Kein Koloss an Standhaftigkeit

György Dalos blickt in „Der Fall des Ökonomen“ zurück auf eine vielleicht typische, aber wenig glanzvolle Biografie im realen Sozialismus

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ökonomie galt im Kommunismus als politische Disziplin. Wer über ökonomische Zusammenhänge nachdachte, hatte sich ideologisch zu verpflichten. Deshalb ist es für die drei Schulfreunde Gabor Kolozs, Feri Türoczi und Laci Bakos eine zweifelhafte Ehre, dass sie für ein Ökonomie-Studium in Moskau ausersehen sind. Eigentlich haben sie andere Pläne. Tapfer bringen sie die fünf Jahre hinter sich, um später dann die richtige Karriere zu beginnen.

Doch wieder zurück in Ungarn setzt der rechtschaffene Kolozs aufs falsche Pferd. Er wird Assistent eines Uni-Professors, der eine ideologische Lockerung propagiert, mit dem Ende des Tauwetters jedoch an Einfluss verliert. Damit war auch für Kolozs der Weg nach oben verbaut. Weil zudem die Ehe mit Marta schnell wieder geschieden wird, findet sich der aufstrebende junge Mann bald wieder zuhause bei den Eltern in einer armseligen Wohnung wieder, ohne Arbeit und mittellos.

Sein Vater Dr. Daniel Kolozs ist eine interessante Figur – gebrechlich und gezeichnet von seiner Gefangenschaft in Mauthausen, zugleich aber zäh bis ins hohe Alter. Wir begegnen ihm gleich zu Beginn in Dalos’ Roman, anlässlich seines Todes 2002 im Alter von 95 Jahren. Seit Jahren haben er und sein Sohn gemeinsam seine Rente, die Essensration der jüdischen Gemeinde sowie das Unterstützungsgeld einer Stiftung für Holocaust-Überlebende geteilt. Sein Tod bringt den jungen Kolozs deshalb in die Bredouille. Soll er den Tod getreulich melden und sich selbst die ökonomische Basis entziehen, oder soll er mittels einer jährlich zu fälschenden Bestätigung noch ein wenig vom väterlichen Geld zehren? Der studierte Ökonom entscheidet sich für letzteres, und bleibt sich so treu. Das Delikt ist nicht bösartig, doch Ehrlichkeit sähe anders aus.

György Dalos erzählt die Geschichte von Gabor Kolozs in einzelnen Etappen, die Schlaglichter auf die Titelfigur und das Umfeld werfen, in dem er sich bewegt. Für den unbeholfenen Kolozs ist die Not allgegenwärtig: Not an Perspektiven, an Räumlichkeiten (beispielsweise für Sex), an alltäglichen Gütern. Das Leben in der muffigen Erdgeschosswohnung ist Sinnbild dafür. Hier bleibt der Fünfzigjährige das ewige Kind seiner betagten Eltern. Dalos erzählt es mit leichter Ironie und Karikierung. Sein Rückblick auf eine vergangene Epoche ist nicht nostalgisch verklärt, etwas Melancholie schwingt dennoch mit.

Der doppeldeutige Titel freilich führt leicht in die Irre. Gabor Kolozs gibt weder Anlass dafür, ein Fall im Sinne einer Causa zu sein, noch fällt er wirklich tief, weil er gar nie hoch gestiegen ist. Vielmehr repräsentiert er ein Leben in permanenter Unschlüssigkeit, wie ihm ausgerechnet ein Geheimdienstoffizier vorhält: er habe sich „nicht entschieden, wo er hingehört“. Anlass zu diesem Gespräch gab eine Silvesterparty 1977, zu der Kolozs Freunde aus der Dissidentenszene eingeladen hatte. Damit besiegelte er die kurze Karriere an der Universität, wo es selbst in untergeordneten Positionen keinen Platz für Abweichler gab. Trotz eines klugen Aufsatzes über die Probleme der sozialistischen Ökonomie war Kolozs indes nie ein Dissident. Er lavierte und betrog sich so ums eigene Leben. Eine Wende brachte deshalb auch die Wende nicht, abgesehen von einem kurzen Intermezzo als ökonomischer Sachverständiger, der bald wieder entbehrlich war.

Positiv gewendet hat sich Gabor Kolozs im alten System nicht schuldig gemacht. Er verriet keine Freunde, wie es Laci Bakos tat, der weitaus tiefer fiel und trotzdem weicher landete. Und er diente sich auch nicht beim TV-Publikum an, wie Feri Türoczi. Gabor Kolozs ist ein kleiner Schwejk, ein Schelm irgendwie, und zugleich ein williges Rädchen im System – am Ende kaum fassbar. Gerade das macht den Reiz dieser Figur in Dalos’ Roman aus.

Zu guter Letzt droht ihm dennoch die Schmach. Als die Unterstützer der Stiftung bemerken, dass Daniel Kolozs im November 2006 hundert Jahre alt würde und somit der älteste Holocaust-Überlebende wäre, soll dies gefeiert werden. Zwar gelingt es dem Sohn Gabor gerade noch, den Vater eiligst sterben zu lassen, doch die TV-Equipe ist bereits auf dem Weg.

Titelbild

György Dalos: Der Fall des Ökonomen. Roman.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Franz Fühmann.
Rotbuch Verlag, Berlin 2012.
191 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783867891530

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch