Liebe auf den ersten Blick

Teresa Präauers Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ ist ein poetischer Versuch über das Fliegen und ein paar Menschen

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Bücher, in die verliebt man sich auf den ersten Blick. Wie bei den Menschen. Auf dem Buchumschlag sieht man zwei kleine Kinder, eine Krone aufgeklebt bei einem der beiden. Sie könnten die beiden Brüder sein, die Teresa Präauer zu den Protagonisten ihres kleinen Romans macht. Dabei sollte man aufmerksam sein und die wenigen Seiten, die hier zu einem Roman werden, nicht unterschätzen. Dies ist leicht möglich, erwartet man doch bei einem Roman normalerweise etwas mehr als die angekündigten 137 Seiten. Aber diese paar Zeilen haben es in sich. Erschafft schon allein das seltsame Titelbild eine merkwürdig poetische Atmosphäre, so vermittelt sich die Entsprechung im Text schon nach wenigen Zeilen, nach wenigen Seiten – Präauer poetisiert die Welt, die Handlungen, den Kontext, die beiden seltsamen Brüder, die in ihrem kindlichen (Er-)Leben von ihren Großeltern versorgt und von einer Idee und der Vorstellung des Fliegens geprägt sind.

Diese schon an Besessenheit grenzende Beschäftigung mit dem Fliegen ist auf den Großvater zurückzuführen, der ein leidenschaftlicher Flieger war. Dass sich die Erzählebenen, die Zeitebenen und die Wahrnehmungsperspektiven für den Leser nicht immer genau bestimmen lassen, scheint zunächst etwas verwirrend. Nur die Berichte über und von den beiden Urlaubskarten lesenden Brüdern sind relativ eindeutig, ebenso die Erzählungen von der Vergangenheit des Großvaters. Aber auch hier findet man poetisierte Irritation: „Ich bin tapfer durch die Lande gezogen und geflogen und hab dann dich gesehen und mir gesagt, so ein Dreikäsehoch mit Elefantenohren braucht ein Geschwisterkind, dessen Glanz auf ihn abstrahlt, und das ihm zeigt, wie man mit solchen Ohren, wenn auch nicht schön sein, so doch fliegen kann.“

Die beiden Brüder versuchen die Nachrichten von ihren Eltern, die auf täglichen Postkarten eintreffen, zu entschlüsseln. Noch nicht ganz des Lesens mächtig und in einer halb kindlichen Dingwelt befangen, sind ihre Entschlüsselungsversuche „interessant“: „Nachdem wir aber nach Erhalt jeder Karte immer die Buchstaben abzählten, die wir kennen, können wir uns jeweils zusammenreimen, was uns die Großeltern vorenthalten. Ich sage zum Großvater, dass wir schon fast alles selbst lesen können. Das macht den Großvater noch wütender, er schreit: Lernt lieber schießen!“

Aber auch befremdliche Reaktionen der Protagonisten bereichern die Lektüre, werden diese doch immer wieder in poetischen Bildern aufgelöst und gebrochen. „Am frühen Abend liegt Dunst über den Tälern, dunkel lugen daraus die einzelnen Hügelgruppen vor. Gelbbraun und blau gestreift sind am Himmel die Farben der sinkenden Sonne, der die Vögel entgegenfliegen, sich schwarz dagegen abhebend.“

Die Brüder lernen dazu. Sie verstehen die Karten der Eltern, die aus der Ferne kommen, zunehmend besser. Die Eltern schreiben, die Brüder lesen: „Dass sie der Großmutter Kleider mitbringen und dem Großvater Grüße vom Herrscher aus Übersee bestellen möchten.“ Aber es bleibt poetisch und rätselhaft, in dieser Welt der beiden Brüder. Und noch seltsamer wird es, als eine Karte mit merkwürdigen Schriftzeichen eintrifft. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine der vielen Geschichten, die die Poesie dieses Buches bestimmt. Eines der ganz großen Bücher des Jahres!

Titelbild

Teresa Präauer: Für den Herrscher aus Übersee. Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
137 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783835310926

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch