Der Traum vom irdischen Paradies

„Heinrich Vogeler – Künstler Träumer Visionär“ – ein großangelegtes Ausstellungs- und Buchprojekt

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er war vorrangig Maler, doch auch als Grafiker, Schöpfer von Buchschmuck, als Entwerfer von Gerät, von Möbeln und Raumensembles und als Architekt tätig, zudem musizierte er und schrieb Gedichte. Tragend war für ihn die Idee der Einheit von Kunst und Leben im Sinne der Durchdringung des Alltags mit dem Schönen, mit der guten Form für alle, aber auch unter dem romantischen und ganz subjektiven Aspekt der Durchdringung von Kultur und Natur, von Vergangenheit und Gegenwart, von Gediegenheit und Einfachheit. Daher rührt seine Verbindung mit dem Jugendstil, und darum liegt in jedem seiner Bilder ein ganz persönliches Bekenntnis.

Immer wieder sind seine Bildthemen „sein“ Barkenhoff in Worpswede und „seine“ Frau Martha, die er als Märchenfee, als Minnefräulein und als Madonna wie aus einer fernen Welt in die seine versetzte. Sein großes Gemälde „Das Konzert. Sommerabend (auf dem Barkenhoff)“ von 1905 vereint alles und lässt im Glanz der Blütezeit Worpswedes ahnungsvoll schon die spätere Krise und das Ende dieser Pracht anklingen. Denn dann setzt, aufgewühlt durch die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges und die revolutionären Ereignisse in Russland, seine Wandlung zum Pazifisten und Kommunisten ein, und viele seiner bisherigen Freunde und Verehrer können seiner Vision von einem „neuen Leben“, einem „Neuen Menschen“ nicht mehr folgen.

Aber auch die Kommunisten verhalten sich zunächst zurückhaltend einem Mann gegenüber, der von Marx und Lenin scheinbar keine Kenntnis genommen hat und von einer Menschheitsverbrüderung im Zeichen Gottes spricht. Er hat als deutscher Emigrant in der Sowjetunion ein qualvolles Ende genommen. Mögen sie manchem auch ein Widerspruch in sich bedeuten, sein Früh- und sein Spätwerk, der Jugendstilkünstler und der kommunistische Künstler Vogeler gehören zusammen, wenn man diesem von seinen Idealen und Visionen getragenen Einzelgänger in der Kunst des 20. Jahrhunderts gerecht werden will.

Die vier Worpsweder Museen – Barkenhoff, Große Kunstschau, Haus am Schluh und Worpsweder Kunsthalle – präsentieren (bis 30. September) den ganzen Heinrich Vogeler, nicht nur in der Vielseitigkeit seiner ausgeübten Tätigkeiten, sondern auch in der Gesamtheit seiner Lebens- und Schaffensperioden. Hatte man sich früher im Westen vornehmlich auf den Jugendstilkünstler Vogeler konzentriert und seine spätere Hinwendung zum Sozialrevolutionär und Kommunisten weitgehend ignoriert, so kann nun auch Vogelers Spätwerk von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen und diskutiert werden.

Im Katalog führt Sabine Schlenker in das Anliegen des Projekts ein, Vogeler als Künstler, Träumer und Visionär darzustellen, und Ninja Kaupa untersucht Vogelers Aufbruch als Künstler um die Jahrhundertwende, sein Programm einer Ästhetisierung des Lebens, die sich von der Kunst ausgehend in alle Lebensbereiche erstrecken sollte. In vier Teilen wird dann das Gesamtkunstwerk Barkenhoff – „Idylle und Wandel“ – (Beate C. Arnold), Vogelers Aufenthalt in der Sowjetunion – „Neue Wege“ (Dmitry Lyubin), der politische Vogeler – „Krieg und Revolution“ – (Bernd Stenzig) und die Biografie des Künstlers samt Abbildungs- und Literaturverzeichnis präsentiert. Den einzelnen Lebens- und Schaffensphasen des Künstlers ist jeweils ein reicher Abbildungsteil beigegeben.

Rainer Maria Rilke hat die bis etwa 1911 reichende frühe Bildwelt Vogelers in ihrer besonderen Stimmungshaftigkeit beschrieben, nämlich „feinstimmig und flüsternd, von dem Künftigen“ zu erzählen im Gewand des Vergangenen. Beispielhaft dafür ist das Gemälde „Frühling“ (1898), das eine junge Frau im locker fallenden Reformkleid – es ist die junge Martha Schröder, die er 1901 heiratete – in einem Wäldchen zarter Birkenstämme, einem Vogel lauschend, darstellt. Die Stimmungslandschaft findet sich bei dem frühen Vogeler wie auch bei seinen Worpsweder Kollegen, er bevölkert sie aber mit fantastischen Ritterfiguren, lässt die Heiligen Drei Könige (1897) am verschneiten Dorfrand stehen, versetzt die präraffaelitische „Verkündigung Mariä“ (1901) in eine Frühlingswelt. Das Frühlingshafte ist Kern seiner „Hoffnungstopik“, in die das Moment des Versagtseins elegisch eingeschlossen ist. Idyllisch, sanft, friedlich ist der Eindruck von den Bildern, eine Traumwelt der Geborgenheit, in der seine Frau mit Kind im Gemälde „Erster Sommer“ (1902) – in Natur eingehüllt– sitzt wie eine Madonna im Rosenhag. Auch seine Gartenbilder und Interieurs haben diesen bergenden Ausdruck, zu dem die Horizontlosigkeit beiträgt. In seiner auch vom Jugendstil bestimmten Grafik schließt Vogeler an die englische Buchkunst an, er füllt die Rahmenformen und die illustrativen Bilder mit einer ihm eigenen, fast andächtigen Märchenstimmung, die über dem rein erzählerischen Gehalt des Märchens dominiert.

Dass der um die Jahrhundertwende berühmt gewordene Jugendstilmaler aus Worpswede sich abkehrte vom Jugendstil als Kunst und Lebensform, war seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und der russischen Revolution von 1917 geschuldet. Zeitlebens war er ein Suchender, auf der Suche nach einem neuen Menschwerden, nach einem neuen Leben hoffte er seine Identität zu finden. „Träume“ (1911) ist der Titel eines seiner Gemälde, die immer wieder von seinen Träumen und Sehnsüchten nach einer künftigen Welt mit Menschen der Liebe und Gedanken des Friedens künden. Ihn trieb die Sehnsucht nach einer neuen heilen Welt mit neuen heilen Menschen, nach Inseln reiner Menschlichkeit im Meer einer unmenschlichen Umwelt um. Die praktische Verwirklichung seiner reformerischen Ziele beginnt auf seinem Grund und Boden des Barkenhoffs, beginnt mit seinem Geld, mit seinem angesehenen Ruf als Jugendstilkünstler und seinem eigenen Tun. Er träumt in Wahrheit von einer Erneuerung des Menschseins im Kommunismus oder Sozialismus aus dem Geist des Urchristentums. Er versteht daher auch die Bergpredigt als politisch-soziales Programm und den Verkünder der Bergpredigt als Sozialrevolutionär.

Vogelers Kosmologie begreift die gegenseitige Hilfe, die sich nicht schon im Wort, sondern immer erst in der Tat ausweist, als ein in der Natur wie unter Menschen unweigerlich sich durchsetzendes Prinzip. Die liebende Tat vermittelt jene Augenblicke des Glücks, in denen sich der Mensch in Harmonie mit dem Kosmos weiß. Im Kristall sieht er das prägnanteste Symbol für das Einssein des einzelnen mit dem Gesetz werktätiger Liebe. Den Prozess, den das kosmische Eingreifen bewirkt, veranschaulicht schon das Komplexbild „Die Geburt des Neuen Menschen“ (1923), das der Geburt seines Sohnes Jan gewidmet ist: Die Stufe des Leids und der Vernichtung ist in der Form der Totenschädel unten wiedergegeben, die Stufe der Neugeburt in Gestalt der darauf stehenden Mutter mit dem Kind. Der Künstler selbst stellt sich wiederum durch einen an das Strukturmuster des Kristallnestes erinnernden Bildrhythmus dar.

Auch die von Vogeler gemalten Wandbilder, die 1939 beim Umbau des Barkenhoffs verschwanden, waren so eigentlich nichts anderes als urchristlich-kommunistisch verstandene Vorbilder, die ähnlich wie bei Brecht im literarischen Bereich hier die Aufgabe von gemalten „Lehrstücken“ hatten und die so offenkundig eine politische Botschaft lehrten. Hier wie auf seinen Porträt-Bildern („Rote Marie“, 1919, oder „Fidi Harjes“, 1921), wie vor allem auch beim Gemälde „Hamburger Werftarbeiter“ (1928) sowie bei vielen Gemälden und Zeichnungen, die dann in Russland entstanden sind, fällt auf, dass dort über die künstlerische und charakteristische Darstellung eines Menschen hinaus auch ein ganz bestimmtes Menschenbild zum Ausdruck kommen soll. Immer wieder sind es fröhlich singende und unverdrossen schaffende Proletarier, gläubig aufschauende Gesichter oder kampfstarke, siegesbewusste „Helden der Arbeit“, die Vogeler da malt oder zeichnet. Besonders seine Agitationstafeln zeigen eine Malerei, die in geradezu ikonenhafter Manier und in liebevoll ausgeführten Detailszenen „die neuen gesellschaftlichen Errungenschaften“ und den „ruhmreichen Sieg der Partei“ darstellt. Von nun an verkündet seine Kunst, indem sie so „die Morgenröte der neuen Zeit“ (Vogeler) dem Betrachter in leuchtenden Farben ausmalt, die Utopie einer neune Gesellschaft. Jan Vogeler, der Sohn, hat daher wohl zu Recht seinen Vater als „utopischen Sozialisten“ bezeichnet.

Das Bild „Rote Metropole. 1. Mai 1923“ aus dem Jahr 1924 zeigt den Kreml, kathedralhaft aufgetürmt und auf einer Anhöhe gelegen, der von einem sonnenhaft riesigen, Himmel und Erde mit seinen Strahlen formierenden, (Sowjet-)Stern gekrönt wird. Über die auf dem Gemälde am Kreml vorbeiführende Brücke – damit quer über die ganze Bildfläche – zieht eine Demonstration. Im unteren Drittel des hochrechteckigen Bildes kommen Formationen marschierender Soldaten auf den Betrachter zu. Die Strahlen des Sterns fangen das gesamte Bild ein: Der Stern ist das Licht der Welt. Alle Macht geht von dem einen Zentrum aus, alles ist auf dieses eine Zentrum – das Licht der Welt – ausgerichtet.

1924 begann sich die Technik der „Komplexbilder“ in Anknüpfung an die kubistische Flächengliederung früherer Arbeiten herauszubilden: eine Aufsprengung der Bildfläche in meist asymmetrische Einzelfelder, häufig mit einem Symbol als übergreifendem Gliederungsprinzip; innerhalb der Felder – auch sie überschneidend – die realistische Dastellung verschiedener Wirklichkeitsausschnitte in vielfältig variierter Perspektive. So sollte die dialektische Ganzheit eines bestimmten Sozial- oder Produktionszusammenhangs vergegenwärtigt werden. Diese etwa 15 bis 1936 entstandenen Bilder waren gedacht als Entwürfe zu Wandbildern, die aber nie ausgeführt wurden. Thematische Schwerpunkte waren der wirtschaftliche und kulturelle Aufbau in der Sowjetunion; die Arbeit der Roten Hilfe; der Kampf gegen Kapitalismus und Faschismus. 1936 gab Vogeler die Technik der Komplexbilder nach scharfer Kritik, unter anderem in der führenden Kunstzeitschrift „Iskusstwo“, auf. Ihm wurde Formalismus vorgeworfen, eine undialektische, mechanisch-additive Anlage seiner Bilder, der schaffende Mensch stände nicht im Vordergrund. In seinem bildkünstlerischen Werk gingen von nun an die reportagehaften Arbeiten aus dem Produktionsleben zurück zugunsten mehr traditioneller Bildthemen (Landschaft und Porträt). Gerade die Hinwendung zum Porträt sah Vogeler als Neuansatz auf dem Weg zu einer sozialistischen Monumentalmalerei. Doch durch den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion und seine bald darauf erfolgte Zwangsevakuierung nach Kasachstan, wo er mittellos und krank starb (1942), konnte Vogeler diesen Weg nicht weiter beschreiten.

Der russische Kunsthistoriker Dmitry Lyubin beantwortet die Frage nach den letzten Jahren Vogelers, die diesem „Enttäuschung von sich selbst, von der Umwelt und von der eigenen Kunst“ gebracht hatten, so: „Nein, er ging entschieden seinen Weg, dessen Stationen von der beeindruckenden Künstlerpersönlichkeit, ihren Ansichten und ihrem Charakter geprägt waren. Heute zeigt sich, dass dieses komplizierte und unglaublich interessante Künstlerleben präzise durch Zeit und Länder verläuft und wie klar sich dieser Weg in der Kunst niedergeschlagen hat. Am Anfang seines Weges wurde Vogeler ein ‚Märchenprinz‘ genannt. An dessen Ende war er der ‚letzte Ritter‘“.

Titelbild

Heinrich Vogeler: Künstler - Träumer - Visionär. Katalog zur Ausstellung in Worpswede.
Hrsg. von Sabine Schlenker, Beate Ch. Arnold.
Hirmer Verlag, München 2012.
206 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783777449913

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