Wie man Universalgelehrter wird

Über Thomas Stauders „Gespräche mit Umberto Eco“

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Goethes Papagei“. Mit diesen maliziösen Worten hat Heinrich Heine einmal die Figur Johann Peter Eckermann charakterisiert. Eckermann, der durch seine Gespräche mit Goethe in die Literaturgeschichte eingegangen ist, hatte sich weiland durch seine „Beyträge zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe“ für höhere Dienste beim Dichterfürsten empfohlen. Auch der Romanist Thomas Stauder erwarb sich eine Art „Eintrittskarte“ zu Umberto Eco, als er 1988 eine Studie zum Roman „Der Name der Rose“ verfasste. Im Folgejahr bekam er Gelegenheit, Eco persönlich zu treffen – und tut es seitdem immer wieder.

2004 erschien der Band „Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten“ in erster Auflage. Nun, im Nachklapp zum Eco-Jubiläum, ist er um ein Interview aus dem Herbst 2011 ergänzt worden und versammelt insgesamt sechs Begegnungen. Das umfangreichste Gespräch geht über fünfzig Seiten und ist Ecos Biografie gewidmet; die fünf anderen gehen seinen literarischen Figuren und Strukturen vom „Name der Rose“ bis zum „Friedhof von Prag“ nach.

Man liest Ecos geistreiche Einschätzungen zu seinen Romanhelden („Baudolino ist schlauer als Parzival“) und bekommt – mit Gerhard Genette gesprochen – jede Menge Palimpseste geboten, die dieses literarische Gesamtwerk in besonderer Weise grundieren. Wie ein Detektiv liest Stauder Spuren und Fährten, die der Meister in seinem Romanwerk ausgelegt hat. Keine Frage, er steht im Stoff, hat seinen Eco so beflissen studiert, dass der selbst feststellt: „Sie wissen bereits alles. Sie müssen mir gar keine Fragen mehr stellen.“ Das klingt schmeichelhaft, deutet aber auch ein Manko an: Gespräche beziehen ihre Attraktivität nicht zuletzt aus der Kunst, dass ein Fragensteller sich neben aller Vorbereitung auch noch Unwissen und Neugier bewahrt. Nur so lockt man sein Gegenüber aus der Reserve, wohingegen in einigen Antworten dieses Gesprächsbands eine gewisse Kapitulation vor der Redundanz durchklingt. Die darf man freilich nicht nur Stauder anlasten. Sie resultiert auch daraus, dass Eco ein generell vielgefragter Gesprächspartner ist: „die Fragen wiederholen sich sehr stark“.

Am interessantesten geraten sind vor diesem Hintergrund vielleicht gerade die Passagen, in denen Eco richtig ins Erzählen kommt: über seine literarischen Vorlieben für Trivial- und Feuilletonromane des 19. Jahrhunderts; über seine Faszination an Fälschungen; über seine faschistische Kindheit und katholische Jugend. Oder auch über die Schattenseiten seiner Prominenz: Längst gehen die Anfragen der Medien ja soweit, dass der berühmteste lebende Intellektuelle Italiens vom lokalen Unwetter in seiner Heimatstadt Alessandria bis zum Tod von Greta Garbo so ziemlich alles und bitteschön semiotisch kommentieren soll. Umgekehrt ist er mit seinen zahlreichen Kolumnen natürlich selbst aktiver Teil des Systems.

Ecos legendäre Medienaffinität und -kompetenz, die von der mittelalterlichen Handschrift bis zum E-Book reicht, bildet der Band sehr gut ab: Der spätere Professor für Semiotik arbeitete nach seiner Dissertation zunächst fünf Jahre beim staatlichen italienischen Rundfunk (RAI) und weitere fünfzehn beim Mailänder Verlagshaus Bompiani. Diese außeruniversitären Erfahrungen interpretiert Eco rückblickend als „Vorteil, den ich anderen Intellektuellen, die sich damals ebenfalls mit der Massenkultur beschäftigten, voraus hatte“. „Adorno“, so Eco, „kannte das Radio nur als Hörer, hatte aber nie in einer Radioanstalt gearbeitet.“

Was die anvisierte Leserschaft angeht, ist Stauders Gesprächsband ein bekennender Zwitter – oder, um es mit einem Begriff zu sagen, den die Literaturkrik gern für Ecos Romane bemüht: doppelcodiert. Einerseits gibt es Stellen, wo Stauder den fachlich versierten Leser geradezu voraussetzt – etwa, wenn von „hemeneutischer Semiose“ die Rede ist. Andererseits bereiten zahlreiche didaktische Fußnoten Informationen auf, die ein unkundiger und doch wissbegieriger Leser auch eigenmächtig googeln, nachschlagen, recherchieren könnte.

Stauder öffnet die Tür in eine wandelnde intellektuelle Wunderkammer und bietet eine Fundgrube für alle, die nicht die ganz dicke Biografie wälzen oder direkt ins Wissenschaftliche eintauchen wollen. Fans, die sich am Universalgelehrten bloß oberflächlich berauschen, kommen mit dem Gesprächsband ebenso auf ihre Kosten wie Spezialisten, die ihren Eco stichpunktartig konsultieren – und das Namens- und Sachwortregister lädt auch dazu ein. Andere wiederum werden das Buch als Orakel für Geheimlehren oder eben schlicht als Stationendrama einer beeindruckenden Biografie lesen. Nur die Eco-Kritik ist in diesem Kompendium eher marginal vertreten. Es sind die deutschen Feuilletons, die mit Eco anfangs wenig anfangen konnten – oder vielleicht überhaupt mit der Idee, dass ein Professor historische Romane schreibt. Dennoch ist der deutsche Buchmarkt laut Ecos eigener Aussage „jener […], wo sich meine Werke weltweit am besten verkaufen; insofern kann ich mich nicht über mangelnden Erfolg bei der deutschen Leserschaft beklagen und die Rezensionen werden folglich nicht alle nur Verrisse gewesen sein.“

Kein Bild

Thomas Stauder: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten.
LIT Verlag, Berlin 2012.
302 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783643116055

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch