Machtgier macht Menschen austauschbar

Olga Flors Roman „Die Königin ist tot“ ist ein Macbeth-Drama im 21. Jahrhundert

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2008 war ihr dritter Roman „Kollateralschaden“ auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis, 2011/2012 erhielt sie das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien und im September 2012 den „Outstanding Artist Award“ des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur: Die 1968 in Graz geborene, österreichische Autorin, Olga Flor, seit 2004 freie Schriftstellerin, hat eine rasante Karriere eingeschlagen. Auszüge von „Die Königin ist tot“ waren 2011 bereits für den Alfred-Döblin-Preis nominiert, nun lässt sich der vierte Roman der Autorin in seiner Gesamtheit betrachten.

Die Protagonistin des Romans hat als junge ehrgeizige Frau Europa Richtung Amerika verlassen und sich darauf konzentriert, dort Macht und gesellschaftliche Akzeptanz auf höchster Stufe zu erlangen. Ihre „zielorientierte Unterwürfigkeit“, die sie während einer Fahrstuhlfahrt mit dem viel älteren Medienmogul Duncan geschickt einsetzt, führt zur angestrebten Ehe. Sie bekommt zwei Kinder, ohne ihnen je Mutter zu sein. Arbeiten wollte sie nie, nur Macht besitzen und delegieren. So genießt sie ein Dasein im von Sicherheitsleuten des Mannes bewachten Goldenen Käfig seiner Villa am Meer oder im Apartment im 68. Stock des imperialen Turmes vor den Toren der Stadt. Als Duncan eine junge Journalistin kennen lernt, die ebenfalls an die Seite des einflussreichen global Players strebt, diese Position aber auch beruflich nutzen will, sieht Lilly, wie sich die Protagonistin nennt, ihre Felle davon schwimmen. Die neue Liaison ist durch die Medien allgegenwärtig und als ihr Mann seine Erstfrau mitsamt der Luxuswohnung an seinen aufstrebenden, skrupellosen Stellvertreter weiterreicht, sieht sie nur einen Weg, um selbst an der Macht zu bleiben.

Duncan? Ja, beim genauen Hinsehen erkennt der Leser, dass die Autorin Shakespeares Drama „Macbeth“ in die nahe Zukunft, die uns möglicherweise schon eingeholt hat, versetzt. Es geht um Machtstreben: König Duncan als Medienmogul, Lady Macbeth als seine Frau Lilly und Macbeths Rolle nimmt der Stellvertreter ein. Der Turm am Stadtrand ist ihre Burg Dunsinane und selbst den Wald von Birnam sieht Lilly in Form der sich ausbreitenden Neubauten der nahen Stadt auf sich zukommen. In den Straßen herrscht Chaos, die Ordnung ist zerstört und Flors Protagonistin sehnt sich nach einem Krieger. Aber auch der Romantitel findet sich in Shakespeares Drama wieder: „The queen, my lord, is dead“.

Die Handlung des Werkes steht ebenso wenig im Vordergrund wie die Anspielung auf Macbeth. Die Bewegung findet im Kopf und im Gewissen der Protagonistin statt. Der innere Monolog löst phasenweise die Syntax auf, wird manchmal zum stream of consciousness. In Klammern werden Gedanken kommentiert, Informationen eingestreut. In einem Interview im Juli 2012 hat Flor erklärt, sie empfände zu leicht zu bewältigende Zugänge als nicht spannend. Damit mutet sie ihren Lesern einiges zu, schafft aber zugleich ihren eigenen Stil, ihr Markenzeichen, das vielerorts bereits für literarische Qualität steht. Wer blumige Erzählungen oder Ausschmückungen erwartet, wer vom Luxusleben der Superreichen oder den Eskapaden und Shoppingtouren der Gattin, von teurer Einrichtung, Autos, Jachten oder Jetset lesen will, wird enttäuscht. Flor verblüfft mit ihren Bildern, ihrer direkten Sprache, wenn Duncan beim Dinner „das sitzungsordnungsmäßig eingeparkte blonde Mädchen in Beschlag nehmen hatte können“ oder die Protagonistin feststellt: „Ich weiß, dass ich ein (einigermaßen teuer eingekauftes) Möbelstück bin.“ Lilly sieht sich „sexuell selbstbestimmt“, ihre „Auswahlkriterien folgen allerdings eher strategischen Prinzipien.“ Womit ihr eine „ehrgeizlose Sozialromantik“ fern liegt. Auch bei den detaillierten Schilderungen des Sexuallebens wird kein Blatt vor den Mund genommen, aber darauf bereitet schon der erste Satz vor: „Ich lasse mich immer gerne ficken von einem Krieger.“

Der größte Teil des Romans ist der inneren Auseinandersetzung mit dem Schicksal gewidmet. Sie ist für den Stellvertreter die „abgelegte Frau des Chefs samt Wissen, Wohnung und Aufstiegsoption“, wechselt aber selbst „mit Vorbedacht und Berechnung die Seiten“, schließlich hat sie „klare Absichten und ebensolche Aussichten“. Anzugskrieger und Funktionsträger, erkennt Lilly, sind austauschbar wie Ehefrauen.

Es erinnert an Texte von Elfriede Jelinek, wenn die Sprache den Inhalt über weite Strecken dominiert, die Figuren ihre Individualität zugunsten ihrer Funktion verlieren. Personenbeschreibungen fallen entsprechend radikal und nüchtern aus: Sie nennt ihren Mann beim Nachnamen, verheimlicht den eigenen gänzlich, andere Figuren tragen nur Vornamen oder Funktionsbezeichnungen. Die Literatur aus Österreich, so scheint es, dient häufiger der Provokation und stellt kunstvolle (oder Kunst-)Sprache vor die Lesbarkeit ihrer Texte. Olga Flors Roman bedarf einer intellektuellen Leseweise, der Lust am Spiel mit Sprache und bisweilen Geduld und Wohlwollen.

Wem dies nicht liegt, der könnte das dem Werk vorangestellte Shakespeare-Zitat, in dem Macbeth eigentlich über das Leben seiner toten Frau resümiert, genüsslich falsch auf den Roman beziehen:

„It is a tale

Told by an idiot, full of sound and fury.

Signifying nothing.“

Titelbild

Olga Flor: Die Königin ist tot. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012.
222 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055780

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch