Krankmachende Kinder?

„Indigo“ ist Clemens Setz’ Horrorfantasie über die Recherche nach einer rätselhaften Krankheit

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Klappentext des Romans „Indigo“ von Clemens Setz steht, dass bei dem Autor seit 2008 „Spätfolgen der Indigo-Belastung“ aufgetreten seien. Eine der beiden zentralen Romanfiguren heißt Clemens Setz und hat, wie der Autor, als Mathematik-Lehrer gearbeitet. Was ist das für eine seltsame Krankheit, und wie autobiografisch ist der Roman?

Beide Fragen führen in die Irre. Die Indigo-Krankheit gibt es nicht, jedenfalls nicht als schulmedizinische Diagnose. Sie ist ein Produkt der Esoterik. Sogenannte Indigo-Kinder sollen eine unsichtbare farbige Aura um sich tragen, erhaben wirken, hochbegabt sein, aber auch hypersensibel. Sie sollen bei Menschen, die ihnen nahe kommen, schmerzhafte körperliche Abwehrreaktionen hervorrufen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Hautausschläge. Daher stellt man sie in speziellen Instituten unter Quarantäne.

Ein solcher Fall, allerdings im ,ausgebrannten‘ Status des Erwachsenseins, ist Robert Tätzel, ein kapriziös-kranker Maler mit überfürsorglicher Freundin, der einen wesentlichen Erzählstrang des Romans bestimmt. Der Haupt-Plot dreht sich um Clemens Setz, der als junger Mathematiklehrer an einem steirischen Internat mit betroffenen Kindern arbeitet. Er stößt auf so merkwürdige Dinge wie die „Delokation“ und „Relokation“ unbehandelbarer Patienten und stellt, nachdem er seinen Dienst quittiert hat, auf eigene Faust Nachforschungen an. Der Leser, der mit der sprachmächtigen und fantasievollen Erzählweise von Setz’ letztem Roman „Frequenzen“ vertraut ist, wird natürlich die Romanfigur von dem 1982 in Graz geborenen Autor unterscheiden können.

Der Mummenschanz, den der Erzähler mit scheinbaren Fakten, wahren und halbwahren Dokumenten, multimedialen Querverweisen auf Film, Musik und Literatur treibt, kann für den, der sich darauf einlässt, ein Heidenspaß sein, spielt aber auch mit der Geduld des Lesers, der die Recherchen der Figur „Clemens Setz“ nach ehemaligen Schülern des „Indigo“-Internats stets ins Leere laufen sieht, und den Grenzen des Erträglichen. Denn Gewalt ist der unheimliche Begleiter der stellenweise doch sehr esoterischen Handlung. Befremdet und fasziniert starrt der Leser am Ende mit dem laut Boulevardpresse zum Mörder gewordenen Erzähler auf die „Tageslichtspielarten der Menschen und Tiere“ im Banne des Unbekannten.

„Indigo“, ebenso auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2012 wie für den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis nominiert, ist ein formal virtuoses und inhaltlich uferloses Buch, eine vielfach verrätselte Metafiktion, die düstere hypermoderne Version des „sanften Schreckens“, der auch die späte Prosa Adalbert Stifters auszeichnet.

Titelbild

Clemens J. Setz: Indigo. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
475 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423240

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