Ansichten eines Nicht-Bürgerlichen

Rüdiger Schütt hat unter Mitarbeit von Klára Erdei eine Dokumentation der Ausstellung „Feridun Zaimoglu – In Schrift und Bild“ herausgegeben

Von Monika RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stellt man die Frage nach dem Verhältnis der Stadt Kiel zur deutschsprachigen Literatur, erntet man ein wohlwollendes Lächeln. Galt die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt doch lange als literarisches Ödland, wenn man vom individualistischen Aristokraten und Lyriker Detlev von Liliencron oder einigen zeitweilig dort wirkenden Autoren – wie Klaus Groth und Joachim Ringelnatz – absieht.

Mit der Niederlassung Feridun Zaimoglus in Kiel vor 25 Jahren gewann der Norden jedoch einen der experimentierfreudigsten Schriftsteller und Theaterautoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hinzu, der seine Inspiration – oder wie er sagt: seinen „Rohstoff“ – sehr wohl auch aus der Fördestadt bezieht. Schilderte er Kiel in „Abschaum“ (1997) noch aus der Perspektive eines sozial deklassierten, glücklosen Kleinkriminellen, folglich eher düster, so wählte er in seinem Roman „Liebesbrand“ (2008) einen jungen Aktienhändler zur Figur, den eine positive Grundeinstellung zu seinem Stadtviertel auszeichnet, um – wohl mit der wachsenden Identifikation des Autors – auch die lebenswerte Seite der Stadt zu zeigen.

So viel literarischer Widerhall musste in Zaimoglus Wahlheimatstadt selbstredend auf reges Interesse stoßen und führte 2011 zu einer Ausstellung in der Universitätsbibliothek, deren Begleitband nun in der Kieler „edition fliehkraft“ vorliegt. Er bietet neben einem Werkstattgespräch, einer werkgeschichtlichen Darstellung und Günter Senkels Rückblick auf die gemeinsame Theaterarbeit, auch einen Essay über „Begegnungen mit Feridun Zaimoglu in Kiel“ am „Außenposten der Kultur“. Trotz der gängigen Vorbehalte fand es Zaimoglu, der selbst „nichts von der dogmatischen Lehre [hält], dass man ausschließlich den ‚Text an sich‘ betrachten darf“, legitim, im Rahmen einer Literaturausstellung auch nach biografischen Spuren zu suchen, und gewährte bereitwillig Einblick in seine verborgenen kreativen Quellen.

Woher kommt und wo steht Feridun Zaimoglu heute? Die Literaturwissenschaftlerin Julia Abel charakterisiert ihn als „inzwischen bestens etablierten männlichen Schriftsteller“ und geht der Frage nach, welchen Einfluss die Mechanismen von Inklusion und Exklusion im Laufe der Jahre auf den deutschsprachigen Autor türkischer und proletarisch-kleinbürgerlicher Herkunft auf seine Modelle der Autorschaft ausgeübt haben. In ihren Ausführungen werden die permanenten Anstrengungen des Autors, gegen ein Schubladendenken anzuschreiben, und das daraus resultierende Erproben neuer Schreibweisen bestens nachvollziehbar.

Darüber hinaus sind zwei analytische Beiträge des Bandes hervorzuheben. Der eine stammt von der Kunsthistorikerin Susanne Schwertfeger, die Feridun Zaimoglus (weniger bekanntes) bildnerisches Werk fokussiert und seinen Weg von den vagen Anfängen über die langsame Wiederannäherung des Literaten an den bildenden Künstler seit 2003 bis zu seinen aktuellen Entwürfen nachzeichnet. Letztere verortet sie in der speziellen Kategorie der „Tronies“. Impulsgebend für Zaimoglus Neuinterpretationen dieser besonderen „Charakterköpfe“ (zumeist Frauen), bei denen es „um das Erfassen der Pose, das Abbilden in einem bestimmten Kostüm, vor allem aber um das Einfangen einer besonderen Mimik“ geht, ist die deutsche Avantgarde aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Im zweiten Essay beschäftigt sich die Tübinger Literaturwissenschaftlerin Dorothee Kimmich mit dem Roman „Leyla“ (2006) und den „Metamorphosen einer Biographie“. Es handelt sich dabei im doppelten Sinne um eine Metamorphose: Kimmich bezieht den Begriff sowohl auf die Inhalte dieses semifiktionalen Familienromans als auch auf die Entwicklung des Autors vom enfant terrible der Migrantenschriftsteller zum anerkannten Vertreter der deutschen Literatur, vom „Protokollanten“ der „Kanakster“ zum Romancier. Ihre aufschlussreichen Überlegungen betreffen nach einer kurzen Erwähnung und Einordnung der Plagiatsvorwürfe vor allem Entstehungsgeschichte, narrative Strukturen und das Motiv des Wolfes, das für ein Leben steht, das einem im Sinne gängiger Vorstellungen von Subjektivität und Identität fremd bleibt.

Im Gegensatz zur Ausstellung gelingt es dem geschriebenen Wort (vermutlich) überzeugender zu zeigen, dass die unterschiedlichen künstlerischen Bereiche im Prozess des Entwerfens nicht (nur) nebeneinanderstehen. Die Wechselwirkungen zwischen Schreiben und Malen, denen man im Gespräch akribisch nachging, sind zahlreich: Wenn Zaimoglu die Schauplätze der Romane nicht nur in Notizen festhält, sondern auch Skizzen zeichnet, wenn das morgendliche Zeichnen zur Einstimmung und Schärfung der Sinne fürs Schreiben dient, wenn er eine Geschichte als „Niederschlag vieler Bilder“ begreift, die es in Worte zu übersetzen gilt, dann spricht er von Vernetzungen und Herangehensweisen, die der schöpferischen Arbeit eine besondere Dynamik verleihen. Die wiederkehrende Thematisierung dieser Aspekte lässt den Leser mehrmals überrascht aufhorchen.

Dass Feridun Zaimoglu kein Automechaniker geworden ist, wie ihm sein Deutschlehrer riet, mit der Begründung, dies sei „Kunstfertigkeit genug für einen Türken“, ist ohne Zweifel ein großer Zugewinn für die deutschsprachige Literatur. Der von Rüdiger Schütt herausgegebene schmale Band weckt Lust für eine erneute Lektüre seiner Texte in neuen Kontexten.

Kein Bild

Rüdiger Schütt (Hg.): Feridun Zaimoglu in Schrift und Bild. Beiträge zum Werk des Autors und Künstlers.
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel 2011.
90 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783980517591

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