Im Bann von Coolness und Schönheit

Über Britta Boerdners „Was verborgen bleibt“ und Fee Katrin Kanzlers „Die Schüchternheit der Pflaume“

Von Heike HaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Hauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus nur sieben Titeln besteht das Herbstprogramm der Frankfurter Verlagsanstalt. Mit Bedacht schlank, um die Aufmerksamkeit des Buchhändlers zu bündeln, wie erst kürzlich Verlagsleiter Joachim Unseld in einem Interview erklärte. Neben dem Spitzentitel von Bodo Kirchhoff, „Die Liebe in groben Zügen“, finden sich gleich zwei Debütromane.

Fee Katrin Kanzler war bereits 2007 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses und zählte in diesem Jahr zu den Finalisten des aspekte-Literaturpreises. „Die Schüchternheit der Pflaume“ ist ein sinnlich opulentes Buch über eine junge, aufstrebende Sängerin im Widerstreit zwischen Kunst und Liebesverstrickung. Auffallend sind die barocke Fülle der Interieurs und die opernhafte Gefühlswelt der Protagonistin. Kühl und verschlossen ist dagegen der mit 150 Seiten heute vergleichsweise knappe Erstling der Frankfurterin Britta Boerdner.

„Was verborgen bleibt“ erzählt von dem „Moment kurz bevor eine Liebesbeziehung zu Ende geht“. Ein Buch, in dem es nicht um die Handlung, sondern um den inneren Dialog von Träumen, Zweifeln, Ängsten, Sehnsucht et cetera geht, der durch präzise Beobachtung und intensive Sprachbilder so unmittelbar nachvollziehbar gemacht wird, dass der Leser in seinen Bann gezogen wird.

Ein junges Paar beschließt nach New York auszuwandern: einen großen Traum gemeinsam Realität werden zu lassen. Der Mann gewinnt eine Green Card, macht sich zuerst auf den Weg in den Big Apple. Vier Monate später reist die Ich-Erzählerin nach, um auch ihre Umsiedelung zu planen. In dieser drei Wochen währenden Übergangsphase begleitet der Leser die Protagonistin auf ihren Streifzügen durch New York, in ihre Gedankengänge um den Zustand der fünfjährigen Liebesbeziehung. Auffallend wenige Gespräche begleiten den Prozess der Lokalisation, so dass viele Antworten auf ihre Fragen im Verborgenen bleiben. In Rückblenden wird die anfängliche Verliebtheit, das Verschmelzen der Liebenden zu einer Einheit beschworen. Von dieser Harmonie ist jedoch nicht viel geblieben. Das gemeinsame Ziel, New York zu erobern, wird für die Erzählerin zunehmend zu einer Trennwand. Dahinter ist alles versteckt, was eine Liebe ausmacht: Nähe, Sinnlichkeit, Fürsorge. Er füttert regelmäßig eine Katze im Hausschacht, ohne ihr davon zu berichten und ist auch sonst distanziert. Sie wird eifersüchtig auf das Tier und verliert das Gefühl für ihre weibliche Attraktivität. Aus dem Blickfeld verschwindet – mit einer Ausnahme – die magische Ausstrahlung der Großstadt, die wahlweise Spiegel oder Kulisse, vollgestopft mit billigem Tand, für das Seelenleben wird. Auch die Treffen oder Partys mit seinen Freunden und Kollegen bringen sie nicht näher an ihr Ziel: Sie fühlt sich fehl am Platz. Außer einem als befremdlich empfundenen Mal, von ihr gar als Übergriff bewertet, haben die beiden keinen Sex mehr. Irgendwann ist klar, dass die Ich-Erzählerin sich hier kein Leben mehr vorstellen kann und zukünftig ihr Leben weder in dieser Stadt, noch mit diesem Mann verbringen wird. Das „Wir“ löst sich wieder auf und zerfällt in „Du“ und „Ich“, eine Entwicklung, die sonst im Alltag untergeht und hier mit einer bewusst poetischen Sprache geschildert wird. Am Ende ist der Spot auf die Frau gerichtet, die nun nicht mehr das dunkle Geheimnis des Mannes mit Namen „Gregor“ ergründen muss.

Weit weg von Kafka siedelt Fee Katrin Kanzler ihre „Schüchternheit der Pflaume“ an, im Zuge der schnell gelesenen 300 Seiten ist diese dann auch abgelegt und glänzend ge(sch)rieben. Hier heißen die Männer „Borg“, „Fender“ und „Matti“ die Frauen „Lora“ und „Damla“. Schon zu Anfang des Romans erklärt die Ich-Erzählerin, dass sie sich für die Musik entschieden habe und nur selten schreibe: „Weil diese Geschichten tote Häute sind, in denen ich nicht mehr leben kann. Schon damals nicht leben konnte. Jetzt abgestreift. Ich erzähle mir meine Geschichte nur noch im Kopf. So dass sie verfliegen kann wie Musik.“ Trotzdem gelingt ein Sprachfluss, der dies vergessen lässt. Zwischentitel wie „Puderpink“, „Tabakblond“ oder „Dschungelfalter“ warnen bereits vor der sorglosen Opulenz, in der „verschlafene Bienen surren“, „die Sonne Magnolienknospen aufplatzen lässt“ und eine Mondgöttin umherschweift. Ein ungewöhnliches Debüt über das Leben einer jungen Künstlerin, das über drei Seiten Sex erdichten kann, ohne übertrieben provokant oder prüde zu geraten. Die Heldin – sie selbst ist das Projekt – spielt mit verschiedenen Beziehungsmodellen, lebt in einer coolen Wohngemeinschaft, verdient sich die Miete als Drogenkurier, durch den Transport harmlos bunt aussehender Stofftiere. Das Wichtigste, neben einer selbstverliebten Bespiegelung, ist für sie die Musik. Für ihre Inspiration pflegt die Sängerin und Songwriterin einen Dialog mit den Göttern, lässt sich von ihrem genialen Bassisten managen und segelt in Tiefphasen in eine märchenhafte Vergangenheit. Zu den schönsten Szenen des Buches gehören die Einblendungen der Kindheit mit ihrem früh verstorbenen Bruder Moritz, in denen die Geschwister völlig in ihren Spielen aufgehen und nach eigenen Regeln die Realität bestimmen. Eine Eigenschaft, die nicht unwichtig für das Künstlerdasein ist. Die Nabelschau wird aufgebrochen durch das Kapitel „Endzeitstille“, das auf seine Art Stellung zur Krise der Welt nimmt. Traumhaft natürlich. Der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, könnte auch eine Chance zur Bildung neuer Gemeinschaften sein. Die Erzählerin möchte jedenfalls die ganze Welt aufnehmen und für alle ein „festes Gummiband sein“, das alles doch noch zusammenhält – auch wenn weder Monogamie noch Börsenkurse aufrechtzuerhalten sind.

Zwei sehr schöne Debüts, die sich auf ihre Art ergänzen. Hier Fülle und Offenheit, da durchdachte Gradheit und poetische Gesetztheit. Beide spannend bis zuletzt, auch weil sie in der gewählten Ästhetik ein Weltbild transportieren, das in den Fokus von Lebensplan und Beziehungen sich selbst spiegeln kann und dabei die Kunst als Transportmittel für unsere Träume mitdenkt. So unvollkommen und wandelbar diese auch sein mögen.

Titelbild

Fee Katrin Kanzler: Die Schüchternheit der Pflaume. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M. 2012.
318 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001841

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Titelbild

Britta Boerdner: Was verborgen bleibt. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2012.
158 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001858

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