„Der Mann, den keiner kennt!“

Hans Jürgen Priamus hat eine Biografie des kaisertreuen Bürgersohnes und NS-Täters Alfred Meyer verfasst

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Einleitung der Studie über die politische Biografie des Nationalsozialisten Alfred Meyer in der Geschichte des „Dritten Reich“ trägt zu Recht den Titel „Der Mann, den keiner kennt!“ Nach der Lektüre ist man versucht zu sagen: Das ist auch gut so. Damit würde man aber die Verdienste des Autors schmälern, der das biografische Profil des Nationalsozialisten Meyer und dessen Hintergründe ausführlich – manches Mal zu detailliert – dargestellt hat.

Der 1891 geborene Alfred Meyer ging in der westfälischen Kleinstadt Soest zur Schule und machte dort Abitur. Er strebte eine Offizierslaufbahn an und hat am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Nach der bis 1920 dauernden Kriegsgefangenschaft studierte er Jura und promovierte zum Doktor der Staatswissenschaften. Seine Suche nach Erfolg führte häufig nicht dazu, dass er seine Berufspläne realisieren konnte.

Erst der Nationalsozialismus verschaffte ihm die gewünschten Erfolgserlebnisse. Er trat 1928 der NSDAP bei und avancierte zum Ortsgruppenleiter von Groß-Gelsenkirchen. Hier liegt wohl eine Wurzel des Interesses von Heinz-Jürgen Priamus, dem Leiter des Instituts für Stadtgeschichte in Gelsenkirchen. Der Historiker spürt der Erfolgsleiter nach, die Meyer 1930 auf die Stufe eines Gauleiters brachte. Er war – überwiegend gleichzeitig – Gauleiter in Nordwestfalen, Reichsstatthalter und Oberpräsident sowie Abgeordneter im Preußischen Landtag und auch Reichstagsabgeordneter, allerdings „ohne dass er in dieser Zeit jedoch überhaupt in Erscheinung trat.“ Dies war auf Gauebene anders, wo er der regionale NS-Führer war: „Wie Hunderttausende Adolf Hitler auf den Reichsparteitagen emphatisch Beifall zollten, jubelten Zehntausende Alfred Meyer während der nordwestfälischen Gautreffen zu.“

Dem Multifunktionär Meyer ist es gelungen, andere Männer für den Arbeitsalltag zu finden und sich auf die Führung des Gaues, des Ministeriums und so weiter zu kümmern. „Meyer verstand sich stets und ausschließlich als Repräsentant der jeweiligen Institution, an deren Spitze er stand, nicht eigentlich zuständig für das stetige bürokratische Geschäft und schon gar nicht für die Alltagsarbeit, die er angesichts einer solchen Selbstdefinition gerne andere erledigen ließ.“

Im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete agierte er als Stellvertreter von Alfred Rosenberg, von Priamus als „Beinahe-Minister“ bezeichnet. Meyer gehörte zu den Teilnehmern der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 über die Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“, deren Ziel die möglichst effektive Durchführung des Massenmords bildete. Bei dieser Besprechung ließ er sich von einem Mitarbeiter des Ministeriums als dem eigentlichen „Fachmann“ begleiten.

Meyer wird als nach oben autoritätsorientierter und -gläubiger Nationalsozialist dargestellt, der nach unten ausgesprochen autokratisch agierte. Er setzte 1945 seinem Leben selbst ein Ende, allerdings ließen sich die Todesumstände nicht in Gänze klären. Priamus geht ausführlich auf die verschiedenen Versionen ein, die nach dem Fund der Leiche am 15. Mai 1945 zwischen Langenfeld und Zersen – heute Hessisch-Oldendorf – entstanden. Alles deutete auf einen Suizid hin, was sicherlich auch stimmt. Wäre er am Leben geblieben und hätten ihn die Alliierten gefunden, hätte er wohl wie Rosenberg in Nürnberg mit dem Todesurteil und der Hinrichtung rechnen müssen.

Heinz-Jürgen Priamus präsentiert in seinem voluminösen Werk eine Fülle von Informationen. Vieles ist bekannt und hätte daher weggelassen oder wenigstens kürzer dargestellt werden können. Seine Relevanz bekommt die Studie durch den Nachvollzug, wie Meyer sich im Zuge seines sukzessiven Aufstiegs freiwillig und selbstverständlich zunehmend in die Rolle des Täters begeben hat.

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Heinz-Jürgen Priamus: Meyer. Zwischen Kaisertreue und NS-Täterschaft . Biographische Konturen eines deutschen Bürgers.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2011.
526 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783837505924

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