Der zwölfte Mann

Über Wahied Wahdat-Haghs Buch zum messianischen Totalitarismus in der Islamischen Republik Iran

Von Jasmin Marjam Rezai DubielRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin Marjam Rezai Dubiel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die abendländische Diskussion über die Gefahren des politischen Regimes in der Islamischen Republik Iran zeugt von einer ambivalenten Haltung. Zum einen wird stets auf die Gefahr der irrationalen Administrative hingewiesen, sollte sie Uran anreichern. Zum anderen jedoch werden die Pläne des Iran, Israel von Landkarte zu tilgen, geleugnet. Hinzu kommt, dass die nationalen Probleme wie Menschenrechtsverletzungen weitgehend ignoriert werden. Indem sich die öffentliche Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Atomwaffen-Diskussion und den Ölexport richtet, wird dem Regime vor allem im Hinblick auf seine islamistische Ausrichtung eine gewisse Irrationalität vorgehalten. Die Auswirkungen der Verquickung von Religion und Staat und deren Auswirkungen auf die heterogene Bevölkerung treten jedoch dabei in den Hintergrund. Der Sozialwissenschaftler Wahied Wahdat-Hagh analysiert in seiner neuesten Studie den islamistischen Totalitarismus der Islamischen Republik nach 1979 nicht nur aus historischer Perspektive, sondern fragt auch nach den sozio-kulturellen und theologisch-philsophischen Ursprüngen dieser klerikalen Staatsideologie.

Zunächst zeichnet der Autor die staatstheoretische und theologische Entwicklung der Idee der Islamischen Republik im 18. und 19. Jahrhundert nach, wobei dem unter dem Namen Afghani bekannt gewordenen Geistlichen Jamal Al-Din Assadabadi die Vorreiterrolle zukommt. Der Autor legt im Verlauf der Analyse detailliert dar, wie nach etlichen Wirren innerhalb der politischen Ausrichtung des Iran – man denke an die kurze demokratischen Phase und der darauf folgenden Schah-Zeit – die Idee einer Islamischen Republik in der Islamischen Revolution kulminiert, an dessen Spitze Khomeini als Stellvertreter (Velayat) des zwölften, entrückten Imams rückt. Zu den für jedes totalitäre System spezifischen Charakteristika wie dem Führerprinzip und der staatlichen Kontrolle geselle sich nun eine radikale, schiitische Auslegung des Koran. Islamismus und Totalitarismus verbinden sich laut Wahdat-Hagh insofern in der Form der Islamischen Republik, als auf der Idee eines kommenden Friedensreiches die gesamte rechtliche Legitimation des schiitischen Klerus basiert. Hierbei wird deutlich, dass das Diesseits – ähnlich wie in der jüdisch-christlichen Eschatologie – lediglich als ein Interim bis zur Rückkehr des jeweiligen Messias gedacht ist.

In dem Kapitel „Politischer Messianismus“ geht der Politologe insbesondere darauf ein, auf welche Weise die apokalyptische Vision für die Tagespolitik fruchtbar gemacht wird. Die Parallelen zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in Europa drängen sich hier geradezu auf. Erst wenn der Mahdi, der verborgene zwölfte Iman zurückgekehrt ist, kann das Reich der Gerechten anbrechen und der Kampf gegen die Ungläubigen beendet werden. Indem nun der sogenannte Revolutionsführer als Stellvertreter die politische Macht bis zum Ende der Zeit innehat, ist er nur Gott gegenüber verpflichtet.

Im weiteren Verlauf zeigt Wahdat-Hagh, wie sich die willkürliche Herrschaftsideologie des islamischen Totalitarismus auf alle Bereiche des privaten Lebens ausbreitet. Vor diesem Hintergrund beschreibt der Autor nicht nur die fetischisierte Rolle der Frau, sondern auch den von Khomeini zum Staatsprogramm erhobenen Antisemitismus und Antizionismus sowie die Verfolgung von Andersdenkenden wie den Christen und den Bahai. Folter, Todesstrafe und Diskriminierungen gehören nach Wahdat-Hagh zum Mechanismus der Unterdrückung und werden durch den Islamismus legitimiert.

Der historischen und philosophischen Analyse sowohl des Ursprungs der Islamischen Republik als auch deren Fortbestehen sind einige sonst schwer zugängliche Aussprüche von führenden Geistlichen zur Seite gestellt. Übersetzte Interviews, die mit Khatami oder Ahmadinejad öffentlich vor einigen Jahren geführt wurden, eröffnen dem Leser einen anderen Blick auf die vom schiitischen Klerus vertretene Idee eines islamischen Weltreichs. Indem die Geistlichen die Urananreicherung als Teil des islamischen Heilsplans deuten, den Holocaust zu legitimieren oder zu relativieren versuchen und den israelfeindlichen Al-Quds-Tag preisen, zeichnet Wahdat-Hagh ein erschreckendes Bild der klerikalen Herrschaftsschicht im Iran.

Auf die besondere Rolle des derzeitigen Präsidenten Ahmadinejad innerhalb des politischen Gefüges des Islamismus kommt der iranische Wissenschaftler gegen Ende zu sprechen. Ausgehend von der Idee der Velayate Faqih (der Herrschaft des Klerus), die mit Ayatollah Khomeini politisch umgesetzt wurde, unterscheidet der Autor zwischen der revolutionären Ära Khomeinis und derjenigen unter Ahmadinejad. Letzterer habe eine zweite islamische Revolution eingeleitet, in der auch Kleriker, meist reform-islamistischer Provenienz, entmachtet werden und die Revolutionsgarden immer mehr an wirtschaftlicher Macht hinzugewinnen. Die Studie schließt mit einem moralischen Plädoyer gegen die atomare Aufrüstung und für eine säkulare Demokratie im Iran.

Wie im Vorwort vom Autor angegeben, ist der Vater des Sozialwissenschaftlers als Anhänger der unterdrückten Bahai-Religion exekutiert worden. Diese persönliche Erfahrung ist wohl nur ein Grund von vielen für die intensive Beschäftigung mit dem für den Westen heiklen Thema der Menschenrechte im Iran. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich Wahdat-Hagh wissenschaftlicher Neutralität verpflichtet und von Emotionen weitgehend distanziert.

Wenngleich die willkürliche Handhabung der Absatzformatierungen und einige Druckfehler stören, bietet die Studie einen grundlegenden Einstieg in die Staatstheorie der Islamischen Republik. Besonders hervorzuheben ist die detaillierte Analyse des Messianismus des Islam. Das Buch liefert auf diese Art einen interessanten Einblick in die politische Geschichte der Islamischen Republik. Die grüne Protestbewegung aus dem Jahr 2009 wird nur, wie einige Kritiker bemängeln, marginal behandelt. Dies hat wohl vor allem damit zu tun, dass der Autor diesen Widerstand nicht als radikale Gegenbewegung zur Islamischen Republik deutet.

Titelbild

Wahied Wahdat-Hagh: Der islamistische Totalitarismus. Über Antisemitismus, Anti-Bahaismus, Christenverfolgung und geschlechtsspezifische Apartheid in der "Islamischen Republik Iran".
Herausgegeben von der European Foundation for Democrary.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
334 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783631635698

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