„All is karma“

Anna Katharina Fröhlichs Indien-Roman „Kream Korner“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Tür öffnete sich in den widerhallenden Flur des alten Stadtpalastes, aus dessen schattigen, hohen Seitenräumen eine muffige Kühle wehte, eine stark nach Dunkelheit, nach nassem Dackelfell und Mottenkugeln riechende Kühle, die zugleich aus den schwarz-weißen Marmorböden, aus den allsommerlich mit der Feuchtigkeit des Monsunregens voll gesogenen Kalkmauern und aus Wassereimern stieg, mit denen die Dienerinnen barfuß über die gewischten Böden gingen, Abdrücke ihrer schmalen Fußsohlen mit den auseinanderliegenden Zehen hinterlassend.“

So beginnt Anna Katharina Fröhlichs Indien-Roman „Kream Korner“. Der nur etwas mehr als 160 Seiten umfassende Text ist nach „Wilde Orangen“ (2004) der zweite Roman der 1971 in Bad Hersfeld geborenen Autorin. Sie ist die Tochter des 1986 verstorbenen Schriftstellers Hans Jürgen Fröhlich. Im vergangenen Frühjahr war „Kream Korner“ auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis nominiert. Jetzt liegt Fröhlichs gleichermaßen faszinierende wie humorvolle Liebeserklärung an Indien („Der Versuch zu begreifen, weshalb man Indien liebt, ist ebenso sinnlos wie der Versuch zu erklären, weshalb man das Leben liebt“) als Taschenbuchausgabe vor.

Die namenlose Ich-Erzählerin lebt, wie Fröhlich im mittleren Teil des Romans erzählt, nach einem gescheiterten Studium mit ihrer Tante und ihrem Onkel, Lady und Lord Leslie, abgeschieden in der südfranzösischen Provinz auf einem „beharrlich verfallenden Anwesen, das auf einem lotrechten Felsen stand.“ Es ist die botanisierende Tante, die das abgeschiedene Gut in einen veritablen „Festungsgarten“ verwandelt: „Ich arbeitete in diesem Garten, weil ich der Diktatur der fordernden Natur nicht mehr entgehen konnte, weil jede kletternde, sich windende, im Frühling korallenrot aufbrechende oder blassgelb sich entfaltende Pflanze meiner ständigen Aufmerksamkeit bedurfte, denn vernachlässigte ich sie, so vernachlässigte ich das Leben, in das ich mich auf diesem Grundstück Tag für Tag hineingearbeitet hatte, in dem bedrückenden und zugleich beschwingenden Bewusstsein, dass eines Tages der ganze, marode ummauerte und tiefschattige Besitz in meine Hände übergehen würde.“

Die Ich-Erzählerin besucht zu Beginn des Romans mit ihrer mittlerweile verwitweten Tante im nordindischen Lucknow die Bills, eine Sikh-Familie, die nicht nur „bodenlos vermögend“, sondern in gleichem Maße bequem, ja – nach westlichen Maßstäben – faul und dekadent ist. Man trägt „Pantoffeln in Form venezianischer Gondeln“, starrt den größten Teil des Tages auf den „Bildschirm eines Hitachi 1080“, ist weitgehend mit Essen und Trinken beschäftigt oder macht mühsam in eigens beschaffter Sportkleidung nachmittags einen kleinen Spaziergang im Garten und ist ansonsten sich selbst genug – mit einer Ausnahme: „In Bezug auf Gesellschaftliches, auf Titel, auf alte Familiengeschichten alter Familien und auf alles, was Geld betraf, war Mr Singh Bill unbestreitbar empfindlich.“

Vor allem der Tante ist die träge Dekadenz und die „Readers Digest Dummheit“ ein Dorn im Auge und sie nimmt auch kein Blatt vor den Mund: „Doch da damals meine Tante noch die Frau von Lord Leslie war, wurden ihre Anklagen ebenso wohlerzogen hingenommen wie die Anstoß erregende Liebenswürdigkeit, mit der sie die Dienerschaft der Bills behandelte. Nur einmal hatte der alte Singh sie streng angesehen und zu ihr gesagt: ‚All is karma!‘“

Doch nach dem Tod des Onkels gelten die beiden europäischen Besucherinnen im Hause der Bills wenig: „Trotz seiner britischen Erziehung erhob sich Mr Bill nicht, um meine Tante, die Witwe eines Lords, zu empfangen. Zu Lebzeiten Lord Leslies […] hätte sich Maripal ein solches Benehmen niemals erlaubt, doch jetzt war der Lord tot, und Mr Bill betrachtete die Tante als etwas ganz und gar Überflüssiges und Unbrauchbares, als Witwe eben.“

So träge das Leben der Bills in Lucknow dahinströmt, so wenig Abwechslung erfährt die Nichte bei ihrer Tante in Südfrankreich, deren Anstrengungen darauf abzielen, sie zu einer „belesenen Köchin“ zu machen. Die Ich-Erzählerin liest, „um mir inmitten einer Gesellschaft von Gnomen, Göttern, verfressenen Gorgonen, Horen, Seelenverkäufern, Versagern, Nymphen, Odensängern, Nasenverlierern, Snobs, forellenjagenden Harpyien und Hexen ein Seelenrevier zu schaffen, in dem ich für den Rest meines Lebens Zuflucht suchen konnte, falls sich im Lauf meines Lebens dann wirklich und endgültig herausstellen sollte, dass ich zu nichts zu gebrauchen war, auch wenn sie mir immer wieder einschärfte: ,Falls du aber doch einmal heiraten solltest, dann heirate nie einen armen Mann.‘“

Einen solchen versucht sie in einem der Bill-Söhne zu ergattern, was naturgemäß angesichts der Trägheit des begehrten Mannes zum Scheitern verurteilt ist. Anlässlich der Hochzeit dieses Bill-Sprösslings landen die Ich-Erzählerin und ihre Tante wieder in Indien, um am Ende auf dem Weg zum Bahnhof einem Rikscha-Fahrer zum „Kream Korner“, einem eigenartigen Dachlokal, zu folgen.

Man mag, wie etwa Judith von Sternburg in der „Frankfurter Rundschau“ an diesem Roman das „flau“ auslaufende Ende des Romans kritisieren: Dennoch fasziniert Fröhlichs „Kream Korner“ ob seiner dichten Beschreibung– die häufigen Adjektive tun ein Übriges –, seiner Atmosphäre, seiner Komik wegen. Insofern ist er eben auch „dream corner.“

Titelbild

Anna Katharina Fröhlich: Kream Korner. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2010.
171 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783827009630

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch