Multikulti ist gescheitert

Heinz Buschkowsky benennt die Folgen einer verfehlten Integrationspolitik

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

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Der Teltowkanal ist die bedeutendste geopolitische Trennungslinie im Berliner Bezirk Neukölln. Im Norden des Viertels wohnen überwiegend „frische Einwandererfamilien“ oder „deutsche Multiproblemfamilien“, die seit Generationen „Arbeitsplatzsicherer“ im Sozial- oder Jugendamt sind. Im Süden hingegen leben Menschen, die es zu etwas bringen wollen oder schon gebracht haben: Der soziale Aufstieg vollzieht sich mit dem Möbelwagen.

Heinz Buschkowsky, Jahrgang 1948 und seit 2001 Bezirksbürgermeister von Neukölln, sieht die Entwicklung nüchtern und mit Sorge. Wie Thilo Sarrazin ist er SPD-Mitglied, doch anders als dieser kennt er die Nöte eines Quartiermachers aus der täglichen, persönlichen Anschauung. Sein Thema ist das gesamtgesellschaftliche Versagen auf dem Gebiet der Einwanderungs- und Integrationspolitik. Denn anders als viele andere europäische Industriestaaten profitiert die Bundesrepublik nur von einem kleinen Teil ihrer Immigranten. Mit anderen Worten: Zu uns kommen nur wenige gut ausgebildete, integrationswillige, leistungsorientierte junge Menschen. Der Großteil unserer Zuwanderer gehört schon in den Herkunftsländern zum Bodensatz der Bevölkerung – und zieht allein deshalb nach Deutschland, weil er hier besser oder überhaupt alimentiert wird. Die Folge ist eine langjährige, schleichende „negative“ Gentrifizierung eines ganzen Bezirkes von circa 315.000 Einwohnern: „Monokulturen der Bildungsferne“ sind entstanden, ethnisch und religiös entmischte Türken- und Araberquartiere, eine Scheinwelt mit „Scheinidentitäten und Scheinfunktionen“, ein „Sozialraum mit Ausgrenzungstendenz“ (Hartmut Häussermann). Es ist, als habe der Berliner Senat ein Förderprogramm „Die asoziale Stadt“ aufgelegt und seine öffentlichen Mittel gezielt in Sozialhilfe, Wohngeld und andere lukrative Transferleistungen gesteckt, um die Empfänger ruhigzustellen und von jeglicher Teilhabe an der Gesellschaft zu dispensieren.

Wie Heinz Buschkowsky beklagt, fehlt dieser Subsistenzpolitik „jedwede Einsicht in das Solidarsystem der Gemeinschaft“. Parallelgesellschaften jenseits unserer Rechtsordnung sind entstanden und konnten sich verfestigen, und die tatenlos beobachtende Gesellschaft nimmt in Kauf, dass diese „Auswüchse des Separatismus“, als „Multikulti“ sozialromantisch schöngeredet, weiter zunehmen.

In diesem „Kulturkampf“ gegen das bequeme Seditativ der materiellen Alimentierung, die weder Förderung bewirkt noch Forderungen an die Empfänger des Sozialtransfers zeitigt, ist die nicht erlahmende Konfliktbereitschaft von Bürgermeister Buschkowsky bemerkenswert, zumal er nicht nur seine Partei und den Berliner Senat, sondern auch die öffentliche Meinung gegen sich hat. Ein Thilo Sarrazin ist er jedoch, wie schon gesagt, nicht – denn Buschkowsky, dieser besorgte und fürsorgende Quartiermeister, hat in seinem Bezirk auch etwas bewirkt, hat Erfolge erzielt – und zwar dort, wo der Standort schon verloren schien.

Kinder sind ein wichtiger Spiegel der Gesellschaft. Ein großer Teil der Neuköllner Kinder spricht kaum Deutsch, wenn er ins schulpflichtige Alter kommt, und ist auch motorisch unterentwickelt. Diese Rückstände können in den wenigsten Fällen jemals aufgeholt werden. Damit die Schulen überhaupt auf eine nennenswerte Absolventenquote kommen, darf durch „mündliches Nachprüfen“ das Manko bei schriftlichen Prüfungen ausgeglichen werden: „Man kann das Desaster also wegquatschen“, wenn man sprechen kann. Also ist bei den Kindern anzusetzen – bevor aus ihnen verhaltensauffällige Problemfälle und später Intensivtäter werden. Bildungsferne ist für Buschkowsky „der Ursprung aller gesellschaftlichen Verwerfungen“, und daher ist dem Bildungsnotstand zuvörderst bei den Kindern abzuhelfen.

Der Rütli-Campus, ein nicht nur schulisches, sondern gesamtgesellschaftliches Großprojekt aus dem Jahre 2007, in der Größenordnung eines Einzugsbereiches von 40.000 Quadratmetern und 20.000 Menschen, ist das derzeit vermutlich prominenteste Beispiel einer aktiven, interventionalistischen Bildungs-, Integrations- und Sozialpolitik, die nicht bloß Geld verteilt, sondern Gegenleistungen verlangt: neben Integrationsbereitschaft sind dies alle möglichen denkbaren Formen von Leistungswille. Schule wird hier als Brenn- und Kristallisationspunkt sichtbar, der auf ein ganzes Viertel, das zwischen Lethargie und Verzweiflung unterzugehen drohte, ausstrahlen kann.

Es würde zu weit führen, die einzelnen Maßnahmen aufzufächern, die Buschkowsky eingeleitet hat, darunter die Umwandlung eines Gymnasiums in eine Modellschule, in der ganztägig Förderkurse angeboten werden: „Förderkurse in Deutsch an einem deutschen Gymnasium. Der Skandal war perfekt.“ Aber der Erfolg gibt ihm recht, zumal die korrodierenden Deutschkenntnisse bereits bis ins Germanistikstudium hineinreichen.

Der Bürgermeister und Sozialdemokrat Heinz Buschkowsky stammt übrigens aus ganz einfachen Verhältnissen – und dennoch ist sein sprachliches Ausdrucksvermögen ganz außergewöhnlich. Er formuliert knapp und effizient und erzählt plastisch und anschaulich, und auch die Kommata sitzen da, wo sie hingehören (und wo sie, nach den Regeln vor der Reform, gewöhnlich auch saßen). Das ist angesichts dessen, was heutzutage aus den Lektoraten in den Druck gegeben wird, nicht wenig. Verfasser Buschkowsky hat darüber hinaus ein Auge für die Phrasen seiner politischen Gegner, die sich nicht trauen, Tacheles zu reden oder die ihre Politik schönreden. Daher ist er auch ein Mann der scharfen Polemik und der sarkastischen Zuspitzung. Die Weltanschauung der früheren Ausländerbeauftragten des Berliner Senats, Barbara John, kennzeichnet er mit den Worten: „Jeder Intensivtäter ist eine kulturelle Bereicherung.“

Heinz Buschkowsky spricht allerdings auch Jargon, dass es wehtut: „Ich war ziemlich vermault“, da „war ich erst einmal ziemlich geklatscht“, „jetzt haben sie es ja doch geschnallt“ und so weiter. Das ist schade, denn dieser Jargon zieht seine notwendigen und weiterführenden Denkanstöße unnötig runter.

Titelbild

Heinz Buschkowsky: Neukölln ist überall.
Ullstein Verlag, Berlin 2012.
398 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783550080111

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