Die lieben Verwandten

Julia Fischer analysiert die „Affengesellschaft“

Von Willem WarneckeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Willem Warnecke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Julia Fischer, Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen, erläutert in ihrem neuen Buch „Affengesellschaft“ mit populärwissenschaftlicher Ausrichtung die Forschungsergebnisse ihrer derzeitigen und ehemaligen Arbeitsgruppen, die hauptsächlich diverse Pavianarten und Berberaffen im Freiland untersuchten. In drei Buchteilen geht sie auf deren Sozialverhalten, Kognition und schließlich Kommunikation ein.

Damit betritt Fischer anspruchsvolles Terrain. Denn Untersuchungen mindestens der psychischen Eigenschaften, gar der „Intelligenz“ von Tieren beinhalten zwangsläufig den Vergleich mit dem Menschen. Verdeutlicht wird das ironischerweise gerade durch die noch recht junge biologistische Mode, nach der die in der taxonomischen Rede von Tieren mitunter durchaus nötige Konkretisierung „nichtmenschliche“ auch in diversen anderen Kontexten für erforderlich erachtet wird. Der ausdrückliche Tier-Mensch-Vergleich mutet im Fall etwa eines Regenwurms zwar etwas befremdlich an, ist dafür aber relativ schnell abgehandelt. Je näher man hingegen im Stammbaum Homo sapiens kommt, desto mehr kehrt sich dieses Verhältnis um: Das Vergleichen erscheint naheliegender, wird aber – sachlich wie emotional – immer schwieriger. Geht es schließlich um Affen, erreichen die Debatten um vermeintliche Unterschiede und offensichtliche Ähnlichkeiten – andere sagen: offensichtliche Unterschiede und vermeintliche Ähnlichkeiten – ihren Höhepunkt. Fischer schreibt etwa: „Berberaffen sind wie viele Primaten außerordentlich von Neugeborenen fasziniert. Als ich das erste Mal sah, wie eine ganze Gruppe von Affen auf so ein kleines Kind blickte, wurde mir klar, dass Ansammlungen von Leuten, die in einem Kinderwagen starren, Ausdruck ganz alten Primatenerbes sind.“

Was unterscheidet eigentlich Affen von Menschen? Diese Frage wird nicht erst in dem hier zu besprechenden Buch aufgeworfen. Ein wichtiges Kapitel der wissenschaftlichen Erforschung der Primaten schrieb etwa der Verhaltensforscher Wolfgang Köhler schon vor knapp einhundert Jahren. Damals führte er in der Anthropoiden-Forschungsstation der Preußischen Wissenschaftsakademie auf Teneriffa seine berühmten Versuche mit Menschenaffen durch: Leckereien, etwa eine an der Käfigdecke befestigte Banane, waren für die untersuchten Schimpansen nur dann zu erreichen, wenn sie bereitgestellte Hilfsmittel nutzten. Selbst Köhlers intelligentestes Tier, ‚Sultan‘, stellte sich dabei aus unserer Sicht oft ziemlich dämlich an.

Doch das Bild des kistenstapelnden Primaten ist inzwischen, nicht zuletzt aufgrund diverser Parodien, quasi zu einem unbewussten Allgemeinplatz geworden: Im Science-Fiction-Film „Flucht vom Planet der Affen“ von 1971 etwa werden drei aus der Zukunft stammende intelligente Affen (die nicht nur sprechen können, sondern sogar Doktortitel haben) derartigen Intelligenztests unterzogen. Auch jenseits der Filmfiktion wirft es wichtige testtheoretische Fragen auf, wenn Schimpansin ‚Dr. Zira‘ fix einen mustergütigen Kistenstapel baut, auf ihn hinaufklettert – aber die nun erreichbare Banane verschmäht. Den verwunderten Versuchsleitern erklärt sie: „Weil ich diese blöden Bananen nicht mag!“ Gary Larson stellte die Grenze zwischen Mensch und Tier in ähnlich humoristischer Manier in Frage, als er für einen Far Side-Cartoon eine Szene in einem ‚Primate Research Lab‘ zeichnete, in der eine Reinigungsfrau vergeblich nach einer von der Decke hängenden Banane springt. Die Frage kann also auch lauten: Was unterscheidet eigentlich Menschen von Affen?

Fischer geht in „Affengesellschaft“ auf beide Fragevarianten ein, wenngleich nicht unbedingt explizit. Die eigenen Forschungsergebnisse setzt sie dabei in Bezug zu einem detailreich zusammengefassten, wenn nötig aber auch kontrovers dargestellten primatologischen Hintergrund. Und weil so viele danach fragten, wie das Leben „in Affengesellschaft“ so sei, erzählt sie „auch etwas von den Reizen, Herausforderungen und absonderlichen Begebenheiten […], die sich einem bei der Freilandforschung in tropischen Ländern bieten.“ Sie nimmt hier kein Blatt vor den Mund: „Ebenso lässt sich DNA, also das Erbgut, aus abgeschilferten Zellen im Kot extrahieren, so dass heute viele Fragen in der Freilandforschung angegangen werden können, ohne dass wir die Tiere fangen müssten. Entsprechend wird Affenscheiße auch als ‚Gold der Primatenforscher‘ bezeichnet.“

Dieses Buchkonzept ist nun bestimmt nicht genuin neu, gibt es ähnliche Werke doch sowohl generell in Bezug auf ethologische als auch speziell auf primatologische Forschung. Doch im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit standen in den letzten Jahrzehnten vor allem die Menschenaffen (Schimpansen und Bonobos, Gorillas und Orang-Utans): Charismatische Forscher wie Jane Goodall oder Dian Fossey („Gorillas im Nebel“) und ‚sprachbegabte‘ Hominiden wie Kanzi, Washoe, Panbansha, Nim Chimpsky und Koko wurden weltbekannt. Gibbons, Hundsaffen (zu denen auch die von Fischer untersuchten Arten gehören) und die ganzen anderen geschwänzten, oft buchstäblich ‚noch auf den Bäumen lebenden‘ Primatenfamilien galten der Öffentlichkeit bestenfalls als drollig, aber doch vor allem als peinliche primitive Verwandte aus dem Wald.

Fischers Buch erweitert somit den Blickwinkel, da sie das Verhalten der Tiere nicht nur recht detailliert und nüchtern beschreibt, sondern ausdrücklich auch den Vergleich zwischen Hundsaffen und Menschen anstellt. Die Selbstverständlichkeiten der eigenen Disziplin hinterfragt sie ebenfalls und macht etliche interessante testtheoretische Anmerkungen: „Für problematisch halte ich eigentlich den Vergleich zwischen erwachsenen Affen und Menschenkindern. Müssten die Affen gegen Teenager oder gar erwachsene Menschen antreten, sähen die Ergebnisse sicher ganz anders aus.“ Teilweise sind die Reflexionen auch leicht ironisch angehaucht: „Während meiner Zeit an der Harvard-Universität besuchte ich die Vorlesungen von Irven DeVore, der damals schon etwas in die Jahre gekommen war. Unvergessen war der Moment, als er ein Dia von einer großen Sexualschwellung eines Pavianweibchens zeigte, eine Weile darauf starrte und dann sagte: ‚If this starts to look interesting to you, then you know it’s time to get out of the field.‘“

Insgesamt distanziert sich Fischer nachdrücklich von denjenigen gleichsam ‚erblindeten‘ Forschern, die gar keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen Tier und Mensch ausmachen können. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang etwa die US-Amerikanerin Sue Savage-Rumbaugh, die mehrere Jahre mit dem Schimpansen Kanzi arbeitete: „Nachdem sie einige sehr gute Studien zu Kanzis Sprachfähigkeit vorgelegt hat, ist sie inzwischen davon überzeugt, dass Kanzi auch das Sprechen und Klavierspielen erlernt hat. Vor einigen Jahren war ich auf einer internationalen Konferenz von Verhaltensforschern: Savage-Rumbaugh hielt einen der Hauptvorträge. Sie spielte dem vollbesetzten Hörsaal verschiedene Quieklaute des Bonobos vor und verkündete strahlend, dass dies unterschiedliche Wörter seien. […] Am Ende des Vortrags drängten sich alle durch die Türen und ich hörte, wie sich hinter mir zwei Verhaltensgenetiker darüber unterhielten, dass die Affenforscher offensichtlich den Verstand verloren hätten. Ich konnte es ihnen nicht verdenken.“

Man mag nun Savage-Rumbaughs Ausführungen auch anders bewerten. Doch Fischer zieht in Bezug auf Kanzi eher die Parallele zu trainierten Hunden und zitiert ohnehin Wolfgang Köhler, der mahnte, dass „das Gelingen von Intelligenzprüfungen im Allgemeinen durch den Experimentator leichter gefährdet [wird] als durch das Tier […] und allgemein sollte der Prüfende erkennen, dass jede Intelligenzprüfung außer dem untersuchten Wesen notwendig auch den Experimentator selbst prüft“. Das Staunen über Kanzis Fähigkeiten gehe Fischer zufolge wohl doch eher auf die Überzeugung zurück, „die Tiere müssten schon deswegen besonders sein, weil sie uns so nahe stehen. […] Es wird Zeit, die Kommunikation der Affen wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.“

Klare, stringente Argumentation und die bewusste, konsequente und erkenntnistheoretisch kompetente Hinterfragung der eigenen Position machen oft, jedoch leider nicht immer Fischers Ausführungen aus. Zum einen ist eine Stilkritik anzubringen. Denn der von der Autorin versuchte Spagat zwischen persönlichen Memoiren und wissenschaftlichem Bericht ist recht weit, vielleicht zu weit. Fischer führt dabei, sicherlich unbeabsichtigt, ihre Leser zudem verschiedentlich in Versuchung, die Primatologin selbst durch die für sie wenig schmeichelhafte ethologische Brille zu betrachten. Sie wird dadurch sie zum bloßen Verhaltensforschungsobjekt, quasi zur Figur des eingangs erwähnten Gary-Larson-Cartoons abgewertet. Diese Situation dürfte auch den meisten Lesern unangenehm sein. Sie ergibt sich aber, wenn Fischer ihr eigenes Tun und Lassen in diversen Anekdoten genau so beschreibt, wie andernorts das der Affen. Mehrfach versäumt sie es dann, die jeweilige Szene wenigstens noch einmal reflektierend zu kommentieren, wodurch sie sich mindestens nachträglich wieder zur Herrin der Lage machen würde. Verstärkt wird der Eindruck eingeschränkter Souveränität noch dadurch, dass ihr manchmal eine Metapher missglückt, eine Schilderung sprachlich entgleitet oder sich andere kleine stilistische Makel einschleichen: Es wirkt beispielsweise etwas lächerlich, dass die Anzahl der von ihr im Text genutzten Synonyme zu ‚Doyen‘ fast der Menge der Eskimo-Wörter für ‚Schnee‘ gleichkommt.

Zum anderen geht es um inhaltliche Kritik: Fischers tiefer gehenden Analysen sind in mehreren Fällen erkenntnistheoretisch unbefriedigend, da inkonsistent. So befinden sich etwa viele bemerkenswert klar geäußerten Vorbehalte gegenüber ‚falsch positiven‘ statistischen Ergebnissen und (zu) ‚einfachen‘, reduktionistischen Antworten in der Biologie in schlechter Gesellschaft. Sie werden nämlich dadurch konterkariert, dass Fischer in ihren Ausführungen andernorts ein ungebrochenes Vertrauen in die Möglichkeit definitiver evolutionärer Erklärungen durchscheinen lässt: „Woher diese Variabilität im Verhalten [zwischen Bärenpavianen und Berberaffen] kommt, bleibt eine der zentralen Fragen der Verhaltensbiologie.“

Ferner mahnt sie zwar verschiedentlich zur epistemologischen Vorsicht, etwa wenn sie bekräftigt, dass man sich nicht dazu hinreißen lassen dürfe, „von der funktionalen Ebene auf die psychologische Ebene zu schließen“: „Die Last liegt […] bei der Forscherin, die sauber trennen muss zwischen einer psychologischen und einer funktionalen Betrachtungsweise.“ Genau das versäumt sie kurz darauf aber anscheinend, wenn sie ‚Signale‘, die sie von ‚Anzeichen‘ (als rein physiologischen Merkmalen) abgrenzt, als „zumindest in der Regel zuverlässige Anzeiger des wahren Zustands eines Tieres“ wertet – somit eine psychologische Größe doch wieder auf die Physiologie herab zu brechen versucht.

In der folgenden Passage zur Rivalität unter Pavianmännchen wird schließlich nicht nur die Psyche, sondern sogar der Ausgang eines lebensweltlichen Ereignisses allein auf die Hormone der beteiligten Akteure, also deren Physis zurückgeführt: „Entscheidend für den Verlauf einer Auseinandersetzung ist der T-Wert beider Männchen: Haben beide hohe Werte, eskaliert die Auseinandersetzung häufig; andernfalls zieht sich das Männchen mit dem niedrigeren Testosterongehalt zurück. Dabei scheinen Veränderungen im Testosteronspiegel Veränderungen im Verhalten vorauszugehen: Erst steigt die T-Konzentration an, dann beginnt das Männchen, andere herauszufordern. Umgekehrt ist oft erst ein signifikanter Abfall in der T-Konzentration zu verzeichnen, bevor das Männchen seinen ersten Kampf verliert [wohlgemerkt nicht: ‚einer Auseinandersetzung ausweicht‘] und in der Hierarchie schrittweise nach unten durchgereicht wird.“

Eventuell sind das aber doch nur sprachliche Ausrutscher. Denn an vielen anderen Stellen fällt die vorbildliche Behutsamkeit von Fischers Wortwahl ins Auge. Selten findet sich etwa eine so nüchterne, untendenziöse Schilderung des tierischen ‚Verständnisses‘ vom Tod wie bei ihr: „Bei toten [Affen-] Kindern fällt diese positive [gestische und hormonelle] Rückkopplung aus. Die Mütter sind den Jungen zwar noch zugewandt, sie pflegen ihnen sogar noch das Fell, aber der verstärkende Effekt des Blickkontakts und der positiven Signale kann nicht mehr wirken. Allmählich singt die Motivation der Mutter, den Kontakt mit dem Kind aufrechtzuerhalten. Das tote Kind wird zunächst phasenweise, später auch für längere Zeit zurückgelassen. Dabei ist der Mutter oder den anderen Gruppenmitgliedern der tote Körper durchaus nicht gleichgültig. Kommt man als etwas ahnungslose Beobachterin dem zuweilen schon stark verwesten Körper zu nah, kann es passieren, dass man von der ganzen Gruppe bedroht wird. Der Leichnam gilt also durchaus noch als der Gruppe zugehörig.“

Alles in allem ist „Affengesellschaft“ informativ, fundiert und dabei recht gut zu lesen. Nur manchmal mögen sich die Leser wünschen, Fischer würde jene komischen (wenngleich teilweise zotigen) Momente etwas expliziter reflektieren, die sich nicht nur in einem Gary-Larson-Cartoon, sondern zwangsweise immer dann ergeben, wenn man die verschiedenen Primatenarten miteinander vergleicht. Für eine dieser Arten bieten nämlich gerade diese komischen Momente ganz ernsthaft interessante Denkanstöße in Hinblick auf ihr Selbstverständnis: „Stattdessen weisen die männlichen Guineapaviane einen ungewöhnlich hohen Grad an Toleranz untereinander auf. Sie dulden sich gegenseitig in der Nähe, wenn sie fressen, und sie pflegen ein bizarres Begrüßungsritual, bei dem sie sich umarmen, heftig mit dem Kopf nicken und sich gegenseitig an den Penis fassen. So etwas wäre bei Bärenpavianen völlig undenkbar.“

Titelbild

Julia Fischer: Affengesellschaft.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
281 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423028

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