Theater in einer Zeit der Restauration

Peter Schütze ediert die Dissertation von Peter Hacks

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn die Dissertation eines später berühmten Autors nach fast sechzig Jahren zum ersten Mal im Druck erscheint, kann man sie auf unterschiedliche Weise befragen: Handelte es sich seinerzeit um eine gute Arbeit? Liest man sie heute noch mit Gewinn? Deutet sie auf das spätere literarische Werk voraus?

Die wissenschaftlichen Erwartungen dürften dabei eher gering sein, denn die Ansprüche an Qualifikationsarbeiten sind in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Was um 1950 für eine Habilitation ausreichte, wäre heute allenfalls eine Dissertation – und viele Promotionsschriften der damaligen Zeit dürften den Kandidaten gegenwärtig einen eher mäßigen Master-Abschluss eintragen. Peter Hacks’ Arbeit zum „Theater des Biedermeier“ stellt sich, daran gemessen, als durchaus respektabel dar. Immerhin sind etwa neunzig teils schwer zugängliche Stücke gelesen, ausgewertet und nicht nur nach Inhalt und Genre gruppiert, sondern auch in ihrer sozialgeschichtlichen Funktion beschrieben. Da die Literatur- und Theatergeschichtler sich meist auf jene besseren Dramen konzentriert haben, die Hacks bewusst und explizit ausklammert, besitzt die Arbeit auch jetzt noch einen hohen Informationswert.

Seinerzeit aber erreichte Hacks nur die keineswegs begeisternde Wertung „cum laude“; die Münchner Universität hält leider, wie der Herausgeber Peter Schütze in seinem instruktiven Vorwort vermerkt, die Gutachten unter Verschluss, so dass über die Gründe nur zu mutmaßen ist. Naheliegend ist, dass der Ton der Arbeit nicht gefiel. Hacks erfüllt die Voraussetzungen des Genres Dissertation zwar insofern, als er die Themenstellung erklärt, Begriffe bestimmt, Resultate hervorhebt und abschließende Thesen liefert. Doch findet sich in den Inhaltsangaben und den Skizzen der Genres schon vielfach jene schneidende Abwertung, die Hacks in seinen Essays und Briefen später virtuos zu handhaben wusste. So heißt es zum Verfall des romantischen Schicksalsdramas: „Wie die Knochen eines längst verschiedenen Fossils klappert das alte Schema beziehungslos im Winde, und der Begriff des romantischen Schicksals hat sich endgültig aufgelöst. Man beeilt sich, weiter zu kommen.“

Es mag sein, dass eben dies nicht gefiel. Wenn es auch nicht die wirklich guten Autoren waren, die dieser Spott traf, so zeigte sich doch hier eine Respektlosigkeit, die professorale Respektspersonen nicht immer zu schätzen wissen. Dazu kommt, dass die methodische Anlage der Arbeit keineswegs abgesichert ist. Indem Hacks über das „Theaterstück“ schreibt und nicht über das Drama, grenzt er sich nicht nur von zur Entstehungszeit selten oder nie gespielten Autoren wie Grillparzer, Grabbe und Büchner ab, die in seinen Untersuchungszeitraum 1815 bis 1840 fallen. Auch durchaus erfolgreiche Schriftsteller wie Ferdinand Raimund und Johann Nestroy fehlen, was sicher der notwendigen Arbeitsökonomie geschuldet ist, aber möglicherweise das Ergebnis der Arbeit verschiebt.

Auf den ersten Blick überrascht es, wenn ein Autor wie Peter Hacks, der sich später mit Goethe verglich und per Gedicht erklärte: „Ich bin ein Dichter und kein Zeitgenosse“, wenn dieser Dichter sich intensiv den Niederungen widmet, in denen er die meisten der untersuchten Theaterstücke zu Recht ansiedelt. Freilich geht es ihm nicht um einen erweiterten, demokratisierten Literaturbegriff, wie er zwanzig Jahre nach seiner Doktorarbeit erprobt wurde. Statt um Auflösung von Größe ins Allgemeine geht es ihm um Abgrenzung – und wohl auch darum sind mögliche Übergänge von hohem Drama und publizistischem, am Publikumsgeschmack orientierten Theaterstück nicht erwogen. Dabei gilt bei Hacks das Theater des Biedermeier nicht als Verfall, sondern als Normalform des Vergnügungsbetriebs. Damit ist es vom ihm vorangehenden Theater der klassischen Epoche geschieden, das er, nicht ohne Sympathie, als „Theater einer Minderheit gegen die Mehrheit, gegen die Menge des Publikums“ beschreibt.

Sicher ist manche zeitgenössische Wertung in die Dissertation eingeflossen. Das Biedermeier erscheint bei Hacks als Verteidigung der restaurierten Ordnung nach Jahrzehnten revolutionärer und napoleonischer Kriege – ganz ähnlich versuchte man in Deutschland nach den Irritationen des dreißigjährigen Weltbürgerkriegs 1914-1945 sittliche und (im Westen) religiöse Normen wieder zu etablieren. Hacks’ Sicht auf die Restaurationszeit ist noch konventionell: Die Epoche erscheint durch den Versuch geprägt, mittels Staatsgewalt die gesellschaftlichen Verschiebungen der revolutionären und napoleonischen Kampfepochen rückgängig zu machen und einen überholten Zustand zu konservieren. Die Theaterstücke folgen diesem Programm, ebenfalls das Publikum – wobei Hacks durch die auch zeitliche Anordnung der vorherrschenden Stückgenres immerhin andeutet, weshalb ein allseits erwünschter Zustand endete und wir nicht immer noch im Biedermeier leben. Der technisch-industrielle Fortschritt, der den Rahmen des Bestehenden sprengen sollte, kommt jedoch bei ihm ebenso wenig vor wie die Politik der Regierungen, die letztlich eine Modernisierung wirksamer beförderte als jede altdeutsch-demokratistische, burschenschaftliche Demagogenbewegung dies hätte tun können. Erst dreißig Jahre später, in polemischer Auseinandersetzung mit den üblen Folgen der deutschnationalen Romantik, wird Hacks die Formel vom „Territorialbonapartismus“ finden, der die Regierungen nach 1815 ins Recht setzt.

Doch zeigt sich Hacks’ Aufmerksamkeit für das Fortschreiten sozialer Konflikte in den Interpretationen vieler Theaterstücke, in denen der Gegensatz zwischen Bürgern und Adel durch den zwischen reicheren und ärmeren Bürgern ersetzt ist, und schließlich beim Sonderfall von Carl von Holteis „Ein Trauerspiel in Berlin“ (1832), wo noch vor Büchners „Woyzeck“ die unterste Schicht theaterfähig wird. Gleichzeitig aber weist die Arbeit auf eine anti-tragische Haltung voraus, die für den späteren Komödiendichter prägend sein wird. Dem möglichen Vorwurf, das „Nichtnötighaben der Tragödie“ sei nur dadurch begründet, dass es „der Zeit an geistiger Schärfe“ fehle, kontert er so: „aber es liegt doch andererseits eine gute, vertrauenerweckende Diesseitigkeit in jener Haltung, ein Rest von klassischer Humanität und Zuversicht.“

Es ist dieses an Humanität orientierte Denken, das Hacks’ spätere Verteidigung sozialistischer Staatlichkeit begründen wird; eng verbunden mit einer an Heinrich Heine, dem antiromantischen Vorbild von Hacks’ früher Dichtung, orientierten Bejahung von Revolution im Bewusstsein dessen, was jede Umwälzung an wertvollen Beständen zerstört. Unter diesem Blickwinkel erscheint das Biedermeier, gerade wo es konservativ ist, als gar nicht so schrecklich.

Der Edition ist ein engagiertes Vorwort beigegeben, das unter anderem die Dissertation in die Entwicklung der Biedermeierforschung einordnet, sowie ein hilfreicher Stellenkommentar.

Titelbild

Peter Hacks: Das Theater des Biedermeier (1815-1840). Dissertation.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2011.
240 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783359025214

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