Liebe als Medium für die Entwicklung weiblicher Identitäten

Sophie Tieck-Bernhardis Roman „Julie Saint Albain“ (1801) in einer Neuausgabe

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Schwester des Dichters Ludwig und des Bildhauers Friedrich Tieck publizierte Sophie Tieck-Bernhardi (1775-1833) im Alter von 26 Jahren ihren ersten Roman „Julie St. Albain“. Das Werk, ein „polyperspektivischer Brief- und Entwicklungsroman“, erschien 1801 anonym. Bereits rund ein Jahrzehnt zuvor begab sich die Autodidaktin, die lange unter ihrer mangelnden Bildung litt, auf schriftstellerische Pfade. Mit 17 Jahren verfasste sie erste Gedichte, die jedoch nicht veröffentlicht wurden. Ein paar Jahre vor ihrem Romandebüt erschienen – ebenfalls anonym – satirische Erzählungen und bald nach der Hochzeit im Jahre 1799 mit August Ferdinand Bernhardi, dem Freund des Bruders Ludwig, zwei Lustspiele.

Kindheit und Jugend verbrachte Sophie Tieck in Berlin. Ihre Ehe mit Bernhardi dauerte nur vier Jahre. Ihr drittes Kind, Felix Theodor, entstammte einem Liebesverhältnis mit August Wilhelm Schlegel, das „erst 1804 durch Sophies Abreise mit Knorring und Schlegels Abreise mit M. de Stael abbrach, aber zu diesem Zeitpunkt nicht als beendet betrachtet werden kann.“ Sie zog – vorbereitet auch durch A. W. Schlegel – mit Knorring nach Rom, trat dort zum katholischen Glauben über, wohl in der Hoffnung auf den Schutz des Papstes bei den Nachstellungen und dem Kampf Bernhardis um die gemeinsamen Kinder. 1810 heiratete sie von Knorring und zog 1812 zu ihm auf das Gut ins Baltikum. 1833 starb Sophie Tieck-Bernhardi-von Knorring in Reval.

Von ihren verschiedenen Werken erfolgreich waren vor allem die „Wunderbilder und Träume in elf Märchen“, die nicht nur zu ihren Lebzeiten wiederaufgelegt, sondern auch vor ein paar Jahren von Hannelore Scholz neu herausgegeben wurden.

Sophie Tieck-Bernhardi-von Knorring steht, so die damalige Herausgeberin, die nun auch die Neuausgabe des Romans „Julie Saint Albain“ verantwortet, „trotz der Wiederentdeckung – besonders der Schriftstellerinnen der Romantik – letztlich immer noch und unbegreiflicherweise im Schatten berühmt gewordener Frauen ihrer Generation wie Dorothea Schlözer, Dorothea Schlegel, Caroline Schlegel-Schelling, Sophie Merau, Rahel Varnhagen, Bettina von Arnim, Caroline Günderode.“

Der nun ersten Neuedition von „Julie Saint Albain“ seit 1801 geht ein instruktives Vorwort der Herausgeberin voraus. Tieck-Bernhardi, so Hannelore Scholz-Lübbering, „kritisiert in ihrem Roman die traditionellen bürgerlichen Liebes- und Ehekonzepte und das romantische Liebesideal.“ Erzählt wird – überwiegend in Briefen und „mit Einschüben auktorialen Erzählens“ – die Geschichte der Hauptfigur Julie Saint Albain, einer jungen, reichen und schönen Adligen, die durch ihren Mann ins mondäne Paris eingeführt wird. Ihrer mütterlichen Ratgeberin, der Baronesse Dormain, als deren uneheliche Tochter sie sich am Ende entpuppt, schreibt sie anfangs aus Paris: „Ich versichere Sie, daß ich ihn [ihren Mann Saint Albain, A.K.] erst recht liebe, seitdem wir in Paris sind. Denn hier kann ich ihn mit so vielen anderen Männern vergleichen, und bis jetzt habe ich noch keinen gefunden, der ihm nur auf eine entfernte Art ähnlich wäre.“

Doch alsbald wendet sich das Blatt. Die Gräfin Villars greift ein und es entstehen allerlei gefährliche Liebschaften. Am Ende allerdings finden sich Julie und ihr Gatte theatralisch auf einer Bühne in Deutschland wieder: „und als nun endlich das Stük sich zum Schluß neigte und beide Eheleute einander gegenüber standen, da erkannte der Marquis mit Gewißheit seine Gemahlin, und als er die lezten Worte sagen sollte: Eulalia, ich verzeihe dir! da vergaß er seine Rolle, verwechselte, hingerissen von Rührung, die Nahmen und rief: Julie, ich vergebe Dir! und seine Gemahlin sank ohnmächtig in seine Arme.“

Doch damit nicht genug: „Und als nun der folgende Tag die ganze glükliche Familie vereinigte, und jeder gleich überrascht war, den andern zu finden, und jeder den andern fragte und in diesem lieblichen Taumel antwortete, da schloß die Baronin Julien und ihren Gemahl in ihre Arme und rief: O meine Kinder, ihr seyd heute so glüklich, verlaßt euch nie wieder leichtsinnig, ertrage und liebe einer den anderen! Beide versprachen es und faßten den festen Vorsatz, ihr Versprechen treu zu halten.“

Scholz-Lübbering zieht das Fazit, dem man so nicht folgen muss, um dennoch den Roman als Wiederentdeckung würdigen zu können: „Die problematische Rückbesinnung und Wiedereingliederung in die Ehe lese ich deshalb nicht als Scheitern der Figur Julie, sondern als erneuten Aufbruch in das Ungewisse. […] Es gibt nur Verheißungen von Glück. Ein Schluss ohne Happy end – das geheime Lebender Sehnsucht bleibt bestehen.“

„Sophie Tieck-Bernhardi-von Knorrings Leben und Schreiben war einer ständigen Zerreißprobe von Rebellion und Resignation ausgesetzt“, schreibt die Herausgeberin einleitend. Auch wenn Scholz-Lübbering mit ihrer Feststellung, dass die Themenwahl von Sophie Tieck-Bernhardi-von Knorring „nicht vordergründig als autobiographisch gelten“ kann, richtig ist, macht jedoch gerade diese Spannung den Reiz – trotz aller literarischen Schwächen – des ersten Brief- und Bildungsromans dieser Autorin aus. Auf jeden Fall ist die „edition klassikerinnen“ im Ulrike Helmer Verlag um eine Entdeckung reicher.

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Hannelore Scholz-Lübbering: Julie Saint Albain.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2011.
213 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783897413214

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