Mission impossible

Die Jubiläumsaustellung der berühmten Sonderbund-Ausstellung von 1912 zeigt einen frühen Höhepunkt der Klassischen Moderne. Der Ausstellungskatalog feiert diesen Moment gebührend

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine hundert Jahre alte Ausstellung wiederholen? Welch eine Idee, vor allem dann, wenn das eine  Ausstellung betrifft, die aus heutiger Sicht als erste Leistungsschau der modernen Kunst im 20. Jahrhundert überhaupt bezeichnet werden kann. Es gibt solche Momente und Möglichkeiten. Der (kurzlebige) Sonderbund, der seine Jahresausstellung 1912 in Köln statt in der Kunststadt Düsseldorf durchführte, ermöglichte einen von ihnen. Die soeben eröffnete Kölner Jubiläums-Ausstellung und der imposante Katalog präsentieren diese Jahrhundertausstellung gebührend.

Nahezu 650 Werke der Klassischen Moderne, darunter an die 140 Werke van Goghs, dazu Cezanne, Gauguin, Picasso und Munch, die eigene Säle erhielten. Klee, Lehmbruck, Kandinsky, Barlach, Macke, Hofer, Heckel, Kokoschka, Kandinsky, Marc, Hodler – die Namen, die der Katalog „Mission Moderne“ aufzählt und vorführt, der die Sonderbund-Ausstellung resümieren und rekonstruieren soll, hören sich an wie der imposante Bestand eines Universal-Museums der Klassischen Moderne.

Es ist alles dabei, was Rang und Namen hatte oder bekommen sollte. Und noch so einiges mehr, was in den Jahrzehnten danach in den Nachrang zurückfallen sollte. Darunter auch der in Köln geborene, damals prominenteste der Sonderbund-Maler August Deusser, Max Clarenbach und zahlreiche weitere regionale Größen, die vor allem mit der Düsseldorfer Kunstakademie verbunden sind. Aber auch die Künstler der ungarischen, schweizer oder zum Teil der österreichischen Moderne etwa, die nicht minder den Aufbruch demonstrieren, den die Kunst in jenen Jahrzehnten wagte, sind heute vor allem den Fachleuten bekannt.

Für einen kurzen Moment, für eine nur wenige Wochen dauernde Ausstellung, wird die Moderne in ihrem damaligen Status beinahe als Ganzes vorgestellt und vorstellbar – mit den Worten Edvard Munchs war in Köln 1912 immerhin das „Wildeste versammelt das in Europa gemalt wird“. Als Leistungsschau der modernsten europäischen Kunst, aber auch ihrer historischen Ableitung war die Sonderbund-Ausstellung 1912 angelegt. Und obwohl sie ihre regionale Herkunft (um nicht provinziell zu schreiben) nicht leugnen kann, ist ihr das gelungen. Selbst die um Vieles abgespeckte Präsentation des Jahres 2012, ist noch imponierend und in jedem Fall erhellend. In Kombination mit der umfänglichen Rekonstruktion der Ausstellung, die große Teile des voluminösen Katalogs füllt, wird daraus ein überwältigendes Projekt: Die Moderne, wie sie dann später in den Nachkriegsjahrzehnten gefeiert und in unglaubliche, eben auch preisliche Höhen getrieben worden ist, versammelt sich hier für einen kurzen Moment und zeigt sich in ihrer visuellen und intellektuellen Größe.

Dass diese Moderne bereits 1912 eine Geschichte hatte, zeigt gerade die umfassende Präsentation der Portalfigur van Gogh: Der bereits 1890 verstorbene van Gogh, um dessen Nachlass sich seine Schwägerin – wie im Katalog nachzulesen ist – sorgfältig und umsichtig kümmerte, steht für die Dominanz der französischen Moderne, auf deren Zugriff sich die deutschen Künstler erst einmal einlassen mussten.

Das gefiel in der biederen Wilhelminischen Gesellschaft nicht jedermann, weshalb van Gogh flugs zum germanischen Künstler umgedeutet und die Dominanz der Franzosen gleich unterminiert wurde. Wie noch Gottfried Benn mehr als 20 Jahre später lernen musste, war die Etablierung einer spezifisch deutschen Moderne (über den Expressionismus) aber nicht erfolgreich – auch wenn damit die Kampflinien zwischen den Extremen und deren jeweilige Nähe zueinander nicht einmal angedeutet sind.

Den Mut und die Entschiedenheit, mit der die Sonderbund-Künstler (und die sie begleitenden Museumsleute und Kunstfreunde, darunter insbesondere der Kurator des Barmer Kunstvereins Richart Reiche, der auch Geschäftsführer des Sonderbunds war, der spätere Galerist Alfred Flechtheim oder der Kölner Industrielle Josef Feinhals) die französischen Impulse aufnahmen, muss man dennoch bewundern, stand doch die Moderne in der Kunst unter Wilhelminischem Kuratel: Die Kunstreden Wilhelms II sind berüchtigt, seine Abneigung gegen die modernen Franzosen ging so weit, dass die Nationalgalerie Berlin eine eigene Modernesammlung nur sehr gehemmt aufbauen konnte (und dann zu anderen Preisen als die Kollegen im Reich). Der Kaiser stellte alle Ankäufe unter Kuratel, was die Eigenständigkeit des Museums deutlich einschränkte.

Aber nicht nur Berlin war umkämpftes Gelände: Noch 1911 führte der Ankauf eines van Gogh-Gemäldes („Das Mohnfeld“) durch die Bremer Kunsthalle zu einem „Protest deutscher Künstler“, dem sich auch Repräsentanten der Moderne anschlossen wie etwa Käthe Kollwitz. Das Feld war umkämpft, offensichtlich.

Vor allem private Sammler und private Museen, aber auch eine Reihe von öffentlichen Häusern wagten sich vergleichsweise früh (aber immer noch 20 Jahre nach dessen Tod) an van Gogh und andere Franzosen, deren Malweise nichts mit dem Akademismus der Düsseldorfer Malausbildung zu tun hatte. Was nebenbei ein Beleg dafür ist, dass die Kunst der Avantgarde gerade die Unterstützung durch das wohlhabende bürgerliche Publikum benötigte, um sich durchzusetzen.

Allerdings sind Versuche der rheinischen Kunstgrößen wie August Deusser, sich den französischen Vorbildern anzunähern, einigermaßen vorsichtig. Landschaften, Militaria, Porträts stehen wie gewohnt im Vordergrund. Sind Sujets wie die „Kürassiere“, die Deusser 1911 malte, als Provokation oder als Versuch zu sehen, die Düsseldorfer Tradition und ihr Publikum mit den neuen Verfahren anzufreunden? Sujets aus der anderen, der industriellen Moderne finden sich jedenfalls kaum. Darin unterschieden sich die Düsseldorfer nicht von den Franzosen, die ja ihrerseits lebensweltlichen Motiven den Vorzug gaben. Die Revolution der Wahrnehmung scheint sich auf gewohnte Themen der Repräsentationskunst zu konzentrieren, also auf ein Segment, das Anschlussmöglichkeiten ließ.

Umso radikaler die Veränderung der Malweise. Schaut man nämlich hin, lässt sich erkennen, dass die Malweise der Künstler um Deusser selbst im Vergleich zu den Werken der aus Dresden oder München stammenden Künstler der „Brücke“ oder des „Blauen Reiter“ bestehen kann.

Die Rheinländer, die über die Düsseldorfer Akademie ihre Reputation erworben hatten, scheuten den Vergleich nicht (Deusser erhielt gar einen eigenen Saal), was der Ausstellung, die unter enormen Zeitdruck – in nur knapp vier Monaten – zusammengestellt wurde, gut getan hat. Unvorstellbar nennen das Kuratoren heute – jedoch befinden wir uns in einem Segment des Kunstbetriebs, das noch weit weg davon war, als etabliert gelten zu können. Daher erklärt sich auch, dass der Katalog erst einige Wochen nach Eröffnung der Ausstellung erschien.

Das zeigt auch die Nachwirkung der Ausstellung. Der Sonderbund selbst dümpelte im Anschluss nur noch wenige Jahre vor sich hin, bevor er einging. Die Ausstellung 1912 war aber auch kaum zu übertreffen.

Die im Folgejahr durchgeführt Armory-Show, mit der die Initialzündung für die Moderne in den USA gegeben wurde, bezog sich ausdrücklich auf die Sonderbundausstellung des Jahres 1912. Die Sturmgalerie folgte gleichfalls dem Kölner Kunstereignis. Der Erfolg der Moderne ist aus dem Rückblick auch diesem außergewöhnlichen Projekt zu verdanken – wenngleich mit vielen Umwegen und Verzögerungen.

Denn zugleich war die Sonderbund-Ausstellung 1912 eben auch ein singuläres Ereignis, dem lange nichts mehr Gleichartiges folgen würde – nicht zuletzt, weil zwei Jahre später jener Krieg begann, mit dem sich der Kontinent in Schutt und Asche zu legen versuchte.

Dass dies im Katalog angesichts des Erklärungsbedarfs der Entstehung und der Zusammenstellung der Ausstellung vernachlässigt wird, kann kaum wundern. Die Vielzahl der großen Künstler der Moderne, die hier versammelt war, hat die Aufmerksamkeit beinahe völlig absorbiert. Aber die Begeisterung gehört doch ein bisschen gezügelt, das Ereignis historisiert.

Kein Grund etwa, die Bedeutung für die Stadt Köln allzu hoch anzusetzen: Sicher, es ist auch ein Verdienst der Stadt, die die Ausstellung eben nicht nur hingenommen hat, sondern ihr mit dem Ausstellungspavillon eine großzügig dimensionierte Plattform zur Verfügung stellte, und auch in den Ausstellungsgremien, insbesondere im sogenannten „Ehrenausschuß“ angemessen repräsentiert war. Das passt zu einer Stadt, die Wert auf ihre nationale Bedeutung legte, die in den Jahrzehnten zuvor enorm gewachsen war, die eine enorm junge Stadt war und sich als eine der wichtigsten Handelsstädte im für das Reich wichtigen Rheinland zu positionieren versuchte.

Aber anscheinend hat die Sonderbundausstellung die Stadt nicht weniger verschreckt als ihre Bürger. Denn so anerkannt der Moderne unter Sammlern, Künstlern und Museumsleitern war, so gering war die Akzeptanz in der breiteren kulturell interessierten Schicht. Hinzu kommt, dass Köln zwar eine schnell gewachsene Industrie- und Handelsmetropole war, sich aber über den Dom und den Rhein vor allem als Symbol der nationalen Einheit qua Tradition inszenierte. Dieses Köln verstand sich immer noch als Tor zum romantischen Rhein – und da hatte die Moderne keinen symbolischen Platz, trotz all der Eisen- und Stahlkonstruktionen, mit denen sie den Fluss zu überqueren suchte. Und das anscheinend über lange Zeit hinweg, wie eine kleine Lektüretour zeigt.

In der von Peter Fuchs herausgegebenen „Chronik der Stadt Köln“ (Band 2, 1991) hat die Sonderbundausstellung keine Aufnahme gefunden. In der „Illustrierten Geschichte der Stadt Köln“ von Arnold Stelzmann und Robert Frohn (hier die 10. Auflage von 1984) wird die Sonderbundausstellung nicht erwähnt. Selbst Magdalena Moeller hat in ihrer Sonderbund-Studie, die 1984 erschienen ist, die Kölner Ausstellung nur mit einem einzigen Absatz bedacht, während die Ausstellung 1909 breiter gewürdigt wird.

So beeindruckend die Ausstellung also gewesen sein mag und für uns heute ist, so gering war ihre Nachwirkung zu ihrer Zeit. Sie ist eben ein bemerkenswertes Ereignis, das heute gebührend gewürdigt gehört. Aber diese Würdigung sollte sich stärker der besonderen Umstände bewusst werden, unter denen die Sonderbundausstellung 1912 stattfand. Sie war eben auch tatsächlich eine Mission – was den Titel des Katalogs immerhin bestätigt. Dass er es versäumt, das Ereignis stärker und präziser in die Sozial- und Kulturgeschichte einzubetten, mag angesichts der Aufgabe hingenommen werden können, überhaupt ersteinmal zusammenzustellen, was die Ausstellung kunsthistorisch zu bieten hat. Damit aber kann es kaum getan sein, wenn denn nicht am Ende die Kunstgeschichte ihre eigene singuläre Sicht auf die Sonderbundausstellung privilegieren will.

Titelbild

Barbara Schaefer: 1912 - Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes.
Wienand Verlag, Köln 2012.
647 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783868321111

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