Eine Einführung mit Höhepunkten und mit Lücken

Über Susanne Kleinpaß’ „Theodor Fontane“

Von Martin LowskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Lowsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man blättert in Kleinpaß’ Buch, und einiges stört einen sofort. Offenbar findet sich die Autorin manchmal nicht bereit, gute Bücher aufzuschlagen, denn viel zu oft erscheint die Angabe „zitiert nach …“. Dass Fontane sich deutlich antisemitisch geäußert hat, wird zweimal konstatiert, aber was er gesagt hat, weiß die Autorin nicht. Über den „Stechlin“ erfahren wir nur, dass es ihn gibt. Kann man so mit Fontanes Altersroman und Lebensbilanz umgehen? Dafür erscheint Krippenstapel, diese Figur aus dem „Stechlin“, im Literaturverzeichnis irrtümlich als der Name eines neueren Fontane-Forschers. Druckfehler sorgen für falsche Apostrophe und für eine Datumsverwechslung bei Fontanes Ehrendoktor. Nochmals zum „Stechlin“: Interessanterweise kommt Kleinpaß dem Stechlin’schen Geist gelegentlich sehr nahe, wenn sie den modernen Fontane herausstellt: Sie erläutert die in „Irrungen, Wirrungen“ auftauchende Vorstellung, dass „ja“ so viel wie „nein“ bedeuten kann, und sie bespricht Fontanes Alterslyrik und dabei das „Verfahren, Kontraste in ein provozierendes Nach- oder Nebeneinander zu bringen“. Kleinpaß nennt hier auch – eine sehr kluge Beobachtung – Fontanes scheinbare Kunstlosigkeit, die eine „hochartifizielle Emanzipation von althergebrachten Formen“ sei.

Das Buch hat also auch seine Qualitäten; es ist eine sehr anregende Einführung in Fontanes Leben und Werk. Höhepunkte des Buches sind zum einen die Herausarbeitung von Fontanes „ästhetischer Komplexität“. Kleinpaß erklärt Fontanes besonderen Realismus, sein Prinzip der Verklärung und seine Verwandtschaft und Nichtverwandtschaft (Zola!) mit französischen und englischen Realisten. Auch Fontanes Dialoge als „kunstästhetisches Mittel der direkten und indirekten Figurenbeschreibung“ werden sorgfältig erörtert. Zum anderen sind zu loben Kleinpaß’ Analysen von fünf Werken („Grete Minde“, „L’Adultera“, „Irrungen, Wirrungen“, „Frau Jenny Treibel“, „Effi Briest“), Analysen, die in klarer Sprache umfassend in diese Romane einführen und dabei den aktuellen Forschungsstand berücksichtigen. Selbstverständlich bezieht Kleinpaß die politisch-sozialen Hintergründe ein und wendet sich ebenso dem Psychologen Fontane zu. Sie achtet aber auch auf versteckte Feinheiten. Sie behandelt beispielsweise den „disguised symbolism“ in Effi Briest, die Mehrdeutigkeit der scheinbar nur albernen Figur Käthe in „Irrungen, Wirrungen“ und die seltsam offene Schluss-Szene von „Frau Jenny Treibel“, in der Professor Schmidt sogar die Wissenschaft für „Unsinn“ erklärt. Kleinpaß widmet der Szene drei Seiten; man liest ihre spannende Deutung mit Freude. Der Einfluss der bildenden Kunst wird mehrfach besprochen.

In den Analysen der fünf Romane unternimmt Kleinpaß erfreulicherweise viele Querverweise; Parallelen und Kontraste innerhalb dieser Werke werden genannt. Auch gibt es aufschlussreiche Ausblicke auf Wagner, Nietzsche, Thomas Mann: Die fünf Romane werden kulturgeschichtlich eingeordnet. Doch leider gibt es keine Verweise auf Fontanes zwölf übrige Romane.

Mehrere Register und viele Notate am Rand eröffnen gute Zugriffe auf das Buch. Es ist auch versehen mit einer Fülle kleiner Abbildungen. Sie zeigen Fontane-Freunde, -Kollegen und -Interpreten (Lepel, Heyse, Tucholsky, Lukács und viele andere), Gemälde (von Leistikow, den Achenbachs und andere), Titelseiten von Erstausgaben und Berliner Ansichten. Hervorzuheben ist die Doppelseite, die Fontanes Leben, seine Publikationen und seine Epoche grafisch und mit eingefügten Illustrationen prägnant darstellt. Dies regt zur Lektüre des Buches an – wie auch die Mind-Map (oder: das typografische Kunstwerk) aus zusammengeschichteten Fontane-Stichwörtern, wo „Chinesenspuk“, „Bismarckära“, „Geldsackgesinnung“, „Literarische Moderne“ und viele andere Begriffe erscheinen. Und eine Europakarte mit Fontane-Orten gibt es auch. Wer weiß schon, dass Fontane in Toulouse gewesen ist! Aber es ist wahr.

Titelbild

Susanne Kleinpaß: Theodor Fontane.
Tectum Verlag, Marburg 2012.
234 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783828829251

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