Mit der Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten

Rolf Hosfeld schreibt eine Biografie über Kurt Tucholsky

Von Dieter KaltwasserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Kaltwasser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Veränderungen und Spannungen liegen in der Luft und schwerwiegende Ereignisse stehen bevor, als sich die Berliner in der Silvesternacht 1889 ein Neues Jahr wünschen. Der seit Jahrzehnten regierende Otto von Bismarck steht den Ambitionen des jungen Kaisers Wilhelm II. im Weg, Reichstagswahlen stehen kurz bevor, im Februar 1890 wird die SPD die Millionen-Grenze überspringen. August Bebel denkt an die Zukunft, während Bismarck und Wilhelm II. Vergangenheit und Gegenwart personifizieren. Was hat das alles mit der Tatsache zu tun, dass am 9. Januar 1890 im Haus der Lübecker Straße 18 in Berlin-Moabit Kurt Tucholsky als ältestes Kind des wohlhabenden jüdischen Kaufmanns Alex Tucholsky und seiner Ehefrau Doris geboren wird?

Das Besondere in diesem Falle ist, dass aus Kurt Tucholsky einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik werden sollte. Rolf Hosfeld, der vor wenigen Jahren eine preisgekrönte Marx-Biografie verfasste, hat sich Leben und Werk Tucholskys gewidmet. Kurt Tucholsky arbeitete als Journalist, verfasste Satiren, Lieder, Gedichte und Romane, gab zeitweise die legendäre Berliner Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ heraus und war nicht zuletzt politischer Aktivist. Er erwies sich als hellsichtiger und vorausschauender Gesellschaftskritiker: Schon von der allgemeinen Kriegsbegeisterung des ersten Weltkriegs ließ er sich anders als viele seiner prominenten Kollegen nicht anstecken. Politisch fühlte er sich der Linken nahe, stellte jedoch früh deren Unfähigkeit fest, dem immer stärker werdenden Nationalsozialismus wirksam zu begegnen. Seine Klassenlage gab Tucholksky innerlich nie auf, in seinen Werten blieb er stets konservativ. Er wuchs behütet auf, die Familie zog bald nach Stettin, kehrte nach sechs Jahren zurück, derweil bekam er zwei Geschwister, die beide jung starben. Zu seiner Mutter hatte Tucholsky ein sehr schwieriges und spannungsvolles Verhältnis, das er später einmal in der Strindberg-Figur Rosa Bertens skizziert hat, wie er es einmal seiner zweiten Frau Mary gestand.

Tucholsky studierte Jura, doch er hatte nicht die Ambition, daraus einen Brotberuf zu machen, der Dr. jur. diente vielmehr seinem bürgerlichen Status. Inzwischen hatte er mit seinem „Rheinsberg“ schon einen Erfolg als Schriftsteller gelandet. Er schildert darin einen Ausflug mit seiner Geliebten Else Weil, die er „Pimbusch“ nannte und später heiratete. Die Medizinstudentin und der Jurastudent waren auf einem Ausflug ins Ruppiner Land des Theodor Fontane. Der literarische Bilderbogen ist eine erotische, einfache und unbefangene Erzählung, der nicht nur eine wohlwollende Presse fand, sondern auch einen reißenden Absatz. Else Weil wurde am 11. September 1942 in Auschwitz ermordet.

Nach dem Erscheinen von Rheinsberg begann die Mitarbeit an Siegfried Jacobsohns „Schaubühne“ und beim „Simplicissimus“. Er zeichnete viele seiner Artikel mit Pseudonymen und schrieb dazu: „Wir sind fünf Finger an einer Hand. Der auf dem Titelblatt und: Ignaz Wrobel. Peter Panter. Theobald Tiger. Kaspar Hauser.“ 1914 trat er aus der jüdischen Gemeinde aus. Mitte 1919 erschien der Grundsatzartikel „Wir Negativen“ in der „Weltbühne“. Tucholsky engagierte sich in zahlreichen Aktionen gegen den Ersten Weltkrieg. Er war Mitbegründer des „Friedensbundes der Kriegsteilnehmer“. Er lernte Mary Gerold kennen, seine zweite Ehefrau, von der er sich erst nach seiner Ausbürgerung scheiden ließ, um sie zu schützen. Andere für ihn bedeutsame Frauen traten in sein Leben. Tucholsky folgte in ihnen wohl oft Archetypen der Mutter.

1922 erschienen die „Träumereien an preußischen Kaminen“, 1929 „Deutschland. Deutschland über alles“. Die meiste Zeit lebte er im Ausland, ab 1930 verlegte er seinen ständigen Wohnsitz nach Schweden. Im Mai 1931 beendete er „Schloß Gripsholm“. Es begann die Zeit der Einsamkeit und der langsamen Abkehr vom Handeln. In Deutschland wurde der Prozess gegen Carl von Ossietzky eröffnet, der verhaftet und ins KZ verschleppt wurde. Tucholsky sah für sich selbst keine Möglichkeit mehr, etwas zu tun, es schien ihm sinnlos. Die Deutschen, so konstatierte er, seien ein barbarisches und unbelehrbares Volk. In seiner letzen Zeit beschäftigte er sich mit Søren Kierkegaard und Arthur Schopenhauer. Er hatte aufgehört zu schreiben, nur seinem „Sudelbuch“ vertraute er noch Gedanken an. „Wenn ich jetzt sterben müsste, würde ich sagen: ‚Es war ein bisschen laut‘. Am 21. Dezember 1935 starb Kurt Tucholsky. Die Diagnose lautete: Überdosis Veronal, vermischt mit Alkohol.

Wie einen Roman erzählt uns Rolf Hosfeld das kurze, intensive Leben Tucholskys und zeigt uns die Vielschichtigkeit und Doppelbödigkeit seines Werkes gerade dort, wo es leichtfüßig daherkommt und dennoch engagierte Literatur ist. Prägnant zeichnet er im Spiegel der Person des Schriftstellers das Porträt seiner Zeit, in dem Tucholskys lebenslanges Bemühen um eine Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Rolf Hosfeld hat die Biografie eines außergewöhnlichen Menschen, der den Kampf gegen den Militarismus zum Thema seines Lebens und Schreibens machte, geschrieben, die Bestand haben wird.

Titelbild

Rolf Hosfeld: Tucholsky. Ein deutsches Leben.
Siedler Verlag, München 2012.
300 Seiten, 21,99 EUR.
ISBN-13: 9783886809745

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