Die Gegenwart der Vergangenheit

„Was bleibt – Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg“. Der Katalog zur Dauerausstellung

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Flossenbürg, ein staatlich anerkannter Erholungsort in der Oberpfalz, nahe der Grenze zu Tschechien, hat nicht einmal 2.000 Einwohner, aber eine schicksalsreiche Geschichte. Von 1938 -1945 befand sich in der Gemeinde ein Konzentrationslager der Nationalsozialisten mit mehr als 100.000 Gefangenen. Die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, Admiral Wilhelm Canaris und Hans Oster wurden hier erhängt. In den 1950er-Jahren wurden auf dem Lagergelände ein Ehrenfriedhof und normale Wohnhäuser errichtet. Es dauerte 62 Jahre seit der Befreiung, bis im Jahre 2007 endlich eine Gedenkstätte mit der Dauerausstellung „Konzentrationslager Flossenbürg 1938-1945“ eingerichtet wurde.

2010 konnte Dr. Jörg Skriebeleit, der Leiter der Gedenkstätte, eine zweite Dauerausstellung als Fortsetzung der ersten eröffnen. „Was bleibt – Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg“ ist ein Meilenstein deutscher Erinnerungskultur und wurde 2011 mit dem Bayerischen Museumspreis ausgezeichnet. Den neuen Ansatz dieser Ausstellung, die sich bewusst mit dem Gestern, Heute und Morgen von der Befreiung bis in die Gegenwart befasst und damit erstmalig den Folgen eines nationalsozialistischen KZ gewidmet ist, gibt auch der vorliegende Ausstellungskatalog wieder. Dem Vorwort des Gedenkstättenleiters, einer Bestandsaufnahme der Nachwirkungen und Perspektiven, folgt die wissenschaftliche Erläuterung des Gestaltungskonzepts mit seinen Medienformaten und der räumlichen Erzählform durch Professor Ulrich Schwarz. Dann betritt der Leser, die auch im Katalog gezielt inhaltlich wie gestalterisch offen angelegte Dokumentation.

Hinter dem Foyer, mit Zitaten von Besuchern und Bürgern, beginnt eine Einteilung in sieben Perioden, hier sind es Kapitel, deren chronologische Struktur durch eine Gliederung in vier Betrachtungsaspekte erweitert ist: Der Ort, also Flossenbürg selbst und seine Nachkriegsentwicklung; die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Umgang damit; die Überlebenden und ihre weitere Lebensgeschichte und die Täter, ihre Bestrafung oder Begnadigung. Jede Zeitepoche wird mit einem Essay eingeführt und dokumentiert, nach einer Einordnung wichtiger historischer und erinnerungsrelevanter Ereignisse aus der ganzen Welt, der Bundesrepublik und der DDR, die vier Betrachtungsaspekte in Bezug auf Flossenbürg.

Aspekte wie das Verdrängen, Verschweigen und Vergessen der Bürger, die Verarbeitung, die Entschädigungsbürokratie und die Bemühungen um ein adäquates Gedenken der Opfer, der Umgang mit Antisemitismus, Schuld und Rechtfertigung in der deutschen Gesellschaft und die Verfolgung, Verurteilung, aber auch Begnadigung oder Vertuschung von Tätern und ihren Taten werden sachlich nüchtern dargeboten. Der Leser macht sich mit Fotos, Zitaten und Fundstücken sein eigenes Bild. Es wird deutlich, wie lange der Prozess der Verarbeitung des Geschehenen dauert, dass er wohl nie abgeschlossen sein kann. Der Katalog macht nachdenklich, gibt unkommentierte, dennoch sehr kritisch gehaltene Informationen.

Ein kleiner Wermutstropfen bei der beeindruckenden Sammlung von informativem Material, das gleich einem Mosaik aus vielen Bildern ein Gesamtbild, eine Ansicht oder Meinung entstehen lässt, ist die geringe Größe der historischen Dokumente, Postkarten und Fotos, die so nur als quantitativer Überblick dienen können. Auch viele Texte unter den Exponaten lassen zur Lupe greifen. Vielleicht hätte man hier dem Vollständigkeitsprinzip eines Kataloges widersprechen müssen und beispielsweise statt der 25 minimierten Postkarten des Kurortes Flossenbürg in den 1970er-Jahren lieber vier in Originalgröße abdrucken sollen.

Die Gedenkstätte Flossenbürg hat mit ihrem Konzept altbekannte Vermittlungsformen dekonstruieren müssen und wollen. Selten wurde so deutlich, dass geschichtliche Ereignisse zwar immer einem bestimmten Zeitraum oder Datum zugeordnet werden, die Wirkung aber lange danach noch greifbar ist und nach Aufarbeitung schreit.

Was bleibt ist ein Gefühl der Verpflichtung, die Erinnerung fortzuführen, das Gelesene weiterzutragen, Fragen zu stellen. Ein Konzept, das hoffentlich von anderen Gedenkstätten aufgegriffen und umgesetzt wird. Spät, aber mit Nachdruck, hat Flossenbürg seinen Platz an der Gedenktafel auf dem Berliner Wittenbergplatz, vor allem aber in der deutschen Erinnerungskultur bekommen.

Titelbild

Was bleibt - Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg. Katalog zur ständigen Ausstellung.
Herausgegeben von KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Stiftung Bayerische Gedenkstätten.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
222 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783835307544

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