Auf Distanz

Annette Pehnt schreibt eine „Chronik der Nähe“

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Annette Pehnt ist eine Spezialistin für die subtilen Details menschlicher Beziehungen. Ob es nun „Haus der Schildkröten“ (2006) um das Altwerden geht, das vieldiskutierte „Mobbing“ (2007) die perfiden Seiten der Arbeitswelt auslotet, oder die Kurzgeschichtensammlung „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“ (2010) das Innenleben einer DB-Schaffnerin ausleuchtet – immer geht es um das innere Erleben der Figuren und ihre oft schwierigen Verhältnisse zueinander. Pehnt beschreibt sie, geduldig und genau, ohne einfache Lösungen für ihre Figuren anzubieten.

Ihr neuer Roman „Chronik der Nähe“ kommt ebenso unspektakulär daher. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen – Großmutter, Mutter und Tochter. Nur die Mutter bekommt einen Namen, Annie oder Anne, während die anderen beiden namenlos bleiben. Die Perspektive wechselt: mal wird die Beziehung zwischen der Großmutter und Annie, mal die zwischen Annie und ihrer Tochter, die auch als Ich-Erzählerin fungiert, beleuchtet. Der Clou dieses Verfahrens ist es, dass so die beiden Beziehungen parallel geführt werden und ihre Ähnlichkeiten offenbaren: Die Töchter suchen jeweils die Nähe ihrer Mutter, die jene an sich abgleiten lässt. Die Mütter bewahren dabei ihre Geheimnisse, die sie den Kindern nicht anvertrauen wollen. In beiden Verhältnissen herrscht der Mangel, der Wunsch des Kindes nach Nähe vor, aber stattdessen drohen die Mütter damit, krank zu werden oder zu sterben, um den Kindern die erwünschten Liebesgeständnisse abzupressen. Das ist tragisch, umso mehr, als Annie als junge Frau versucht, der übermächtigen Mutter zu entkommen und völlig anders zu leben, um später doch die verhassten Beziehungsmuster zu wiederholen. Die Männer spielen dabei nur am Rande eine Rolle. Annies Vater, ein älterer Maler, stirbt kurz nach dem Krieg, und ihr Chef, der sich als „der Richtige“ zum Heiraten entpuppt, bleibt ebenso blass wie der promovierte „junge Mann“. Mit ihm gemeinsam bekommt die Ich-Erzählerin ihre beiden Kinder, für die sich wiederum Annie nicht interessiert. Sieben Tage lang erinnert sich die Tochter an ihre Mutter und an das Verhältnis der Mutter zur Großmutter, bis zum endgültigen Verlust.

Keine leichte Kost und schon gar kein locker-flockiges Familienepos, in dem sich die Cresspahls, Buddenbrooks und Hoffmanns im Mantel der Geschichte verheddern. Aber gerade die strikte Konzentration auf ihre drei Figuren ist es, die Annette Pehnts präzises und stellenweise schmerzhaftes Buch so lesenswert macht.

Titelbild

Annette Pehnt: Chronik der Nähe. Roman.
Piper Verlag, München 2012.
216 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783492055062

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch