also gleich an mehreren Fronten, vor allem, um auch seinen eigenen Kopf zu retten.

Der Verlag macht mit einem Trailer, den man auch auf Youtube herunterladen kann, Werbung für das Buch. Mit einer fast psychedelischen und geheimnisvollen Stimmung will er auf den Debütroman Hills aufmerksam machen. Vielleicht weckt der kurze Film aber Erwartungen, die das Buch nicht ganz einhalten kann. Es handelt sich sicherlich um einen sauber konstruierten Fall, und der Krimi folgt auch allen Grundregeln des Krimischreibens. Insofern also ein solides Debütwerk des Spaniers, das man zügig und in einem Rutsch lesen kann. Trotz ein paar kleiner Abschweifungen ins Privatleben der Ermittler schreitet die Handlung zügig voran und ist nachvollziehbar – sie ist verworren, ohne verwirrend zu sein.

Doch wer sich zu sehr an die Regeln hält, wirkt vielleicht bald etwas langweilig und steril. Insgesamt folgt der Krimi stark konventionellen Mustern, die längst bekannt sind und die er fast abzuarbeiten scheint, zum Teil aber auch nicht konsequent genug durchzieht. Dass zum Beispiel der Inspektor selbst unter Mordverdacht gerät, ist inzwischen ein bekanntes Schema, das durchaus Spannung verspricht: Der Ermittler wird selbst zum Verfolgten und die Ermittlungsarbeit zum existentiellen Überlebenskampf, den der Leser hautnah miterleben kann. Doch in Hills Roman glaubt man keine Sekunde daran, dass Salgado ernsthaft in Schwierigkeiten geraten könnte. Und tatsächlich: Das Problem löst sich dann auch praktischerweise fast von ganz alleine. Echter Grusel packt einen nie, selbst dann nicht, als Salgado das Opfer mysteriöser Voodoo-Praktiken zu werden scheint.

Die Originalausgabe zu Antonio Hills Debütroman erschien 2011 in Spanien unter dem Titel „El verano de los juguetes muertos“ und wurde insgesamt sehr positiv rezipiert. Auch in Deutschland wurde der Krimi bisher gut aufgenommen, sicherlich zu Recht. Und trotzdem: Ein Cliffhanger sagt uns, dass es eine Fortsetzung des Salgado-Krimis geben wird – der könnte dann gerne noch etwas extravaganter, unheimlicher und „schmutziger“ werden.

Titelbild

Antonio Hill: Der Sommer der toten Puppen. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
371 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783518463703

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