Ein Land erfindet sich neu

Zu einem Band mit Architekturfotografien des Kölner Fotografen Karl Hugo Schmölz

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir kennen die bundesdeutsche Architektur der 1950er-Jahre nur in ihrer verlebten Form. In den heruntergekommenen Bauwerken, die in den Jahrzehnten seit ihrer Errichtung benutzt und verbraucht wurden. In den blassen Stadtvierteln, die dem Verfall nie getrotzt haben und die gemeinhin nur mit den Bausünden der Nachkriegsjahre in Verbindung gebracht werden, mit einem Kahlschlag, der sich radikal von einer Vergangenheit trennte, die im Nachhinein dann doch als erhaltenswert erschien. Und die an ihrer Stelle Bauten setzte, die noch schneller verfielen als die Ideen, die mit ihnen befördert werden sollten.

Diese Bauwerke sind die abgestoßenen und verblichenen Zeugnisse einer Zeit, die in der Gegenwart kaum Verteidiger oder Befürworter hat: Dies sind die Jahre der bundesdeutschen Restauration, des Rollbacks und der politischen Gegenreaktion. Keine offene, sondern erneut eine geschlossene Gesellschaft. Die Niederlage Deutschlands war aus dieser Perspektive keine Befreiung vom Joch einer streng reglementierten Diktatur mit atavistischen Zügen, sondern nur deren zivilisierte und politisch korrekte Weiterführung. Politisch und kulturell erscheinen die 1950er-Jahre als Restaurations- und Stagnationszeit, als Rückschritt und eben nicht als Etappe bei der Durchsetzung einer offenen Gesellschaft.

Und dann dieser Fotoband – den Umschlag ziert ein lichter Pavillon der Ford-Werke auf dem Messegelände in Köln Deutz aus dem Jahr 1950, im Hintergrund der Dom als Sigle des mächtigen Erbes, gegen das der kleine Pavillon sich erhebt. Ein auf den ersten Blick naiver Aufstand der Moderne gegen die alte Zeit. Dabei galt es sich gegen ein anderes Erbe zu positionieren. Und die Fotografien des Kölner Fotografen Karl Hugo Schmölz (1917-1986) zeigen die Radikalität, mit der die Bundesrepublik der 1950-Jahre sich neu erfand.

Denn nichts weniger als eine solche Neuerfindung einer Gesellschaft zeigt sich in diesen Fotografien, und das, obwohl sich so gut wie keine Menschen auf ihnen finden lassen. Das kleine Lichtsignal, das das Lampenhaus Hesse in die Dämmerung schickt – ein Flachbau zwischen einem Neubau links und einer Brandmauer rechts – ist das Lebenszeichen einer Gesellschaft, die sich zwölf Jahre lang aufgegeben zu haben schien.

Jetzt ist dafür aber alles ganz anders: Geschwungene Treppenhäuser, große Fensterfronten, offene Räume – diese 1950er-Jahre haben Schwung und Elan, und sie haben den Wunsch, Räume zu kreieren, die auf den Massenandrang und auf den guten Klang hin ausgelegt sind. Kinos, Autohäuser, Banken, Verwaltungsgebäude von Firmen und Behörden, Repräsentations- und Funktionsgebäude – diese 1950er-Jahre wollen offensichtlich nichts mehr verstecken. Sie wollen zeigen, was geschieht und wo es geschieht. Und sie wollen zugleich demonstrieren, dass die Moderne eine freundlicher und menschlicher Ort ist.

Eine Tankstelle ist nicht nur ein Ort, an dem es Benzin gibt, sondern auch eine Lichtquelle, die Orientierung und Obhut im Dunklen bietet. Eine Kirche ist ein sakraler Ort und ein öffentlicher Treffpunkt, der zur Reflexion einlädt. Eine Oper ist nicht mehr der Ort elitärer Kontemplation, sondern der des Genusses von Musik, die von vielen geschätzt wird. Banken wie Fabriken sind Orte, an denen es um die Sache geht und darum, sie zu befördern.

Es sind nicht die Fahrzeuge, die die Modernität der Autohäuser anzeigen, sondern die Gebäude. In ihnen wirken die automobilen Ikonen der 1950er-Jahre anachronistisch. Nicht sie, sondern die Gebäude weisen über ihre Zeit hinaus. Trotz allem sind sie beständiger und zukunftsträchtiger. Der Hauptbahnhof Köln, durch dessen Schaufassade wiederum der Dom schemenhaft zu erkennen ist, ist ein Tanzsaal der Moderne und deren Mobilität. Eine Kreissparkasse unterscheidet sich von einem Kino in ihrem strukturellen Aufbau nur unwesentlich. Beide zeichnen ein Bild einer – fast – egalitären, in jedem Fall offenen und durchgängigen Gesellschaft. Bankmitarbeiter und Kunden sind nur durch einen Tresen, Parkett und Galerie nur durch durchlässige Barrieren getrennt.

Die neue Warenwelt zeigt sich in einem hellen Licht, das selbst die Schwarzweiß-Fotos durchdringt. Ob Automobil, Mantel oder Kleid, alles ist für alle zu haben. Der Zugang zu den Zentren der Medienmacht (hier noch der NWDR) ist ebenso offen und transparent wie der zu einer der großen Versicherungsgesellschaften. Hier wird niemand betrogen, niemand beherrscht, was getan werden muss, wird getan, weil es allen dient. Die Verhältnisse sind so klar wie das Wasser des Wuppertaler Freibades, das Schmölz bereits 1946 fotografierte, als Max Frisch bereits darüber reflektierte, dass das Schwimmen in Seen, von dem Bertolt Brecht geschrieben hatte, bereits ein Anachronismus sei.

Das alles hat utopische Züge, von denen wir wissen, dass sie schnell angejahrt sein würden und dass ihre Gegenseite jene Saturiertheit war, die in den 1960er-Jahren zur kleinen Revolution der Studentenbewegung führen würde. Die Verheißung von Freiheit, Offenheit und Gleichheit, den diese Bilder transportieren, formulierte zugleich eine Reihe von Anforderungen an diejenigen, die hier frei und gleich sein sollten und denen diese Welt offen und transparent zu sein hatte. Die Gegenseite zur Moderne ist ihre Suspendierung – aber, wie diese Fotografien eben auch zeigen, aus dem Scheitern der Vernunft hilft nicht weniger, sondern nur mehr Vernunft.

Titelbild

Karl Hugo Schmölz: Architektur der 50er Jahre. Photographien.
Erläuternder Text von Ulf Erdmann Ziegler.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2011.
175 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783829605397

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