Der Dichter als „Fährmann“

Der von Iris Hermann herausgegebene Sammelband setzt sich mit Robert Schindels „Poetik des Übersetzens“ auseinander

Von Friederike GösweinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friederike Gösweiner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekannt ist der österreichische Schriftsteller Robert Schindel gemeinhin wohl vor allem als Lyriker. Darauf deutet auch der Text auf dem Umschlagrücken des Sammelbandes hin, der nun im Wallstein Verlag zu Schindels Werk erschienen ist: „Robert Schindels Werk ist in erster Linie das eines bildmächtigen und Neologismen nicht scheuenden Lyrikers.“ „Fährmann sein. Robert Schindes Poetik des Übersetzen“, so der Titel des von der Bamberger Professorin Iris Hermann herausgegebenen Bandes (in der Reihe „Poiesis. Standpunkte zur Gegenwartsliteratur“ erschienen), beschäftigt sich aber dennoch nicht in erster Linie mit Schindels Lyrik. Im Mittelpunkt steht vielmehr die „gewählte poetische Perspektive“ des Autors: „der Dichter als Fährmann“. Um dieses zentrale Thema gruppieren sich die vierzehn Beiträge, ein Vorwort der Herausgeberin führt in das Thema ein, das sich direkt aus dem Titel der vier Bamberger Poetikvorlesungen herleitet, die Robert Schindel im Sommer 2010 gehalten hat und die den Anstoß zu dem Band gaben.

Die letzte dieser vier Vorlesungen, in der Schindel „über die Figur“ spricht, ist neben einem bisher unveröffentlichten Gedicht des Autors („Scharlachnatter“) auch in Hermanns Band abgedruckt. Die übrigen Beiträger sind vor allem Wissenschaftler – aber nicht ausschließlich: Neben Hartmut Steinecke, Artur Pełka, Norbert Otto Eke, dem Reihenherausgeber Friedhelm Marx, Matthias Beilein, Andrea Bartl, der Herausgeberin Iris Hermann selbst, Joanna Jabłowska, Christoph Houswitschka und Meinolf Schumacher steuert auch die junge Lyrikerin Nora Gomringer eine poetische Auseinandersetzung mit Robert Schindel in Form eines Gedichts bei, und der österreichische Schriftstellerkollege Doron Rabinovici gibt in einer Art freiem, künstlerischem Essay seine „Anmerkungen zu Robert Schindel“.

Die thematische Klammer – Schindel als Vermittler, in dessen Werksmittelpunkt „ein bewegliches Ich“ steht, „das sich flanierend und fragend durch die Welt bewegt“, das dialoghaft in Beziehung zu anderen literarischen Werken steht (etwa jenem Paul Celans) – ist in allen gut lesbaren, hochwertigen, sorgfältig recherchierten und interessanten Beiträgen spürbar, die auch durchaus originelle Blicke auf Schindels Werk werfen, etwa Schindels Mittelalterrezeption beleuchten (Meinolf Schumacher), seinen bekannten Roman „Gebürtig“ W. G. Sebalds „Austerlitz“ gegenüberstellen (Friedhelm Marx) oder anhand des „Sehnlied 5 (Ballade im Nebel)“ „die Liebe im Zeitalter der Mobilität“ (Andrea Bartl) erläutern. Insgesamt ist der Band eine gelungene Zusammenstellung, die die Grundthemen des Autors klar benennt und einen sehr breiten Bogen spannt um Schindels Gesamtwerk: von seinem stark rezipierten, grundlegenden Roman „Gebürtig“ und dessen filmischer Umsetzung bis zu seinem essayistischen Werk, in dem sich Schindel vor allem als politischer Autor zeigt, der Stellung nimmt gegen Xenophobie. Einzig Schindels lyrisches Werk, das inzwischen neun Bände umfasst, kommt ein wenig kurz, auch wenn Schindels Verhältnis zu Celan von zwei Beiträgern als Thema aufgegriffen wird. Wollte der Sammelband eine stringente Gesamtdarstellung des schriftstellerischen Werks sein, wäre dies mit Sicherheit ein Kritikpunkt, den sich die Herausgeberin gefallenlassen müsste. Doch ist es ja erklärtes Ziel von Hermanns Band, Schindels poetisches Programm zu erläutern, und das gelingt Hermann mit dieser inhaltlichen Zusammenstellung durchaus.

Ein Wermutstropfen bleibt dennoch: Für den interessierten Leser wäre es durchaus schön gewesen, den kompletten Text von Schindels Poetikvorlesung nachlesen zu können, und nicht nur das letzte Viertel. Denn anzunehmen ist, dass der Vorlesungstext doch als ein Ganzes konzipiert war, der vierte abgedruckte zwar als alleinstehender Text funktioniert, aber dennoch zugleich ahnen lässt, dass die drei vorhergehenden nicht weniger kluge wie poetische und in jedem Fall sehr erhellende Reflexionen zum Werk des Dichters aus dessen eigener Sicht darstellen würden. Nachdem der Band insgesamt nicht einmal 200 Seiten umfasst, kann für diese Entscheidung Platzmangel zumindest kaum den Ausschlag gegeben haben, und wohl auch kaum die Befürchtung, ein Missverhältnis zwischen literaturwissenschaftlicher Fremdreflexion und Autorenselbstreflexion herzustellen (Schindels „Fremddeutern“ wird im Band immerhin 150 Seiten eingeräumt, der Autor selbst beansprucht bescheidene zehn Seiten). Nachdem es aber nach dem Tod des Autors durchaus keine Selbstverständlichkeit darstellt, in Sammelbänden zum Werk eines zeitgenössischen Autors diesen selbst zu Wort kommen zu lassen, ist das grundsätzliche Miteinbeziehen des Autors – in diesem Fall als Poet und Erläuterer des eigenen Werks – zumindest für alle Nicht-Roland-Barthes-Jünger aber schon viel wert.

Titelbild

Iris Hermann (Hg.): Fährmann sein. Robert Schindels Poetik des Übersetzens.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
180 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783835310629

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