Körper- und Kleidermoden

Ein von Laura Bieger, Annika Reich und Susanne Rohr herausgegebener Sammelband zeichnet einen kulturwissenschaftlichen Grundriss der Mode

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Mode kehre alles wieder, besagt eine ebenso verbreitete wie irrige Ansicht. Weit klügeres über sie ist in einem von Laura Bieger, Annika Reich und Susanne Rohr herausgegebenen Sammelband zu erfahren, dessen Beiträge einen „kulturwissenschaftlichen Grundriss“ der Kleider- und Körper-Mode(n) bieten.

Wie zwei der Herausgeberinnen, Bieger und Reich, in der Einleitung darlegen, beschränkt sich die Publikation nicht darauf, „den ratlosen Blick auf ‚falsches‘ Kleid und ‚falsche‘ Haut“ als „bloße Machenschaft entfremdeter Bedeutungssysteme oder interpellativer Ordnungen“ zu erweisen, sondern nimmt ihn vor allem als „Ausdruck einer durch und durch ambivalenten Produktivität“ unter die Lupe, der Mode in „hochmodernen Gesellschaften“ zu einem „unvermeidlichen Bestandteil sozialen Seins“ mache. Zwar legen die beiden Autorinnen dar, dass das „Prinzip des Modischen“ immer stärker von der als „zweite Haut“ metaphorisierten Kleidung auf die „‚erste Haut‘ des Körpers“ übergreife, der so „immer rückhaltloser zum Material“ werde. Doch verkennen sie dabei nicht, dass „Mode schon immer Körper geformt“ hat. Als Beispiel führen sie „die Wespentaille und das Korsett“ an.

Man könnte den Blick allerdings auch in die Ferne schweifen lassen und die bis ins 20. Jahrhundert hinein durch Einschnürungen verkrüppelten Lotosfüße von Chinesinnen denken. Oder man könnte unter Rückgriff auf einen weiten Modebegriff anhand der die Hälse streckenden Metallringe der Padaung-Frauen in Birma, der die aufgeschnittenen Unterlippen überdehnenden Teller weiblicher Mursi in Teilen Äthiopiens einen Bogen von der tiefsten Vergangenheit bis in die Gegenwart schlagen. Dann zeigte sich auch, dass trotz der von einigen wenigen Indianerstämmen in Brasilien wie den Botokudo, bei denen beide Geschlechter Lippenteller tragen, oder den Suyá, bei denen sie den Männern vorbehalten sind, in aller Regel nur die Frauen Opfer derartiger den Körper beeinträchtigender, ja verstümmelnder Moden sind, während von Männer nur Accessoires getragen werden, die zwar ebenfalls beeinträchtigen, aber doch immerhin abgelegt werden können, wie die zweifellos sehr hinderlichen Peniskalebasse der Yali in Westpapua.

Nun ist es zweifellos bedauerlich, dass derlei nicht zur Sprache kommt. Zurecht aber verweisen Bieger und Reich darauf, dass „modisches Handeln“ auch eine „offene Seite“ und somit „subversives Potential“ haben kann. Was sie allerdings mit der Feststellung sagen wollen, dass „auf der Ebene des Körpers alle Menschen gleich sind“ und dies zudem ein „ur-demokratisches Prinzip“ sei, erhellt sich nicht. Und nur junge Menschen dürften das von ihnen als allgemein bekannt unterstellte Gefühl kennen, „sich vor dem Spiegel zu drehen und zu ahnen, das ist nicht mein Körper, der Körper der mir entspricht ist ein anderer“, denn der Körper, den der Spiegel zeigt, wird als ein „Relikt einer abgelaufenen Identität, die einmal zu mir gehörte“ empfunden. Alte Menschen haben dieses Gefühl mitnichten. Allenfalls erinnern sie sich noch vage daran. Inzwischen aber evoziert der Blick in den Spiegel bei ihnen womöglich eher Gefühle gegenteiliger Art. Vielleicht entspricht nicht ihr heutiger, sondern gerade der Körper, den sie in früheren Zeiten sahen, ihrem Geistes- und Gefühlsleben. Denn die Identität, die sich in ihm spiegelt, ist immer noch die ihre. Nur ihr Körper ist ein neuer, nämlich ein alter und eben nicht mehr der alte.

Auch zeichnet sich die Redeweise von Bieger und Reich nicht immer durch Gendersensibilität aus, wie etwa ihre Wendung „Jeder, der einen Abend in Highheels verbracht hat“, zeigt. Es mag zwar wohl auch einige Männer geben, die gelegentlich auf Highheels herumstöckeln und unter ihnen leiden. Vor allem aber dürften es Frauen sein. Deshalb kommt in der Formulierung sicherlich das generische Maskulinum zum Einsatz. Dennoch fühlt man sich belustigt an die linguistische Glosse erinnert, in der Luise F. Pusch vor nunmehr etlichen Jahren den Tampon-Werbeslogan „Die Menstruation ist bei jedem ein bisschen anders“ auf die sprachanalytische Schippe nahm.

Um den Lesenden – wie Bieger und Reich formulieren – einen „Röntgenblick in die Binnenstruktur sozialer Gefüge und deren unablässiger Wandlung“ zu gewähren, „vermessen“ die der Einleitung folgenden sechs Beiträge die Bedeutung der Mode im Zusammenhang mit Moderne, Sprache, Körper, Blick, Kunst sowie Anthropologie und Ästhetik.

Ulrich Lehmann bringt „Mode gegen Moderne“ in Anschlag. Susanne Rohr erklärt, „wovon Mode spricht“. Anette Geiger erörtert den „kulturellen Wert unserer Kleidung“ und begibt sich auf die Suche nach Argumenten „für eine ästhetische Aufwertung der Mode“. Kaja Silverman fasst „Mode und Blick“ ins Auge. Hanne Lorecks denkt anhand von Werken Vanessa Beecrofts und Cindy Shermans über das „aktuellen Verhältnis von Mode, Kunst und Körper“ nach.

Die vor allem als dekonstruktive Feministin hervorgetretene Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken schließlich stellt in einem erhellenden Beitrag am Beispiel der Kollektionen des Modehauses Martin Margiela kluge Überlegungen über „das Verhältnis von Mode und Körper“ an. Doch nicht nur ihr Beitrag, auch diejenigen der anderen AutorInnen bieten manchen aufschlussreichen Einblick und manche erhellenden Einsicht.

Titelbild

Laura Bieger / Annika Reich / Susanne Rohr (Hg.): Mode. Ein kulturwissenschaftlicher Grundriss.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2012.
203 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783770553228

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