Die verschwundene Hanna

Henning Mankells Roman „Erinnerung an einen schmutzigen Engel“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Im Grunde beruht alles, was ich schreibe auf einer Wahrheit. Es kann eine große oder eine kleine Wahrheit sein, sie kann glasklar oder fragmentarisch sein. Aber trotzdem ist da immer etwas, was auf wirklichen Ereignissen beruht, und in meinem Buch führt es dann zur Fiktion“, heißt es etwas nebulös in Henning Mankells Nachwort zu seinem neuen, wieder in Afrika angesiedelten Roman.

Parallel zu seinen mehr als 20 Millionen Mal verkauften Wallander-Kriminalromanen hat der Schwede in lockeren Intervallen seine Leser erzählerisch auch wiederholt auf den schwarzen Kontinent entführt, wo er selbst seit geraumer Zeit in Maputo (Mosambik) ein Theater betreibt und einen zweiten Wohnsitz unterhält. Ob in „Die flüsternden Seelen“ (2007), „Tea-Bag“ (2003), „Die rote Antilope“ (2001) oder in „Der Chronist der Winde“ (2000): stets waren Mankells Afrika-Geschichten von großem emanzipatorischen und aufklärerischen Furor beseelt. „Menschen sollen nicht von dem leben müssen, was sie in Mülltonnen finden“, verkündete geradezu paradigmatisch Mankells Romanfigur Oberst Nquila in „Die flüsternden Seelen“.

Nun erzählt Mankell über den (halb fiktiven, halb belegten) Lebensweg einer ungewöhnlichen Frau, die es zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Schweden nach Mosambik verschlägt. Jene Hanna ist gerade 18 Jahre alt, hat ihre nordschwedische Heimat längst verlassen, um als Magd in der Hafenstadt Sundsvall für sich und ihre vier jüngeren Geschwister den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie heuert dann als Köchin auf einem Frachtschiff an, wittert in diesem neuen beruflichen Engagement eine große Chance und stürzt sich nicht nur in das Reise-Abenteuer, sondern auch noch Hals über Kopf in die Ehe mit dem Steuermann Lars Johan Lundmark.

Schon dieser biografische Prolog zur eigentlichen Handlung wirkt arg konstruiert. Danach wird es dann im wahrsten Sinne des Wortes abenteuerlich, und Mankells Protagonistin Hanna erinnert mit Fortschreiten der Handlung immer stärker an die „heldenhaften“ Frauenfiguren aus der Feder von Isabel Allende. Die junge Schwedin landet nach einer langen und schmerzlichen Schifffahrt (sie verliert auf der Reise ihren Ehemann) in der portugiesischen Kolonie Mosambik. Sie steigt in einem Hotel mit dem vielsagenden Namen „O Paraiso“ ab, das sich auf den zweiten Blick jedoch als Bordell entpuppt. Hanna macht Karriere, erbt später ein Riesenvermögen und genießt als „weiße Frau“ in der Fremde, sozusagen als doppelte Außenseiterin in der hierarchischen afrikanischen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts, eine stattliche Reputation. Das streift haarscharf die Grenze zum Kitsch.

„Ich bin jetzt über sechzig, und nach allem, was ich erlebe, hat das Alter wenig Gutes an sich“, hatte Henning Mankell kürzlich in einem Interview erklärt. Hat er zu schnell geschrieben? Hat er allzu stark auf Effekte gesetzt und dadurch die Figurenzeichnung vernachlässigt? Nach der Lektüre dieses Romans steht (leider) zu vermuten, dass auch die große Zeit dieses Autors schon passé sein könnte. Ein Drehbuch für einen bunt arrangierten TV-Zweiteiler vor exotischer Kulisse, das könnte aus diesem erzählerischen Konvolut vielleicht noch herausspringen.

Das ist mindestens ebenso unbefriedigend wie der halboffene Romanausgang um die Schwedin Hanna, bei dem ein geheimnisvolles Pulver im Spiel ist. „Als das Dienstmädchen am folgenden Tag das Zimmer betrat, lag das Entgelt in einem Kuvert auf dem Tisch. Ihre Taschen waren verschwunden. Niemand hat sie je wieder gesehen.“

Titelbild

Henning Mankell: Erinnerung an einen schmutzigen Engel. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012.
349 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055797

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