Mit der Feder gegen Staatsterror

Samar Yazbeks Tagebuch über die syrische Revolution

Von Hafid ZghouliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hafid Zghouli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ironie von Samar Yazbeks „Schrei nach Freiheit“ gründet sich auf folgende Tatsache: Die Baath-Partei, die sich in Syrien 1963 an die Macht geputscht hat, beruft sich auf eine laizistische Ideologie. Zum Ziel hat sie sich einen modernen, fortschrittlichen Staat gesetzt – einen Staat, der die Gleichberechtigung aller Bürger sowie Bürger- und Menschenrechte gewährleisten sollte. Die Staatsgewalt gehe allein vom Volk aus, beteuert die syrische Verfassung. Die Legitimation der Staatsgewalt ergebe sich daraus, wieweit sie ihren Ursprung im freien Willen der Volksmassen habe; allein die Freiheit der Volksmassen in der Wahl der Staatsform mache den Staat unantastbar.

Nun stellt sich die rhetorische Frage: Ist Yazbeks Buch mit dem sprechenden Titel „Schrei nach Freiheit“ in einem sich angeblich auf Freiheit gründenden Staat überhaupt noch nötig?

Wie alle putschistischen Militärdiktaturen in der arabischen Welt begründet das syrische Regime seine Legitimation nicht mit der freien Wahl der Staatsform durch die Bevölkerung – also darauf, dass Demokratie (nicht nur) die Herrschaft der Mehrheit und der Volksmassen bedeutet –, sondern allein auf einen pseudodemokratischen Diskurs, der sich bei jungen Menschen in den arabischen Ländern hohl und hölzern anhört. Die Rede von Demokratie und Volkssouveränität im Sinne des syrischen Regimes erscheint umso grotesker vor dem Hintergrund einer seit über vierzig Jahren andauernden Militärdiktatur, die der Alassad-Clan in eine ,vererbbare‘ Republik verwandelt hat.

Das syrische Baath-Regime schreckt vor nichts zurück, um an der Macht zu bleiben. Dies reicht von der manipulierten Verschärfung religiöser und ethnischer Spannungen zwischen den unterschiedlichen Gemeinschaften im Land, um sich als Stabilitätsgarant aufzuspielen, bis hin zur Förderung korrupter und vetterwirtschaftlicher Apparate, die den Reichtum in den Händen eines engen Kreises loyaler Clans konzentriert. Die Slogans der Demonstranten zu Beginn der syrischen Revolution forderten nichts anderes als die Aufhebung dieses Missstandes. Jedoch das grausame Vorgehen des Regimes wollte jede Stimme zum schweigen bringen, die die Familiendiktatur in Syrien in Frage stellt.

Neben dem Interessengeflecht verschiedener Gruppierungen, die in Damaskus die Fäden ziehen, hat Yazbeks Tagebuch die Schicksale zahlreicher Menschen während der ersten vier Monate des syrischen Volksaufstandes zum Inhalt. Ihrem Drang nach Freiheit und Würde sind viele zum Opfer gefallen; andere retteten sich in den Untergrund, um Folter und Ermordung zu entgehen. Darunter auch die Autorin selbst, bevor sie sich auf Anweisung von Freunden entschied, das Land zu verlassen und im französischen Exil zu leben. Andernfalls hätte sie aufgrund ihrer aktiven Teilnahme an der Protestbewegung womöglich ihr Leben riskiert.

Als S. Yazbek ihr Tagebuch veröffentlichte, konnten viele noch kaum fassen, was sich in Syrien ereignet. Die Elite des Landes war dermaßen verblüfft und konnte mit den Demonstranten auf den Straßen kaum Schritt halten. Keiner hat mit solch massiven Demonstrationen in einem Land gerechnet, das vom repressivsten Regime in der Region unterjocht war. Die Brutalität des syrischen Regimes und die Bestialität seiner Sicherheitsapparate sind unfassbar. Viele Augenzeugenberichte, die S. Yazbek ihrem Tagebuch eingliedert, decken das Ausmaß der Menschenverachtung auf, die das Regime in Syrien den eigenen Bürgern entgegenbringt. Dies reicht bis zur kaltblütigen Liquidierung von verletzten Demonstranten in Krankenhäusern.

In ihrem Tagebuch beschreibt Yazbek, was sich bereits seit über einem Jahr in Syrien ereignet. Es handelt sich um Ereignisse, welche die Propaganda des Regimes fortwährend zu leugnen versucht. Vielen Menschen, die in aller Stille und Anonymität verschwinden sollten, verleiht Yazbeks Tagebuch eine Stimme, um ihrem Leid und ihren Hoffnungen in der Weltöffentlichkeit Gehör zu verschaffen.

Angesichts des Verbots von unabhängigen Medien bildet(e) dieses Tagebuch eine äußerst bedeutende Quelle für Informationen über das Geschehen in Syrien nicht nur für Medien, sondern auch für Menschenrechtsorganisationen. Yazbek selbst schreibt am Ende ihres Tagebuches: „Ich werde Interviews geben und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen treffen. Ich werde der Welt mitteilen, was hier geschieht. Sie müssen wissen, dass die Demonstranten unbewaffnete, friedliche Menschen sind. Ihre Forderungen sind: Freiheit, Würde und Gerechtigkeit.“ Dies war zumindest so, bevor die syrische Revolution eine bürgerkriegsähnliche Gestalt annahm.

Yazbeks Berichte setzen den Leser hinter ein Objektiv und versetzen ihn in die Damaszener Schauplätze der Revolution, als wäre er selbst der Beobachter. Viele Bilder sieht man dabei, auch schreckliche Bilder von gefolterten jungen Menschen. Aber auch Bilder von einfachen Leuten, die Hoffnung haben, einmal in Freiheit und Würde leben zu dürfen. Dafür wären sie bereit, alles aufzuopfern.

S. Yazbeks „Schrei nach Freiheit“ dokumentiert nicht nur die Ereignisse eines Volksaufstandes gegen repressive Machthaber. Auch ihr eigenes Los als eine von vielen syrischen AutorInnen und Intellektuellen, die sich aufgefordert sahen, sich angesichts des Ausmaßes der Repression und Gewalt seitens des Regimes für die Sache der Syrer einzusetzen und sich auf die Seite der Revolution zu schlagen.

Ihre Zugehörigkeit zur alawitischen Gemeinschaft – einer konfessionellen Minderheit, der auch der syrische Präsident Baschar Alassad angehört – macht sie zu einer einfachen Zielscheibe. In den Augen ihrer Gemeinschaft wird sie zur Verräterin. Die Berichterstattung verbindet Yazbek in ihrem „Schrei nach Freiheit“ meist mit tiefgreifenden Reflexionen über ihre Lage in einer von Chaos bedrohten Gesellschaft.

Yazbeks Tagebuch kann daher nicht auf seine informative Bedeutung reduziert werden. Denn eine poetische Stimme durchzieht es vom Anfang bis zum Ende. Diese Stimme ermöglicht dem Leser tiefe Einblicke in das Leben eines Individuums, das ihre Unabhängigkeit nicht verlieren will.

Titelbild

Samar Yazbek: Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution.
Mit einem Vorwort von Rafik Schami.
Übersetzt aus dem Arabischen von Larissa Bender.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2012.
224 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783312005314

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