Einsam unterwegs

Über Michael Krupps Erzählband „Terranova“

Von Jasmin M. HlatkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin M. Hlatky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Baum packt seine Koffer und bricht auf nach Terranova. Es spielt gar keine Rolle, wo Terranova liegt, wichtig ist nur die Vorbereitung, das private, ritualisierte Abschiednehmen vom Alltag. Mit der Figur dieses aufbrechenden Reisenden eröffnet Michael Krupp seinen zweiten Erzählband, und mit demselben Herrn Baum in einer Nebenrolle schließt er ihn auch – die Reise ist getan, der Weg vollendet, die Erzählelemente abgerundet.

Es sind Momentaufnahmen des Alltäglichen, die uns der Autor in dieser Sammlung präsentiert; er schreibt Kurzgeschichten im besten Sinne des Genres, Ausschnitte, die dem Leser einen kurzen Einblick ermöglichen und ihn mit der Ahnung der größeren Zusammenhänge zurücklassen.

Besonders die kleinen Abgründe, die winzigen, aber schmerzenden Erniedrigungen innerhalb der Familie haben es dem Autor angetan. In der Kurzgeschichte „Bewegung 9. Dezember“ etwa schildert er uns ein Panoptikum der Familiensoziologie, eine eigene Dynamik, garniert mit einem Hauch Jugendsentiment und einer guten Portion Satire. Der letzte Abgrund klafft in „Hanemanns Karten“ auf: In dieser Krimigeschichte überschreitet ein Mensch die ultimative Schwelle, er wird zum Mörder.

In „Toskana des Nordens“ vollzieht sich dann zum ersten Mal in diesem Band der Alptraum der Einsamkeit; und die Einsamkeit bleibt ein wichtiges Thema dieser Sammlung. Auch die Thematisierung der Heimat (im Sinne des Herkunftsortes) kehrt mehrmals wieder und sie umfasst alle Dämonen der Kindheit, den Muff der Provinz, aber auch ihre Vertrautheit. Alle Protagonisten sind auf ihre eigene Weise einsam – sie bleiben alleine, auch in Gesellschaft und auch wenn sie ganz nah an anderen dran sind, wie etwa Körbel in „Die Haltestelle“. Das schwere, individuelle Drama aber findet nicht im Öffentlichen, sondern in der häuslichen Geborgenheit statt. Wenn sich Menschen in ihrer Eigenschaft als Einsame zusammenschließen, sind sie immer noch alleine oder steigern gegenseitig ihr Unglück.

Auch die Perspektivierung macht die Geschichten spannend. Zum Beispiel in „Besuchszeit“: Hier folgen wir der Figurensicht einer psychisch Kranken. In dieser Geschichte wie auch in der darauf folgenden ist das Scheitern der Aktanten so eindringlich dargestellt, dass es schon fast greifbar wirkt.

Es ist kein glatter Erzählband, obwohl sich der Kreis mit der letzten Geschichte wieder schließt. Die Kurzgeschichten an sich bleiben unbequem, sperrig und sind teilweise (wie „Hobbykeller“) bruchstückhaft bis hin zum Kollagenhaften. Gerade aber in dieser massiven atmosphärischen Wirkung auf den Leser liegt die Stärke der Sammlung und ihr besonderer Reiz.

Titelbild

Michael Krupp: Terranova. Erzählungen.
Edition Thaleia, St. Ingbert 2011.
151 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783924944971

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