Wenn Autoren Autorinnen sind

Ulrike Ackermanns und Hans Jürgen Schmidts lobenswerte Edition der Werke John Stuart Mills enthält auch die Schriften Harriet Taylors

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht immer werden Texte unter dem Namen ihrer VerfasserInnen publiziert. Manche erscheinen unter einem Pseudonym, andere anonym und wieder andere unter dem Namen eines anderen. Gründe dafür gibt es viele. Etwa, dass ein Mensch mit einem in einschlägigen Kreisen prominentem Namen um einen Beitrag für eine Zeitschrift gebeten wird, er das Angebot aus finanziellen Gründen annimmt, jedoch gar nicht beabsichtigt, den Auftrag auch zu erfüllen, sondern lieber an seinem zeitraubenden Hauptwerk arbeitet. Hat er dann einen Geistesbruder und Gesinnungsgenossen, kann er diesen darum bitten, die Artikel für ihn zu verfassen. So geschehen mit einer 1851 und 1852 in der New Yorker „Daily Tribune“ erschienenen Artikel-Reihe, die 1896 unter dem Titel „Revolution und Kontre-Revolution“ in Buchform publiziert wurde. Als Übersetzer fungierte Karl Kautsky, der noch immer, ebenso wie einige Jahrzehnte zuvor die Herausgeber des amerikanischen Periodikums, Karl Marx für den Autor hielt, dessen Name denn auch auf dem Umschlag der Übersetzung prangt. Tatsächlich aber wurde der Text von Friedrich Engels geschrieben, wie später aus seiner Korrespondenz mit Marx bekannt wurde.

Über all die Jahrhunderte hinweg, die seit der Erfindung des Buchdrucks verstrichen sind, dürfte die Zahl der Autorinnen, die ,unter fremdem Namen‘ publizierten diejenigen, der einschlägigen Autoren allerdings weit übertreffen. Auch sind ihre Gründe in der Regel andere als die ihrer männlichen Kollegen, wie bei Barbara Hahn nachzulesen ist.

Einem ähnlichen Irrtum wie Kautsky unterlag jedenfalls auch Sigmund Freud, nur dass bei ihm eben genau die Geschlechterfrage eine Rolle spielte. Und zwar auf zweifache Weise: Zum einen irrte er sich im Geschlecht der VerfasserIn, zum anderen thematisiert der von ihm ins Deutsche übertragene Text eben die Geschlechterfrage. Es handelt sich nämlich um eine Untersuchung „über Emanzipation“, wie denn auch ihr Titel lautet. Freud übersetzte den Text in der Annahme, es handele sich um ein Werk John Stuart Mills. Tatsächlich aber wurde er von Harriet Taylor verfasst. Da mag es überraschen, dass er nun in die erste deutschsprachige Werkausgabe Mills aufgenommen wurden. Dafür aber gibt es gute, nein sehr gute Gründe.

Ulrike Ackermann und Hans Jürgen Schmidt, die HerausgeberInnen der auf fünf Bände angelegten Ausgabe der „wichtigsten Schriften zu Politik, Gesellschaft und Moralphilosophie“ von Mill legen sie in der „Gesamteinleitung“ dar, indem sie erklären, dass und warum sich ihre „Auswahlausgabe“ nicht auf Werke Mills beschränkt, sondern auch Arbeiten von Harriet Taylor und gemeinsam verfasste Schriften sowie der erstmals übersetzten Briefwechsel zwischen beiden aufgenommen wurde – Letzterer übrigens „in der Auswahl und Kommentierung“ Friedrich August von Hayeks.

Wurde Harriet Taylors Einfluss auf Mills „Leben und Werk, von der nichtfeministischen „Rezeptionsgeschichte“ bislang „eher als Störfaktor gedeutet“, so „rücken“ die HerausgeberInnen nun gerade „in den Fokus“, dass Mill „große Teile des Werks dem intellektuellen Austausch und der Zusammenarbeit mit seiner Seelenfreundin, Geliebten und späteren Frau Harriet Taylor zu verdanken“ hat. Während Mills und Taylors „Texte zur Gleichberechtigung der Geschlechter“ in der Frauenbewegung stets einen „wichtigen Stellenwert“ hatten, wurden sie von der „Mill- und Liberalismusforschung“ bislang weitgehend ignoriert. Die vorliegende Ausgabe endet diese missliche Tradition. Dies zu behaupten, bedarf es keines großen Wagemuts, handelt es sich bei den HerausgeberInnen doch um die Leiterin und den Geschäftsführer des John-Stuart-Mill-Instituts für Freiheitsforschung an der SRH Hochschule Heidelberg.

Die in der Gesamteinleitung dargelegten Gründe für die Aufnahme der Texte Taylors werden in der Einleitung zu ihrem soeben erschienen Ersten Band von dessen Herausgeberin Ulrike Ackermann noch einmal näher ausgeführt. Er enthält „Texte zur Erfahrung der Freiheit und zur Gleichberechtigung der Geschlechter“ wie etwa das „gemeinsam verfasste Meisterwerk ‚Über die Freiheit‘“ und den erst nach Taylors Tod publizierten Text‚ „Subjection of Women“, dessen erste Übersetzung 1869 von Jenny Hirsch übernommen wurde, die für das Essay den Titel „Die Hörigkeit der Frau“ wählt. Dass die neue Übersetzung unter dem Titel „Unterwerfung der Frauen“ erschien, ist mehr als nachvollziehbar.

Wie modern, fast möchte man sagen postmodern, nicht wenige der Texte und Thesen Mills und Taylors sind, klingt in der Einleitung der Herausgeberin an und lässt sich in den Texten nachlesen. So kritisierte Harriet Taylor nicht nur die „sogenannten weiblichen oder männlichen Tugenden“, sondern auch ganz grundsätzlich „Vorstellungen darüber, was Männlichkeit und Weiblichkeit überhaupt bedeuten“. In gemeinsam mit Mill verfassten Werken wird „implizit bereits eine Unterscheidung zwischen dem biologischen (sex) und dem sozialen Geschlecht (gender)“ getroffen. Denn für Mill und Taylor boten „die rein körperlich-biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen keine Grundlage, daraus spezifische maskuline oder feminine Eigenschaften abzuleiten.“

Dass die Werkausgabe in keiner soziologischen Bibliothek fehlen darf, versteht sich. Und zumindest für deren ersten Band gilt dies nicht weniger für feministisch orientierte oder der Genderforschung verpflichtete Bibliotheken.

Titelbild

Hans Jörg Schmidt / Ulrike Ackermann (Hg.): John Stuart Mill und Harriet Taylor, Repräsentative Ausgabe der Werke in 5 Bänden und 6 Teilen, Bd. 1. Freiheit und Gleichberechtigung.
Murmann Verlag, Hamburg 2012.
640 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-13: 9783867741774

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