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Was will man mehr über Daniel Woodrells „Der Tod von Sweet Mister“ sagen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Woodrell zu den Großen des amerikanischen Krimis gehört, ist nichts Neues mehr. Dennoch lässt sich das immer wieder aufs Neue und mit gutem Recht schreiben. „Der Tod von Sweet Mister“ bestätigt das ein weiteres Mal. Und jeder, der einen außergewöhnlichen Krimi lesen will, der schon gar nicht mehr Krimi genannt werden kann, sollte sich an Woodrell wenden.

Um was geht es dieses Mal: Ein heranwachsender junger Mann, Shug Atkins, 13 Jahre, dessen Faszination für seine immer noch attraktive Mutter, Glenda, um die 30, ungebrochen ist, wird vom angeblichen Stiefvater (Red) für Einbrüche und anderes missbraucht. Mutter und Sohn bilden eine Art Schutzeinheit, was beiden aber kaum nutzt. Die Frau trinkt, lässt sich aushalten und schaut, wie sie klarkommt, in der Not beschützt sie den Sohn, indem sie mit dem Vater schläft. Besser das, als dass er Shug zusammenschlägt. Und zur Not kann man saufen.

Das Ganze eskaliert, als Glenda in einer der zahlreichen Phasen, in der sich ihr Mann in der Fremde herumtreibt, einen Liebhaber nimmt, der sich endlich mal zu benehmen weiß und der anscheinend wirklich so etwas wie eine Option für eine Art Zukunft sein könnte. Nun, der Ehemann kommt irgendwann im ungünstigsten Moment nach Hause. Als Shug irgendwann heimkommt, ist die Küche verwüstet und blutbesudelt, der Stiefvater ist verschwunden. Was nur die Eskalationsstufe I ist.

Eskalationsstufe II besteht darin, dass die neue Liaison, die sich ja so ungemein hübsch hat angehen lassen, auf einmal auf Distanz geht, und alles – was immer es auch gewesen sein mag – ist für die Katz.

Eskalationsstufe III nun lässt sich als der Moment verstehen, in dem Shug für einen Moment die Beherrschung verliert und genau das tut, was junge Männer wohl irgendwann immer mal denken, er fasst einmal zu, und vergisst, dass er der Sohn der attraktiven Frau ist, nicht ihr Liebhaber. Damit spätestens ist „Sweet Mister“ gestorben und der Roman zuende. Es wird niemals mehr so sein wie zuvor. Was eh das Problem der Jugend ist. In diesem Fall, Gottseidank.

Die einigermaßen verwickelte Geschichte um diesen süßen Herrn ist freilich nicht – allein – das Pfund, mit dem Woodrell wuchert. Die Szenerie, in der die Geschichte platziert ist, ist irgendwo zwischen skurril, absurd und extrem angesiedelt. Ein heißer Sommer im Süden der USA, ein pubertierender Jüngling, der sein Geld damit verdient, einen Friedhof einigermaßen sauber zu halten oder Beeren zu sammeln und zu verkaufen, Erwachsene, die alles an Drogen in sich hineinschaufeln, was nur zu bekommen ist, die Selbstverständlichkeit von Gewalt, die als Daseinsform jenseits von Kritik steht, Armut und die Ausweglosigkeit einer Situation, in die niemand geraten ist, sondern die immer einfach nur schon da ist.

Das Resultat ist wie immer überwältigend und beeindruckend, eine wunderbare Lektüre, die allerdings auch damit spielt, dass sie Einblick in eine Welt gibt, in der niemand leben will.

Aber damit nicht genug: Woodrell entwirft auch in diesem schmalen Roman eine anachronistische Welt, die wie ein Zerrbild der eigenen Gegenwart erscheint. Die literarischen USA sind voll von solchen Gegenwelten, die so weit entfernt von dem sind, was als zivilisiert und bekannt gelten. Aber in gewissem Maße gilt das auch für das literarische New York. Ein Blick auf die Provinz in der deutschen Literatur – zumal in der des Krimis, nicht anders als die der urbanen Räume – bestätigt dies. Davon sind wir weit weg.

In diesem Zusammenhang verliert die Krimihandlung in „Der Tod von Sweet Mister“ an Bedeutung. Sie ist freilich eh nur angedeutet: Auch wenn nur ein bisschen dafür spricht, dass Shugs Stiefvater wirklich nicht sein Vater ist, und viel dafür, dass Glenda und ihr Lover den Ehemann Red umgebracht und irgendwo verscharrt haben, wird hier keines der Rätsel gelöst. Shug macht die Küche sauber, Reds Kumpel, Basil, sucht nach dem Verschwunden und ahnt auch etwas. Was auch keinem weiterhilft und ins Leere, genauer gesagt in ein zwar offenes, aber keineswegs hoffnungsvolles Ende führt.

Gerade dass solche Rätsel beiläufig bleiben, dass die Handlung stockend, wie das berühmte Brecht’sche selbstgebastelte Auto, seinen Weg nimmt, macht Woodrells Größe aus. Er hat den Mut zu solchen Geschichten, die jeden gewieften Romanschreiber zu Schreianfällen treiben muss, und jeden, der was von Roman versteht, zur bedingungslosen Bewunderung. Mit anderen Worten, Woodrell darf jetzt auch mal einen schlechten Roman schreiben, damit er wieder einigermaßen menschlich wirkt.

Titelbild

Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2012.
192 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783935890953

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