Wer wem ein Licht aufsetzt

Franziska Bergmann, Franziska Schößler und Bettina Schreck haben eine Sammlung klassischer Texte der Gender Studies herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gender Studies haben sich seit den 1990er-Jahren auch an den hiesigen Universitäten nicht nur etabliert, sondern eine fast schon steil zu nennende Karriere an den Tag gelegt, die etwa durch einschlägige Lexika, Handbücher und Einführungen bezeugt wird. Nun haben Franziska Bergmann, Franziska Schößler und Bettina Schreck einen „Reader“ mit klassischen Texten der ‚inter- und transdisziplinären Disziplin’ herausgebracht, der zwar unter dem Titel „Gender Studies“ firmiert, dessen Texte mit einem Auszug aus Virginia Woolfs „Ein eigenes Zimmer“ jedoch weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreichen, während es noch bis tief in dessen zweite Hälfte dauern sollte, bis sich die Gender Studies aus den Women’s Studies entwickelten. Dennoch gibt es gute Gründe für den Blick zurück in klassische Texte, die noch der Vorgeschichte der eigentlichen Gender Studies zuzurechnen sind, und so auch für deren Aufnahme in den vorliegenden Band. Im Vorwort der Herausgeberinnen werden denn auch neben Texten der Gender Studies solche der feministischen Theorie angekündigt, deren Auswahl im Ganzen den „Kanonisierungstendenzen“, die sich hierzulande „durchgesetzt“ haben, folgt. Hinzu kommen „einige bislang nicht in Übersetzung vorliegende einschlägige Ansätze“. Zu den – wie sich versteht – auszugsweise aufgenommenen Werken zählen etwa Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“, Silvia Bovenschens „Die imaginierte Weiblichkeit“, Hélène Cixous’ „Die unendliche Zirkulation des Begehrens“, Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“, Donna Haraways „Ein Manifest für Cyborgs“ und Laura Mulveys „Visuelle Lust und narratives Kino“. Von männlicher Seite ist etwa Michel Foucaults „Der Wille zum Wissen“ vertreten sowie „Der gemachte Mann“ von Robert W. Connell, der späteren transgender-Frau Raewyn Connell. Alle AutorInnen werden im Anschluss an ihre Texte kurz vorgestellt. Zudem wird jeweils „weiterführende Literatur“ zur Lektüre empfohlen.

Mit ihrer Publikation möchten die Herausgeberinnen „Studierenden im Speziellen und Interessierten im Allgemeinen repräsentative Texte der Gender Studies näherbringen und zu einer vertiefenden Lektüre anregen“, um so nicht nur „das Basiswissen der Geschlechterforschung zu vermitteln“, sondern auch den „Wissenshorizont an deutschsprachigen Universitäten durch einschlägige Arbeiten aus dem US-amerikanischen Raum“ zu erweitern.

Die Texte sind in drei Gruppen unterteilt, denen jeweils von Schößler und/oder Bergmann verfasste Einführungen vorangestellt sind. Die erste dieser Gruppen steht unter dem Titel „Bürgerliche Geschlechterhierarchie und emanzipative Ansätze“ und konzentriert sich „auf das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts abzeichnende feministische Interesse an einem weiblichen Schreiben“. Den zweiten Schwerpunkt bilden „Gender und Queer Studies“. Beschlossen wird der Band mit Texten, die an den „Schnittstellen zwischen Gender und Postkolonial Studies, Film-, Literatur- und Naturwissenschaften sowie der Soziologie“ liegen.

Die Kategorie Geschlecht gilt den Hausgeberinnen nicht zu unrecht als „universal“ und „Fundament jeglichen Wissens“, wenngleich sie beides mit einigen anderen Kategorien gemein haben dürften. Anliegen der Gender Studies sei es, „den verborgenen Geschlechterdiskurs als Basis der gesellschaftlichen Ordnung sichtbar zu machen“, wobei sich aus der „Universalität der Geschlechterkategorie“ die „Interdisziplinarität“ der Gender Studies ergebe, der auch in ihrer Publikation „Rechnung getragen“ werde. Ein Versprechen, das die Zusammenstellung der Texte weithin einlöst. Dass man dennoch manchen Ansatz, manche Publikation vermissen mag, versteht sich bei derlei Vorhaben von selbst. Im Falle der vorliegenden Textsammlung wäre etwa die Aufnahme des wissenschaftstheoretischen Ansatzes von Sandra Harding oder Evelyn Fox Keller erfreulich gewesen oder Andrea Maihofers Konzept des „Geschlechts als Existenzweise“. Zwar klingt der Topos in der Formulierung „geschlechtliche Existenzweise“ in Bergmanns Einführung zur zweiten Textgruppe an, Maihofer und ihr Buch gleichen Titels bleiben jedoch außen vor. Harding und Fox Keller werden immerhin namentlich erwähnt. Mehr als derlei nie ganz zu vermeidende Lücken muss man jedoch die (weitgehende) Absenz naturwissenschaftlicher Ansätze monieren, die allein von Donna Haraways hybridem Cyborg-Manifest vertreten werden. Vielleicht erklärt sich aus deren mangelnder Rezeption, dass die Herausgeberinnen meinen, „Naturwissenschaften wie Biologie und Medizin“ erhöben noch immer einen „ungebrochenen Objektivitätsanspruch“. Dies trifft auf feministische Biologinnen wie die US-Amerikanerin Anne Fausto Sterling oder die Deutsche Sigrid Schmitz mitnichten zu. Doch wurde der Objektivitätsanspruch der Naturwissenschaften nicht erst von feministischen Gendertheoretikerinnen infrage gestellt, wie etwa bei Lorraine Daston und Peter Galison wissenschaftshistorischem Werk „Objektivität“ nachzulesen ist.

Auch nimmt sich das den Postcolonial Studies gezollte Lob von Bergmann und Schößler recht einseitig aus. Wenn sie erklären, „eine postkoloniale Perspektive“ habe „zahlreiche blinde Flecken in der Geschlechterforschung sichtbar gemacht“, liest sich das gerade so, als hätten nur die Gender Studies von den Postcolonial Studies ein Licht aufgesetzt bekommen, nicht aber umgekehrt. Überhaupt bleiben die weniger glanzvollen Seiten der auch schon mal kulturrelativistischen Postcolonial Studies bei Bergmann und Schössler unausgeleuchtet.

Doch ungeachtet solcher Mängel empfehlen sich das Buch zum Erwerb und insbesondere die Auszüge aus den klassischen Texten der Gender Studies zur Lektüre.

Titelbild

Franziska Schößler / Franziska Bergmann / Bettina Schreck (Hg.): Gender Studies.
Aus der Reihe Basis-Skripte. Reader Kulturwissenschaft 2.
Transcript Verlag, Bielefeld 2010.
315 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783837614329

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