Der coole James

Jeffery Deaver mit dem neuen James-Bond-Roman „Carte Blanche“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann man einen neuen James-Bond-Roman schreiben? Kann man die Figur von Ian Fleming so beleben, dass sie glaubhaft die Handlung eines Romans trägt? Jeffery Deaver hat diesen Versuch gewagt und man merkt schon den ersten Seiten an, dass dieses Projekt für ihn eine Herausforderung dargestellt hat. In Abstimmung mit den „James Bond-Verwaltern“ legt er hier einen spannenden Thriller vor, der sich in mancher Beziehung von anderen Bond-Romanen unterscheidet, die Figur aber dankbar aufnimmt und um die eine oder andere Facette bereichert: „Nein, er wollte die Wahrheit aus einem sehr viel einfacheren Grund wissen, der ihm passte wie ein Maßanzug aus der Savile Row: Die Person, die seine Eltern getötet hatte, lief womöglich irgendwo auf der Welt frei herum, genoss den Sonnenschein und gutes Essen oder war sogar immer noch im Mordgeschäft tätig. Falls das der Fall war, würde Bond dafür sorgen, dass die betreffende Person das Schicksal seiner Eltern erlitt, und er würde dabei effizient und im Einklang mit seiner offiziellen Tätigkeitsbeschreibung vorgehen: unter Einsatz aller erforderlichen Mittel.“

Deaver greift auf seine solide Handwerkskunst zurück und knüpft ein feines Netz an Beziehungen und Verbindungen um die vermeintliche Straftat und die Hauptfiguren. Dabei handelt es sich um einen Anschlag, der voraussichtlich mehrere tausend Personen töten könnte und über den die Geheimdienste nur wenige Informationen erhalten haben. So steht zwar die Uhrzeit, aber nicht der Ort fest, an dem der Anschlag stattfinden soll. James Bond wird eingesetzt, um den wenigen Spuren, die vorhanden sind, zu folgen. Diese führen ihn zu einem Unternehmer, der sich mit Abfall und Recycling beschäftigt. Allerdings bleiben bei diesen Erkundungen auch die Beziehungen zu weiblichen Wesen – wer hätte bei Bond etwas anderes vermutet – nicht auf der Strecke. Dabei gewinnt Deaver auch diesem Thema neben ein wenig Humor auch eine gewisse Tiefgründigkeit ab: „Zudem waren die Gesetze der Anziehungskraft weitaus riskanter als die Gesetze der Mechanik. Beziehungen waren unsauber, gefährlich und von Altlasten behindert, und während man einen Motor für Hunderttausenden von Stunden in Bewegung halten konnte, geriet die Liebe zwischen menschlichen Wesen oft ins Stocken und fraß sich fest, sobald sie einmal aus dem Takt kam.“

Wie aus Deavers Romanen bekannt, ist wesentlicher Bestandteil seiner Erzählungen eine genaue Beschreibung der Details einer Geschichte. So auch bei „Carte blanche“. Wie gut und genau Deaver recherchiert, erkennt man immer wieder an Kleinigkeiten: „Hydt schenkte großzügig ein, gab das Wasser hinzu und reichte ihm das Glas. Für sich selbst wählte er ein Glas südafrikanischen Constantia. Bond kannte den honigsüßen Wein, eine kürzlich wiederbelebte Version von Napoleons Lieblingsgetränk. Der abgesetzte Kaiser hatte ihn fässerweise zu sich nach St. Helena verschiffen lassen, wo er seine letzten Jahre im Exil verbringen musste. Sogar auf dem Totenbett hatte er noch davon getrunken.“

Den Antagonisten zu James Bond gibt der Unternehmer Hydt aus der Abfallbranche, der aber in seinen abartigen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen einen differenzierten und würdigen Gegner für den Agenten 007 abgibt: „‚Entropie ist die grundlegende Wahrheit der Natur‘, sagte Hydt und ließ seine langen gelben Fingernägel klicken. ‚Es ist die Neigung zu Zerfall und Unordnung – in der Physik, der Gesellschaft, der Kunst, in lebenden Wesen… in allem. Es ist der Pfad zur Anarchie.‘ Er lächelte. ‚Das klingt pessimistisch, aber das ist es nicht. Es ist die wunderbarste Sache der Welt. Die Wahrheit anzuerkennen, kann nie falsch sein. Und es ist die Wahrheit.‘“ Genau diese Kleinigkeiten in der Beschreibung machen die Qualität des Romans aus. Das diese Figur zum Ende des Romans in ihrer Motivation und ihrem Durchsetzungsvermögen etwas unglaubwürdig wird, liegt letztendlich nur am Auftauchen eines noch böseren Protagonisten, den Bond bis dahin nicht im Blick hatte, der aber die Geschwindigkeit des Buches im letzten Drittel noch einmal erheblich anzieht. So ist denn die Maßnahme der „Carte blanche“, also die Möglichkeit des Agenten, alle nötigen Maßnahmen inklusive Mord einzusetzen, letztendlich angebracht, um den Versuch zu starten, die Welt zu retten. „Wenn ein Agent wie 007 aber Carte blanche erhielt, dann sollte er ja gerade nach eigenem Ermessen handeln – was manchmal bedeutete, dass er eben nicht sofort nach der Pfeife seines Vorgesetzten tanzte. Beides auf einmal geht nicht, dachte M.“

Auch wenn der Gegenspieler von Bond nicht „Dr. No“ oder „Goldfinger“ heißt, spannend bleibt es bis auf die letzten Seiten. Und sollte man vor die Wahl gestellt werden, einen Roman über James Bond lesen zu müssen, gehört das Buch von Deaver sicherlich zur ersten Wahl. Ihm ist es gelungen, eine etwas verstaubte Romanfigur wieder zu einem lebendigen Protagonisten in einer spannenden Krimistory zu machen.

Titelbild

Jeffery Deaver: Carte Blanche. Ein Bond-Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Haufschild.
Blanvalet Verlag, München 2012.
540 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783764504267

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